Florian Pumhösl (* 1971) wurde 2009 eingeladen, die Sammlung der Klassischen Moderne vom mumok neu zu hängen und zwei Ebenen mit einer Einzelausstellung zu bespielen. Hinter dem Titel „678“ verbergen sich daher jene Stockwerke, für die der Künstler neue Konzepte, darunter „Abstrakter Raum“ für die Moderne, entwickelt hat. Weiters zeigt er drei neue eigene Arbeiten: den 48-teiligen Bilderzyklus „Diminution“ und die beiden Filminstallationen „Expressiver Rhythmus“ und „Tract“. Alle Arbeiten kreisen um Fragen der Moderne, vor allem die Möglichkeiten der abstrakten Kunst.
Österreich / Wien: MUMOK
Ebene 6 und 7
4.3. - 29.5.2011
Dieser rote Faden, oder besser die Linie, findet sich faktisch in der Filmarbeit „Track“ (Ebene 7), in der vor grünem Hintergrund von einer unsichtbaren Hand weiße Linien gezogen werden. Das Rattern des Projektors verrät, dass es sich um analoge Technik handelt. Die Geschwindigkeit ist konstant, die Formen erinnern einmal an geschwungene Arabesken und ein anderes Mal an Konstruktiv-Minimalistisches. Dahinter verbergen sich Tanznotationen, die ihrerseits abstrakte Darstellungen von Bewegungsabläufen sind: Raum wird Fläche, Bewegung wird Linie.
Auf Ebene 6 des MUMOK fügt Florian Pumhösl einen großen, weißen, atmosphärisch beleuchteten Kubus ein. Die Wände wirken gleichsam unberührt und sind doch Träger von beinahe unsichtbaren Hinterglasbildern mit dem Titel „Diminuition“, in denen Pumhösl die Möglichkeiten des Abstrahierens auslotet. Denn wer würde vermuten, dass es sich bei diesen schwebenden Linien aus schwarzem Acryllack um Porträts handelte? Es wird schnell deutlich, dass es Pumhösl in seiner Retrospektive nicht nur darum geht, Bilder an die Wand zu bringen. Stattdessen führt er einen weißen Kubus in den sonst unbeleuchteten Raum ein und nutzt die Fragilität seiner Hinterglasmalerei, um die Linien der Zeichnungen zum Schweben zu bringen. Die Wand hinter dem Bild wird aktiviert, die Materialität des Bildträgers und damit auch des Werkes dadurch gleichsam ausgeblendet. Das Immaterielle, aber auch das Unsagbare scheinen zentrale Begriffe zu sein, die Pumhösl beschäftigen. Der Titel „Diminution“, der in der Musik für Verkleinern eines Motivs steht, beschreibt die Transformation des Vorbildes in ein Abbild. Handelt es sich bei Pumhösls 48-teiliger Serie von „Porträts“ daher vielleicht auch um die Diskussion der westlichen Trennung von Körper und Seele, von Physis und Psyche? Was beschreibt eine Person besser: ihr Äußeres oder ihre Äußerungen? Und was davon vermag eine Linie auszudrücken? Pumhösls Linien sind akkurat gezogen und dennoch zeigen sie sich, aus der Nähe betrachtet, nicht als mechanisch-geometrisch „perfekt“. Sie schwellen an und haben Auslassungen; sie krümmen sich und treten manchmal in einen spannungsreichen Dialog miteinander. Einige wenige Striche, ein minimalistisches Konzept, ein rein weißer Raum - verdichtet zu einem Maximum an Stimmung, und wenn man sich darauf einlässt, eröffnet sich auch ein Reflexionsraum über die Moderne und ihr Erbe.
Sobald man die Reinheit des white cube verlässt, trifft man auf die tiefste Schwärze eines black cube, in dem Pumhösls neuester 16mm-Film „Expressiver Rhythmus“ gezeigt wird. In langen Einstellungen in Schwarz-Weiß zeigt Pumhösl seine Überlegungen zum abstrakten Film und überprüft erneut Lösungen der Moderne auf ihre Gültigkeit. Inspiriert durch Alexander Rodtschenkos gleichnamiger Fotografie (1943-44), die eine Kiefer im nordwestrussischen Karelien zeigt, montiert Pumhösl anfangs eine schwarze Leinwand mit Musik, dann ziehen schwarze Partikel auf hellem Grund am Auge vorbei (die leicht gekräuselte Oberfläche eines Gewässers), dann Aufnahmen von sich im Wind bewegenden Bäumen. Das sich verzweigende und überlagernde Geäst erinnert an die berühmten Drip Paintings von Jackson Pollock – oder besser gesagt, wurden von Pumhösl entsprechend ins Bild gesetzt, nach Rodtschenko und Pollock reinszeniert. Die Selbstbeschränkung des Künstlers auf Schwarz und Weiß beinhaltet bereits ein Abstrahieren vom Naturvorbild, der Einsatz des Mediums Film hingegen erweitert die Statik des Bildes um die Dimension der Zeit.
Dieses vergleichende Sehen mit der Kunstproduktion des 20. Jahrhunderts führt in einer zweiten Ebene die Frage ins Feld, ob es überhaupt eine Abstraktion geben kann, die sich nicht auf die Welt bezieht bzw. unabhängig von ihr existieren kann. Dies ist die Problematik, an der sich Pumhösl m.E. gattungsübergreifend abarbeitet. Ob es sich um Tanznotationen handelt, das Porträtieren, das Reinszenieren von historischen Kunstwerken, immer steht dahinter die Frage nach der Beziehung zwischen Subjektivem und Objektivierbarem, zwischen Vorbild und Abbild, zwischen Kunstwerk und Realität.