Edward Steichen

Wer war Edward Steichen?

Edward Steichen (Béiweng 27.3.1879–25.3.1973 West Redding) gehört zu den wichtigsten Protagonisten der Fotografie in den USA. Sein Stil reichte vom Piktorialismus bis zur Straight Photography. Mit „The Family of Man“ konzipierte Steichen die einflussreichste Ausstellung in der Geschichte der Fotografie. Seit 1911 arbeitete Edward Steichen auch als Modefotograf. Im Ersten Weltkrieg war er als Kriegsfotograf in Frankreich stationiert; danach wandelte sich sein Stil. Von 1947 bis 1962 war er als Direktor der Fotografieabteilung des Museum of Modern Art in New York tätig.

Kindheit

Eduard Jean Steichen wurde am 27. März 1879 in Béiweng in Luxemburg als erstes Kind von Marie Kemp (1854–1933) und Jean-Pierre Steichen (1854–1944) geboren. 1880 wanderte Jean-Pierre Steichen in die USA aus. Marie Steichen folgte im Januar 1881 mit ihrem Sohn. In diese Zeit fiel vermutlich auch die Anglisierung seines Vornamens zu Edward, da auch die Mutter bei der Auswanderung ihren Namen zu Mary Kemp Steichen anglisierte. Die Familie zog über Chicago weiter in die Bergbaustadt Hancock in Michigan. Als zweites Kind wurde 1883 die Tochter Lilian geboren (1883–1977). Mary Kemp Steichen arbeitete zunächst als Schneiderin und eröffnete dann ein Geschäft als Hutmacherin mit bis zu zehn Angestellten. Jean-Pierre Steichen bewirtschaftete einen Garten mit dem Anbau von Obst und Gemüse. In den Jahren 1888 bis 1894 besuchte Edward das Pio Nono College Internat in St. Francis, Wisconsin. 1889 zog die Familie nach Milwaukee um.

Ausbildung

Edward Steichen reiste 1893 als 14-jähriger zur Weltausstellung in Chicago. Kurz darauf kaufte er eine Kamera und erlernte autodidaktisch das Fotografieren.

Im Jahr 1894 begann Edward Steichen eine Ausbildung in der Setzerei (Lithografie), danach in der Design-Abteilung bei der American Fine Art Company in Milwaukee. Das Unternehmen entwarf Gebrauchsgrafik für den amerikanischen Markt. Erste Erfahrungen mit Design hatte Edward bereits vor seiner Ausbildung gemacht: Für den Salon seiner Mutter entwarf er Werbeposter, Schaufenster und Hüte. Steichens grundlegende Wertschätzung für Mittel und Nutzen des grafischen Kunstgewerbes wurden hier gelegt. Der Erfolg stellte sich rasch ein: 1897 wurde Steichen mit dem Preis der National Education Association für die Gestaltung eines Briefumschlages ausgezeichnet.

Noch während der Ausbildung gründete Steichen 1896 gemeinsam mit Freunden die Milwaukee Art Students League. Steichen engagierte sich in der ersten professionellen Kunstvereinigung in Milwaukee als Präsident für die Interessen der jungen Künstler. 1899 reichte Steichen drei Fotografien für den Second Philadelphia Salon ein. Die Juroren Gertrude Käsebier, Fred Holland Day und Clarence H. White nahmen seine Arbeiten an. Vor allem „Portrait Study“ (1898), Steichens fotografisches Selbstbildnis als junger Künstler, erregte in der Ausstellung und anschließend international Aufsehen. Auf Clarence Whites Rat hin reichte Steichen zehn Fotografien für den Chicagoer Salon 1900 ein. Zwei seiner Arbeiten wurden dort ausgestellt. Stilistisch war Steichen bereits in seinem Frühwerk vielseitig, vor allem jedoch dem Piktorialismus verbunden.

Werke

Ausgestattet mit einem Empfehlungsschreiben von Clarence H. White lernte Steichen 1900 in New York Alfred Stieglitz kennen. Dieser kaufte drei Arbeiten des jungen Fotografen. Steichen reiste von New York weiter zu seinem ersten Aufenthalt in Europa. Für kurze Zeit studierte er an der Académie Julian in Paris. Er besuchte die Pariser Weltausstellung, den Louvre und begeisterte sich für die Werke von Auguste Rodin. Steichen fuhr nach Wien, nahm in London Kontakt zu Fred Holland Day auf. Day übernahm 21 Arbeiten von Steichen in die Ausstellung „The New School of American Photographie“. Die Schau erregte große Aufmerksamkeit, Steichens „Portrait Study“ (1898) wurde kontrovers diskutiert. 1901 zeigte Day „The New School of American Photographie“ in einer veränderten Version in Paris, mit einer noch größeren Anzahl von Steichens Fotografien. Steichen wurde zum „international gefeierten Wunderkind der Fotografie“. Zeitgleich stellte Steichen in Paris auch ein Gemälde aus: Sein Porträt von Fred Holland Day wurde beim Salon de 1901 der Societé des Beaux Arts angenommen.

Die erste Einzelausstellung „Monsieur Eduard J. Steichen“ erhielt Steichen 1902 in Paris. Im Maison des Artistes zeigte er retuschierte und nicht retuschierte Fotografien sowie Gemälde im Wechsel, um die Gleichwertigkeit der beiden Kunstformen zu betonen. Steichen hob damit die fest gefügte akademische Trennung zwischen Bildender Kunst und Fotografie auf. Sein Ruf verbreitete sich rasch, es folgten Einladungen zu Ausstellung in Europa und den USA, Preise und Auszeichnungen. Unter anderem erwarb das Land Belgien mit Steichens „The Black Vase“ (1901) die erste Fotografie überhaupt für ein Museum.

In Paris traf Steichen auf zahlreiche avantgardistische Künstler:innen und Intellektuelle, auf die Fotografen Alvin Langdon Coburn, Frank Eugene, Gertrude Käsebier, Mary Devens, Elise Pumpelly Cabot und Margaret Russell. Er schloss Bekanntschaft mit Auguste Rodin, fotografierte den Künstler und seine Werke. Steichen lernte in Paris den belgischen Schriftsteller und Naturforscher Maurice Maeterlinck kennen, mit dessen Werk er bereits vertraut war. Auf Anregung seiner Schwester reiste Steichen zum Sozialistenkongress in Stuttgart, um August Bebel und Karl Liebknecht zu fotografieren.

Camera Work

1902 kehrte Steichen zurück in die USA. Er gründete in New York ein Fotostudio und etabliert sich als Fotograf. Alfred Stieglitz rief als Sprachrohr der New Yorker Photo-Secessionisten die Zeitschrift „Camera Work“ ins Leben. Er übertrug Edward Steichen das typografische Layout und die Titelgestaltung. Steichen prägte damit über 15 Jahre und 50 Ausgaben das Erscheinungsbild der Zeitschrift.

Sein Einfluss reichte weit über die grafische Gestaltung hinaus. Mehr als 60 seiner Fotografien wurden im Lauf der Zeit abgedruckt, fünf Sonderausgaben der Zeitschrift zeigten exklusiv seine Arbeiten. Nicht zuletzt durch Steichens fortwährende Kontakte in der Kunstszene (etwa zu Henri Matisse sowie zu Sarah und Leo Stein) bot „Camera Work“ zeitgenössischen Künstlern und Intellektuellen ein Forum. In der Erstausgabe im Januar 1903 erschien sein Essay „Ye Fakers“. Steichen verlieh seiner Überzeugung Ausdruck, dass ein Foto keineswegs nur ein mechanisches, objektives Abbild der Realität zeige, sondern geprägt sei von der subjektiven Gestaltung des Fotografen.

Galerie 291

1905 gründeten Edward Steichen und Alfred Stieglitz in der 291 Fifth Avenue die Galerie 291 als Präsentationsraum für die New Yorker Photo Secession.

„Wir möchten diese Gelegenheit zum Anlass nehmen, um noch einmal auszudrücken, wie sehr wir Steichen zu Dank verpflichtet sind. Die Arbeit von ‚291‘ hätte nicht in so vollem Maße erreicht werden können ohne seine aktive Anteilnahme und seine konstruktive Mitarbeit, die er immer völlig uneigennützig erbracht hat. Er war es, der ‚291‘ ursprünglich in Verbindung gebracht hat mit Rodin [...] und mit Matisse.“ (Alfred Stieglitz, 1913)

Steichen hatte gemeinsam mit seiner Ehefrau Clara den Plan für die „Little Galleries of the Photo-Secession“ ausgearbeitet: Gegen den herrschenden Zeitgeist sollten in schlichten Räumen ohne Dekoration die Exponate geometrisch geordnet und gut ausgeleuchtet auf Augenhöhe des Betrachters angeordnet werden. Durch Steichens Verbindungen in der avantgardistischen Künstlerszene weitete sich das Spektrum über die Fotografie hinaus. Durch seine Idee sowohl Maler als auch Fotografen zu zeigen kam der Galerie eine bedeutende Rolle bei der Vermittlung moderner, europäischer bildender Kunst in den USA zu – weit vor der Armory Show 1913.

Steichen pendelte zwischen 1906 und 1914 zwischen Europa und den USA und vermittelte durch den direkten Kontakt zu den Künstlern zahlreiche Ausstellungen in die Galerie 291. 1907 wurden erstmals in den USA Zeichnungen von Auguste Rodin präsentiert, die Ausstellung fand enorme Resonanz. 1908 konnte Henri Matisse in der Galerie 291 zum ersten Mal außerhalb von Paris ausstellen. Gezeigt wurden unter anderem Arbeiten von Paul Cézanne (1911), von Pablo Picasso und Georges Braque (1911, 1914), Edouard Manet, Auguste Renoir, Henri de Toulouse-Lautrec, Henri Rousseau (1910) sowie Constantin Brâncuși (1914). Steichen bereitete den Aufbau der Ausstellung von Frankreich aus durch präzise Installationsskizzen vor. 1914 zeigte 291 eine frühe Ausstellung afrikanischer Masken und Kultobjekte, in der Folge kombinierte Steichen kubistische Werke von Picasso und Braque mit afrikanischen Kultobjekten und dem object trouvé eines Wespennests.

Steichens selbst war weiterhin als Künstler tätig. Seine Fotografien und Gemälde wurden in zahlreichen Ausstellungen gezeigt und erhielten mehrfach Auszeichnungen. 1906 erschien sein Gemälde „Apple Bloom“ als Titelbild der Vogue. 1907 experimentierte Steichen als einer der ersten mit der neuen Technik der Farbfotografie.

1903 heirateten Edward Steichen und die Musikerin Clara Smith (1875–1952). 1904 wurde die Tochter Mary (1904–1998) geboren, 1908 folgte als zweites Kind Kate Rodina (1908–1988). Das Ehepaar trennte sich 1914, die Scheidung wurde 1921 ausgesprochen. 1923 ehelichte Steichen die Schauspielerin und Fotografin Dana Desboro Glover (1894–1957). Nach Danas Tod heiratete Edward 1960 Joanna Taub (1933–2010).

Pflanzenzüchter in Voulangis und West Redding

Die Familie Steichen pachtete 1908 einen Bauernhof in Voulangis in der Nähe von Paris. Steichen arbeitete dort als Fotograf und Maler und blieb in der Kunstvermittlung aktiv. Der Hof diente befreundeten Künstlern als Aufenthalts- und Ausstellungsort. Stilistisch wandte sich Steichen mehr und mehr vom Piktorialismus ab und weiter der Sachlichkeit zu, seine Gemälde zeigten Einflüsse des Fauvismus. Diese Phase seines Schaffens ist schwer zu rekonstruieren: ein Großteil der Negative und Fotodrucke ging in den Wirren des Ersten Weltkriegs verloren, Steichen vernichtete zudem seine frühen Bilder in Voulangis.

Steichen betätigte sich in Voulangis auch intensiv als Pflanzen- und Gemüsezüchter. Seine Rittersporn-Züchtungen erhielten 1913 die Goldmedaille der Societé Nationale d´Horticulture de France. Im selben Jahr wurde Steichen für die beste Kartoffelernte im Département Seine-et-Marne ausgezeichnet. Mit dem Einzug der deutschen Truppen in Frankreich musste die Familie Steichen den Hof in Voulangis verlassen und kehrte zurück in die USA.

Das Arbeiten mit der Natur blieb für Steichen unverzichtbar: 1928 kaufte er in West Redding, Connecticut, ein 60 ha großes Gelände. Auf der Umpawaug Plant Breeding Farm setzte Steichen seine Experimente rund um Zucht und Anbau von Pflanzen fort. Im Juni 1936 zeigte er in der ersten Bio-Art-Installation eine Woche lang auf seiner Farm gezüchtete Rittersporne im Museum of Modern Art in New York. Das Museum kündigte die Schau „des sehr bekannten Fotografen“ als „sehr ungewöhnliche… Schau an“ und betonte in einer Pressemitteilung vom 22. Juni 1936:

„Um Verwirrung zu vermeiden, soll angemerkt werden, dass tatsächlich Rittersporne im Museum gezeigt werden – keine Gemälde oder Fotografien. Die Blumen werden „persönlich“ erscheinen.“

1936 fotografierte er zudem Walden Pond in Massachusetts für eine illustrierte Ausgabe von Henry David Thoreaus Buch Walden (1854).

U.S. Camera Annual

Als Thomas J. Maloney 1934 als Herausgeber die Fotozeitschrift „U.S. Camera Annual“ plante, setzte er Steichen zunächst als Vorsitzenden der Auswahljury, von 1938 bis 1946 als alleinigen Juror ein. Steichen förderte die sozialdokumentarische und sozialkritische Fotografie: so war Dorothea Lange in der ersten Ausgabe der Zeitschrift 1935 mit „White Angel Breadline“ (1932), 1936 mit „Migrant Mother“ (1936) vertreten. 1938 entwarf Steichen eine Ausgabe der „U.S. Camera Annual“ mit Fotografien aus der Zeit der Großen Depression, die 1938 in der Ausstellung „First Photographic Exposition“ im New Yorker Grand Central gezeigt worden waren.

Die U.S. Farm Security Administration (FSA) hatte 1935 bis 1941 Fotografen beauftragt, die Auswirkungen der Depression in den ländlichen Regionen zu dokumentieren. Beteiligt waren u. a. Dorothea Lange, Walker Evans, Ben Shahn, Carl Mydans und Arthur Rothstein. Die Ausstellung „First International Photographic Exposition 1938“ wurde im New Yorker Grand Central Palace gezeigt. Durch Steichens Renommee und Einsatz gewann die bis dahin als künstlerische Ausdrucksform wenig beachtete Dokumentarfotografie weiter an Ansehen. Für ihn waren die Fotografien von Dorothea Lange, Walker Evans, Russell Lee und anderen die „eindrucksvollsten menschlichen Dokumente, die je in Bildern gezeigt wurden“.

Direktor am Museum of Modern Art

Immer wieder stand Edward Steichen durch Ausstellungen mit dem Museum of Modern Art (MoMA) als Künstler und Kurator in Verbindung. 1947 wurde er auf Betreiben von Thomas J. Maloney zum Direktor der Fotografieabteilung des Museums of Modern Art ernannt. Bis 1962 kuratierte Steichen 44 Foto-Ausstellungen der unterschiedlichsten Genres. Einen Überblick über den aktuellen Stand der Fotografie gab er 1948 mit zwei Ausstellungen: „In and Out of Focus: A Survey of Today´s Photography“ und „50 Photographs by 50 Photographers“. Mit der Gruppenausstellung „Six Women Photographers“, der ersten Gruppenausstellung für Frauen, setzte Steichen 1949 als Kurator ein Signal für die Gleichberechtigung von Fotografinnen. 1950 lud Steichen unter dem Motto „What is Modern Photography?“ zu einem öffentlichen Symposium, u. a. mit den zeitgenössischen Fotograf:innen Margaret Bourke-White, Irving Penn, Lisette Model und Walker Evans. 1961 zeigte das MoMA die Retrospektive „Steichen the Photographer“.

Als Direktor der Fotografieabteilung unterstützte Steichen durch Ausstellungen und Ankäufe junge Künstler wie Robert Frank, Lee Miller, Harry Callahan, Roy DeCarava, Consuelo Kanaga oder Stephen Shore – aber auch von Robert Rauschenberg (als erstes Museum). Mit der Ausstellung „The Bitter Years“ verabschiedete sich Steichen 1962 als Direktor. „The Bitter Years“ nahmen noch einmal die sozialdokumentarischen Fotografien aus der Zeit der Großen Depression zum Thema. Die Ausstellung stellte neben der menschlichen Not auch die Ausbeutung und Zerstörung der Natur in den Mittelpunkt.

„The Family of Man“

Steichen setzte zu Beginn der 1950er Jahre eine Idee aus der Weltwirtschaftskrise um: eine Ausstellung als Manifest des Friedens und der Gleichstellung aller Menschen. Mit einem Team wählte er 503 Fotografien von etwa 270 Fotografen aus 70 Ländern aus. Die Installation „The Family of Man“ verdeutlichte die Grundsätze der Vereinten Nationen und der UN-Menschenrechtsdeklaration.

„THE FAMILY OF MAN is planned as an exhibition of photography portraying the universal elements and emotions and the oneness of human beings throughout the world. It is probably the most ambitious and challenging project photography has ever faced and one for which, I believe, the art of photography is uniquely qualified.”[18]

Die Ausstellung war bei der Eröffnung im MoMA 1955 ein überragender Erfolg. In vier Monaten besuchten etwa 270.000 Menschen die Installation in New York. Anschließend wurde die „Family of Man“ in fast 40 Ländern rund um die Welt ausgestellt, der Katalog vier Millionen Mal verkauft. In der Zeit des Kalten Kriegs wurden Bilder von Menschen der unterschiedlichsten Kulturen kontrastiert durch die Aufnahme der Explosion einer Wasserstoffbombe. Seit 2003 zählt die Ausstellung zum Weltdokumentenerbe der UNESCO.

Tod

Edward Steichen starb am 25. März 1973 in West Redding, Connecticut.

Rezeption

Als 1913 die Armory Show in New York mit 1600 Werken europäischer und amerikanischer Künstler eröffnet wurde, war Steichen nicht eingeladen: Die Kuratoren hatten die Arbeiten von Fotografen grundsätzlich ausgeschlossen, auch kein Gemälde von Steichen war in die Ausstellung aufgenommen. Steichen war wie viele Fotografen zu Beginn des 20. Jahrhunderts zunächst daran interessiert, die Fotografie in den Kanon der Bildenden Kunst aufnehmen zu lassen. „Als ich anfing, mich für Fotografie zu interessieren, dachte ich, das wäre die allergrößte Sache. Meine Vorstellung war, dass sie als Kunst anerkannt werden musste. Heute schere ich mich einen Dreck darum. Aufgabe der Fotografie ist es, die Menschheit den Menschen und jeden Menschen sich selbst zu erklären.“ Doch seinen Zeitgenossen galt das weit gefächerte Interesse Steichens als zu wenig akademisch geprägt. Die Unabhängigkeit, mit der sich Steichen zwischen den Kunstformen bewegte, sein Arbeiten als freier Künstler und als bezahlter Auftragskünstler, sein frühes Interesse für die Modefotografie und für sozialdokumentarische Arbeiten führte zu teils heftiger Ablehnung.

Auch die von Steichen kuratierte „Family of Man“ stieß auf gegensätzliche Reaktionen. August Sander sah die Installation als das „größte Werk, das die Photographie ans Licht gebracht“ habe. Während der französische Kulturwissenschaftler Roland Barthes die Ausstellung 1956 mit einem für lange Zeit dominierenden Verriss überzog, wies Max Horkheimer bei seiner Eröffnungsreden 1958 in Frankfurt darauf hin, dass der Betrachter „…in Zukunft anders, eindringlicher und vielfältiger sehen (wird), als bis dahin. Das hat die Ausstellung in der Tat mit wirklichen Künstlern gemein, dass sie der Wahrnehmung eine neue Richtung weist“. Eine Neubewertung von Steichens Arbeiten setzte erst nach der Eröffnung der permanenten Ausstellungen in Luxemburg ein.