Heinrich Kühn (Dresden 25.2.1866–14.9.1944 Birgitz) gehört zu den Pionieren der internationalen Kunstfotografie um 1900. Sein gesamtes Leben experimentierte der österreichische Hobbyfotograf mit Technik und Material, perfektionierte den sog. „Gummidruck“ und war vom autochromen Bild fasziniert. In Landschaften, Porträts seiner vier Kinder und des Kindermädchens Mary Warner sowie Stillleben entwickelte er in Auseinandersetzung mit den Strömungen der Malerei der Zeit (Postimpressionismus, Symbolismus, Jugendstil) und den Werken von Alfred Stieglitz, Edward Steichen u.a. seinen Stil zwischen Formauflösung und Flächenkunst.
„Der Laie glaubt immer, daß es sich bei der Photographie doch unter allen Umständen um etwas Maschinelles handeln müsse [...] . Würde er mit dem Wesen und der Technik der bildmäßigen Photographie enger vertraut sein, so möchte seine Annahme ganz wesentlich modifiziert, schließlich vielleicht radikal geändert werden.“1 (Heinrich Kühn, 1921)
Österreich | Wien: Albertina
11.6. – 29.8.2010
Frankreich | Paris: Musée d`Orsay
6.10.2010 – 24.1.2011
Ausgehend von Kompositionsschemata, die in der Malerei bereits seit dem Biedermeier vorgeprägt waren, wandte sich der wohlhabende Amateurfotograf seit 1891 der künstlerischen Fotografie zu. Seiner Ansicht nach wären die Qualitäten des Mediums durch Fotostudios arg in Mitleidenschaft gezogen worden. Er strebe nach der Vollendung in Technik und Komposition. Der Einsatz von Unschärfe, Grobkörnigkeit und eine besondere Berücksichtigung der Tonwerte (möglichst weiche Übergänge, Licht- und Schattenwirkungen als bildvereinheitlichend) machen aus Kühns Fotos beredte Zeugnisse des Piktorialismus. Von den Zeitgenossen wie Alfred Stieglitz (1864–1946, befreundet ab 1904) und Edward Steichen (1879–1973) hoch geschätzt, international gesammelt und oft ausgestellt, wurde das Werk von Heinrich Kühn jedoch bald vergessen.
Erste Beschäftigung mit der mikroskopischen Fotografie machte Heinrich Kühn als Medizinstudent. Nachdem er Mitglied des „Wiener Camera Clubs“ geworden war, lernte er um 1895 Hugo Henneberg und Hans Watzek kennen. Die drei Amateurfotografen einte ihre Leidenschaft für die künstlerischen Qualitäten der Fotografie. Der Londoner Verein „Linked Ring“ und der „Photo Club de Paris“ unterstützten diese Bestrebungen ebenfalls und machten auch den Wiener Kollegen Mut, sich mit den neuen fotografischen Drucktechniken, v.a. dem Gummidruck, zu beschäftigen. Die „Kunstwerdung“ der Fotografie sollte mit dem Gummidruck in ein neues Stadium treten, da die Aufnahmen großformatig entwickelt werden konnten und durch den Auftrag mit einem Pinsel fast wie ein Gemälde oder eine Grafik wirkten. Erste Ausstellungen in der Wiener Secession bestätigten den Stellenwert der künstlerischen Fotografie und das Interesse, das den drei Kunstfotografen von Seiten der Avantgarde entgegengebracht wurde.
Ab 1904 entwickelte sich zwischen Heinrich Kühn und Alfred Stieglitz (1864–1946) eine enge Freundschaft, welche die Kunst des Wieners grundlegend verändern sollte. Die Bilder Kühns lösen sich immer mehr auf! Hatten die Fotografien der Jahrhundertwende sich an einem romantischen Impressionismus orientiert und Landschaft, klassische Stillleben und Gruppenporträts der eigenen Familienmitglieder wiedergegeben, so wirken die jüngeren Bilder wie Lichtstudien. Heinrich Kühn entwickelte sich zu einem selbstreferentiellen Künstler, der über das Licht nachdachte und der den Schatten an einer Wand genauso wie den Wiederschein in einem Wasserglas spannend fand.
Im Jahr 1907 entdeckte Heinrich Kühn das Autochromverfahren, das von den Brüdern Lumière entwickelt worden war. Die strenge Komposition seiner Fotografien entsprach dem zunehmend abstrahierenden Jugendstil in Wien (siehe auch die Plakatkunst aus der Wiener Kunstschau 1908) und gehören – zwischen Formauflösung und Flächenkunst – zu den bedeutendsten frühen Farbfotografien der westlichen Kunstgeschichte.
Gemeinsam mit dem Musée d`Orsay in Paris (6.10.2010-24.1.2011) und dem Museum of Fine Arts in Houston, wohin die Schau weiterwandern wird, sucht die Albertina diese Wissenslücke zu schließen.
1866 Geburt von Heinrich Kühn in Dresden. Seine Eltern sich reiche Händler, sein Großvater Christian Gottlieb Kühn und sein Onkel arbeiten als Bildhauer.
1885-1888 Kühn wird in Leipzig, Berlin und Freiburg im Breisgau zum Mediziner und Naturwissenschaftler ausgebildet. Promoviert in Medizin, kann jedoch den Beruf aus gesundheitlichen Gründen nicht ausüben.
1888 schreibt er sich in der medizinischen Fakultät der Universität Innsbruck (Österreich) ein und lernt auch die Mikrofotografie. Er publiziert erste Fotografien in der Zeitschrift „Der Tourist“.
1890 arbeitet er mit dem Platindruckverfahren gemeinsam mit Giuseppe Pizzighelli, einem Mitglied des „Wiener Camera Clubs“.
1894 stellt im „Wiener Camera Club“ erstmals aus. Er trifft Hans Watzeck und Hugo Henneberg, mit denen er 1897 das „Trifolium“ gründet.
1895 Mitgliedschaft im „Camera Club“ und bewundert die Werke von Robert Demachy, Direktor des „Photo Club de Paris“, von dem er den Gummidruck übernimmt. Kühn entwickelt den kombinierten oder mehrschichtigen Gummidruck, der kaum geahnten Manipulationen ermöglichte.
1897-1899 Ausstellung von großen Landschaftsaufnahmen in Venedig, die einen nachhaltigen Erfolg für Kühn bedeutet. In Begleitung von Hugo Henneberg und Friedrich Viktor Spitzer verbringt er den April 1897 in Venedig, wo sie auch Gustav Klimt treffen.
1898 Einladung von der Münchener Secession, 34 Fotografien auszustellen. Auswahl von Direktor Fritz Matthies-Masuren.
1900 Einladung von den bildenden Künstlern der Wiener Secession, mit ihnen gemeinsam auszustellen.
1902 Kühns Frau Emma erkrankt ernsthaft, Mary Warner wird als Kindermädchen angestellt. Sie wird eines seiner Lieblingsmodelle sein.
1904 Begegnung mit Alfred Stieglitz in Tirol und Beginn einer langen Freundschaft; Stieglitz ist der Kopf der piktorialistischen Bewegung in den Vereinigten Staaten.
1905 Ausstellung in der Galerie Miethke, die erste Galerie für zeitgenössische Kunst in Wien, geleitet von Carl Moll.
1906 Stieglitz stellt die Arbeiten von Heinrich Kühn in seiner New Yorker Galerie aus. Wegen des Kontakts mit Stieglitz und Steichen verändert und beschleunigt sich die Kunst Kühns.
1907 Markteinführung des autochromen Verfahrens durch die Brüder Lumière. Im Sommer halten sich Stieglitz, Steichen, Frank Eugene und Kühn in Tutzing (Deutschland) auf, um Autochrome aufzunehmen. Kühn wird sich bis 1915 dieser Technik widmen.
1909 Organisation gemeinsam mit Matthies-Masuren einer Sektion in der Internationalen Photoausstellung in Dresden.
1911 Stieglitz widmet Kühn eine Sondernummer in der Zeitschrift „Camera Work“. Kühn verliert einen Teil seines Vermögens und muss von Porträtaufnahmen, vom Unterrichten und seinen zahlreichen wissenschaftlichen und technischen Publikationen leben. In seiner Fotografie sucht er die Perfektion der Form bis zur Abstraktion.
1930 Otto Steinert (1915–1978), berühmter Vertreter der „Subjektiven Photographie“, kauft Fotografien Kühns für öffentliche Sammlungen.
1931 Ehrenmitgliedschaft bei der Photographischen Gesellschaft, Wien, Mitglied der Künstlervereinigung Innsbruck.
1937 erhält den Titel Doktor Honoris Causa von der philosophischen Fakultät Innsbruck. Beendet seine Ausstellungs- und Publikationstätigkeit.
Stirbt 14.9.1944 Heinrich Kühn.