Heinrich Kühn (1866–1944) studierte zunächst Medizin, bevor er sich als führender Vertreter der kunstfotografischen Bewegung, die unter dem Begriff Piktorialismus bekannt wurde, einen Namen machte. Um 1900 vernetzten sich internationale Amateurfotograf:innen in Vereinigungen. Kühn zählte nicht nur die Künstler der Wiener Secession, sondern auch renommierte amerikanische Fotograf:innen wie Alfred Stieglitz zu seinen Freunden. Durch ihre gemeinsame Anstrengung gelang die Anerkennung der Fotografie als eigenständige Kunstgattung.
Deutschland | Frankfurt a. M:
Städel Museum, Kabinett für Fotografie
22.10.2022 – 23.4.2023
Im Zuge der Industrialisierung des Fotografiegewerbes gab es kaum mehr individuell hergestellte Aufnahmen. Atelierstudios fertigten immer gleiche Ansichten nach standardisierten Mustern an. In Abgrenzung zu dieser Massenware verschrieb sich Heinrich Kühn der „bildmäßigen“ Fotografie. Darunter verstand er eine Darstellungsweise, die von ästhetischen Gesichtspunkten geleitet war. Effektvoll setzte er Schärfe und Unschärfe ein, um aus seinen Motiven das Charakteristische herauszuarbeiten und dabei Nebensächliches auszublenden. Malerische, druckgrafische oder zeichnerische Effekte erzielte er durch sogenannte Edeldrucke. Das sind fotografische Verfahren, die eine Manipulation während des Herstellungsprozesses erlauben. Eine dieser Techniken war der Gummidruck, mit dem Kühn bevorzugt experimentierte. Da er ein besonders breites Spektrum an Hell-Dunkel-Abstufungen erzielte und die besondere Körnung einen malerischen Aspekt lieferte, wurde er in Fachkreisen bekannt.
In Auseinandersetzung mit den Strömungen der Malerei seiner Zeit – Naturalismus, Postimpressionismus und Symbolismus – griff Kühn auf tradierte Themen zurück: Vor allem Interieurs, Stillleben, Landschaften und Porträts sowie den weiblichen Akt inszenierte er vor seiner Kamera. Auch durch das teils große Format der aufwendig gerahmten Abzüge sollte die Fotografie mit den anderen Künsten gleichgestellt werden. Kühn trug erheblich dazu bei, die Fotografie als künstlerisches Ausdrucksmittel zu etablieren.
Ab 1888 lebte der Hobbyfotograf in Innsbruck und trat 1895 dem Wiener Kameraverein bei, einem Verein von Amateurfotografen, dem auch Hugo Henneberg und Hans Watzek angehörten. Die drei schlossen sich zum sogenannten Trifolium zusammen und signierten ihre Werke für eine gewisse Zeit mit Kleeblatt. In der Zeit um 1900 arbeitete Kühn bevorzugt mit dem raffinierten Verfahren des Gummibichromatdrucks – einer Technik, die durch die Verwendung von Gummi arabicum, Dichromatsalzen und Farbpigmenten das Erscheinungsbild eines gemalten Bildes in verschiedenen Farbnuancen suggerierte. Erste Erfolge auf zahlreichen Ausstellungen feierte er mit großformatigen Landschaftsfotografien, die von einer an den Impressionismus erinnernden verschwommenen Optik geprägt waren. Nach der Geburt seines dritten Kindes Hans im Jahr 1900 entdeckte er neue Sujets – Porträts seiner Kinder, die einen großen Teil seines Oeuvres ausmachen Familie in den Mittelpunkt und fotografierte seine Kinder – Walther, Edeltrude, Hans und seine jüngere Tochter Lotte – sowohl einzeln als auch im Umgang miteinander. Als geübte Modelle posierten sie im Gespräch, beim Spielen oder Lesen.
Zu den Ausstellungen, die Heinrich Kühn um 1900 beschickte gehörten jene der Wiener Secession, die „Vierteljahresausstellung künstlerischer Photographien“ (ab 1.10.1899) im Kupferstich-Kabinett in Dresden.1 und die „Internationale Photographische Ausstellung Dresden“ im Jahr 1909 ebenfalls in Dresden.
Quelle: Städel Museum, Frankfurt