Seit der Erweiterung und Generalsanierung des Hauses 2017/18 freut sich das Haus am Waldsee über die Leihgabe der großen Außenskulptur „Versus“ (2011/19) des britischen Bildhauers Tony Cragg (*1949). Im Herbst 2021 widmet die Institution dem zeichnerischen Werk des international agierenden und vielfach ausgezeichneten Bildhauers eine große Ausstellung. Zu sehen sind Arbeiten auf Papier, sind Handzeichnungen, Aquarelle, Lithografien und Radierungen, die durch einzelne Skulpturen im Innenraum ergänzt werden.
Deutschland | Berlin: Haus am Waldsee
Internationale Kunst in Berlin
17.9.2021 – 9.1.2022
Die Schau fokussiert auf Arbeiten seit den 1980er Jahren bis heute, die einen tiefen Einblick in das künstlerisch-wissenschaftliche Denken von Tony Cragg erlauben. Die verstärkte Wendung zur Zeichnung auf Papier vollzieht sich mit den 1990er Jahren. Nun nutzt Cragg den Zeichenstift sowohl zur technischen Kommunikation als Skizze als auch als Möglichkeit zur Kontemplation über Form und Inhalt komplexer Fragestellungen im Bereich des Unsichtbaren beziehungsweise des digitalen Raums.
In seinen Zeichnungen taucht Cragg tief in jene Felder ein, die aus der Auseinandersetzung mit Material und Form, Mikro- und Makrostrukturen und ihren Energiefeldern entstehen. Oft arbeitet er auf dem Papier spielerisch Themen in Serien durch, als wären es Versuchsreihen. So untersucht er zum Beispiel in den 1990er Jahren intensiv Formabläufe von Gefäßen, die sich verschachteln, frei bewegen und schließlich wie in einem kulturellen Zeitraffer transformieren.
Fortlaufend findet Cragg in den aktuellen technischen und naturwissenschaftlichen Forschungen neue Herausforderungen und Denkansätze für sein künstlerisches Werk. Die Neugier auf kleinste und größte bioenergetische Bewegungen, die den Kosmos ausmachen und unseren Planeten umgeben oder im Verborgenen mikroskopischer Größenordnungen liegen, macht er auf unterschiedliche Weise sichtbar. Gesetzmäßigkeiten der digitalen Welt können ebenso Gegenstand seiner Suchbewegungen sein wie fossile Funde, die weit zurückliegende Zeitalter einbeziehen. Dabei bindet Cragg die Vorstellung von Zeit und Raum stets auch an ein anthropomorphes Formenrepertoire. Es entstehen liniendichte Zeichnungen von Köpfen und Gesichtern, die in multiplizierter Form ineinanderfließen. Hier werden Vorstellungen von Beweglichkeit, Automatisierung, Spiegelung und Verflüssigung sichtbar, die an das Menschliche gebunden scheinen.
Unter den Serien auf Papier finden sich Einzelblätter, die mit altmeisterlicher Genauigkeit Insekten, Werkzeuge oder auch Brotlaibe wiedergeben. Neben den vornehmlich abstrakten Blättern, die Raum-, Form- und Energieverläufe oft in vehementer Bewegung wiedergeben, scheint sich Cragg mit diesen Einzelblättern nicht nur von Zeit zu Zeit seiner eigenen Fähigkeit zur realistischen Studie versichern zu wollen, sondern mit Humor auf uralte kulturelle und natürliche alltägliche Bereiche zu verweisen. Craggs künstlerisches Denken ist als Bildhauer an Materialstrukturen und Räume der Naturwissenschaften gebunden. Mit den Zeichnungen können seine Quellen neu entdeckt werden. Die selten ausgestellten Arbeiten auf Papier, die nach Worten des Künstlers nur für ihn und als Einstimmung entstehen, spiegeln Craggs unersättlichen Entdeckergeist, der ihm seit nunmehr vier Jahrzehnten große internationale Aufmerksamkeit verschafft.
Kuratiert von Katja Blomberg und Tony Cragg.
Quelle: Haus am Waldsee