Ron Muecks „Man in a Boat“ (2000-2002) lässt sich 2016 im Theseustempel im Wiener Volksgarten bestaunen. Die Skulptur, die sich - wie Muecks langjähriger Galerist Anthony d'Offay berichtet - ständig auf Ausstellungen befindet, macht auf Einladung von Jasper Sharp Station im klassizistischen Tempel. Die strenge Architektur bietet für die mysteriöse Skulptur einen eigenartigen Referenzraum. Mueck verband ein gefundenes Ruderboot mit einer unterlebensgroßen, hyperrealistischen Skulptur, die auf den ersten Blick überrascht und verwundert...
Österreich / Wien: Theseustempel
20.4. - 6.9.2016
Ein einzelner Mann in einem Boot. Er sitzt im wahrsten Sinn auf dem Trockenen. Und doch scheint der Mann in mittlerem Alter, nackt und nachdenklich in den Raum zu blicken. Justin Paton beschrieb Ron Muecks Werk als Betrag zum britischen Realismus1 und der sozialen Komödie, sind die Dargestellten doch immer aus ihrem vertrauten Kontext gerissen und scheinen ein wenig deplatziert in den Ausstellungsräumen. Die Einsamkeit der Figur ist typisch für den aus Australien stammenden Bildhauer Ron Mueck (* 1958), genauso wie die hyperrealistische Gestaltung der Oberfläche. Oder sollte man besser von Haut sprechen? Wenn Muecks Skulpturen nicht immer etwas unter- oder überlebensgroß wären, würden sie wie detailgenau aufbereitete Lebendgüsse wirken. In Wirklichkeit handelt es sich jedoch um minutiös erarbeitete Tonmodelle, die in Silikon (meist auch Fiberglas) abgegossen werden. Die handwerkliche Perfektion, verbunden mit einer nahezu unzeitgemäßen Langsamkeit in der Produktion, ist aus jeder Pore, aus jedem Härchen ablesbar.
So auch im Theseustempel im Wiener Volksgarten. Einst für die mächtige Theseus-Statue des Antonio Canova erbaut (heute: KHM, Stiegenhaus), rahmte der klassizistische Bau eine blütenweiße Kampfgruppe heroischer Natur. Die diesjährige Auswahl von Jasper Sharp fokussiert zwar bewusst wieder auf eine figurative Skulptur, bewegt sich jedoch auf einem völlig anderen Terrain. Ron Muecks Skulpturen, so erzählte sein langjähriger Galerist Anthony d’Offay, seien immer „Ausdruck eines starken Gefühls und Gedankens“2. Ziel wären nicht die Augentäuschung oder auch nur der Eindruck von lebensechten Darstellungen, sondern das Einfühlen der Betrachter_innen in die Figur. Im Gegensatz zu vielen wie aus dem Leben gegriffenen Figuren und Szenen in Muecks Werk, arbeitet er hier mit einem Quäntchen Irrationalität, gerade genug, um einen mysteriösen Grundton zu erzeugen. Dessen ungeachtet würde man „Man in a Boat“ gerne als Illusion von Realität akzeptieren, überraschte die Skulptur im Theseustempel nicht durch ihre Kleinheit.
Die unterlebensgroße Silikonfigur wirkt wie verloren in ihrem (echten) Ruderboot ohne Ruder, noch einmal gesteigert durch den Raum und seine strenge Architektur. Das Oberlicht wirft einen hellen, wandernden Sonnenfleck auf die abschließende Wand, doch der Mann wird davon nicht beschienen. Wohin treibt sein Boot? Ist es der Fluss des Lebens, dem er sich so passiv übergibt, oder gar schon Styx? Was mag er wohl sehen, was ihn so skeptisch blicken lässt?
Erstveröffentlichung: PARNASS 2/2016
Ron Muecks Arbeiten waren zu sehen in Einzelausstellungen u. a. in der Pinacoteca do Estado de São Paulo, der Fondation Cartier pour l’art contemporain in Paris, der National Gallery of Victoria in Melbourne, dem 21st Century Museum of Contemporary Art in Kanazawa, dem Hirshhorn Museum and Sculpture Garden in Washington, D.C., der Nationalgalerie im Hamburger Bahnhof in Berlin und im Frans Hals Museum in Haarlem. Diese Ausstellung ist die erste Personale des Künstlers in Österreich.