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Bruno Gironcoli. In der Arbeit schüchtern bleiben Zeichnungen des österreichischen Bildhauers

Bruno Gironcoli, Entwurf IV, 1967–1970, Tusche, Deckfarben auf Papier, 62 x 89 cm (mumok Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien, Leihgabe der Artothek des Bundes seit 1976, © BRUNO GIRONCOLI WERK VERWALTUNG GMBH / ESTATE BRUNO GIRONCOLI)

Bruno Gironcoli, Entwurf IV, 1967–1970, Tusche, Deckfarben auf Papier, 62 x 89 cm (mumok Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien, Leihgabe der Artothek des Bundes seit 1976, © BRUNO GIRONCOLI WERK VERWALTUNG GMBH / ESTATE BRUNO GIRONCOLI)

Der Bildhauer und Objektkünstler Bruno Gironcoli (1936–2010) schuf kontinuierlich großformatige grafische Arbeiten. Im Laufe der Jahre werden diese zunehmend malerischer – mehr als bloße Skizzen für die Bildhauerei. Auf Papier treibt der österreichische Künstler seine räumlichen Ideen vielmehr in Dimensionen, die über die Arbeit am konkreten Material weit hinausgehen. Dort animiert er sein eigenes bildhauerisches Werk: Losgelöst von realen Größenverhältnissen, physikalischen Zwängen und körperlichen Grenzen gehen schablonenhafte Figuren, Tiere, Symbole und Apparaturen hypothetische Verbindungen ein, fügen sich zu fantastisch-surrealen Gebilden und Szenen. Gironcolis Papierarbeiten sind buchstäblich „Flächen von Überlegungen“ (Gironcoli), in denen bildhauerische Möglichkeiten durchgespielt werden, die der Realraum versagt.

Die groß angelegte Retrospektive Bruno Gironcoli: In der Arbeit schüchtern bleiben (3. Februar bis 27. Mai 2018) stellt erstmals den Maler und Zeichner Gironcoli in den Mittelpunkt. Auf zwei Ausstellungsebenen treten Papierarbeiten von den 1960er- bis in die 1990er-Jahre in einen Dialog mit herausragenden Beispielen der Drahtplastiken, Polyesterobjekte, Installationen und Monumentalskulpturen. Im Zwiegespräch erschließen sie neue Perspektiven auch auf Gironcolis bildhauerisches Werk.

 

Der Maler und Zeichner Gironcoli

In der Konfrontation von grafischem und plastischem Werk zeigt sich, dass Gironcoli seine Konzeption von Bildhauerei – von Dinglichkeit und Materialität – entscheidend auf Papier verhandelt: Er reflektiert dort beispielsweise die Eigenschaften von unterschiedlichen Aggregatzuständen und Werkstoffen oder auch das Verhältnis von gleichen und ungleichen Körpern zueinander sowie zum umgebenden Raum. Modi des Verbindens, Verknüpfens und Verkettens spielen eine zentrale Rolle. Auffällig ist die Faszination des Künstlers für das Schematische: für eine Ausdruckshaftigkeit, die nicht aus der Tiefe, sondern in der Fläche wirkt. Dies zeigt sich in einem fixen Repertoire von Motiven, die Gironcoli in Reihen variiert und zudem nach langen Unterbrechungen wieder aufgreift, um sie neu zu „formatieren“. Und im formelhaften Aufeinandertreffen unterschiedlicher Perspektiven und Ausdrucksweisen – von konstruktiven und expressiven Elementen, räumlichen Projektionen und atmosphärischen Effekten, akkuraten Linien und undisziplinierten Gesten.

Gironcolis Papierarbeiten werden im Laufe seiner künstlerischen Karriere immer freier und scheinen sich damit vom bildhauerischen Werk zu entfernen. Insbesondere ab den 1980er-Jahren setzen sich kräftige Farben wie Pink, Violett oder Türkis zunehmend über grafische Begrenzungen hinweg und entwickeln ein malerisches Eigenleben. Der exzessive Einsatz der Malmittel – etwa der fast flüssig erscheinenden Metallfarben – verleiht den Großformaten selbst eine plastische Anmutung. Doch bleiben Skulptur und Grafik einander auch im Spätwerk eng verbunden: In beiden Disziplinen beschäftigen Gironcoli Fragen des Anhäufens und Schichtens; in beiden bedient er sich einer bewusst manieristischen Formen- und Materialsprache.

 

Gironcolis Formen- und Themenrepertoire

Die Themen, die den Künstler zeit seines Lebens beschäftigten, nehmen auf visionäre Weise die Problemstellungen des 21. Jahrhunderts vorweg: das Verhältnis von Natur und Technik; individuelle und gesellschaftliche Zwänge (in den Bereichen Sexualität, politischen Ideologien und Religion); die fetischhafte Aufladung von Dingen und Waren; die Verführung durch Oberflächen usw. Die Ausstellung zeigt auf, dass Gironcolis Werk nicht nur im Kontext der österreichischen und internationalen Kunst der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine wegweisende Position besetzt, sondern auch in Bezug auf aktuelle gesellschaftliche und künstlerische Entwicklungen bemerkenswerte Anschlussmöglichkeiten bietet. Die mit rund 150 Werken auf Papier bestückte Retrospektive stellt den Bildhauer Gironcoli als einen Bildschöpfer vor, der abseits des Feldes der Malerei zu bahnbrechenden visuellen Lösungen fand. Als Künstler, der mittels Schablonen, klischeehafter Formeln und Wiederholungen der bildlichen Darstellung ungeahnte Möglichkeiten erschloss.

Vor diesem Hintergrund ist Gironcolis Interesse an Kitsch und Dekor als „erstarrter“ kollektiver Formensprache zu verstehen, seine Verwendung überholter religiöser und politischer Symbole und nicht zuletzt seine Faszination für technische Apparaturen und Elektrizität: Seine Figuren und Dinge muten wie stillgestellt oder hängen geblieben an, wie zu formelhaften Ketten verknüpft. Erst in der Wiederholung kommt Bewegung in das fixe Figuren- und Dingrepertoire, das sich aus seiner Verkettung zwar nicht befreien, jedoch – von Bild zu Bild zu Bild – jeweils neue Allianzen eingehen kann. Immer wieder und in unterschiedlichen Kombinationen tauchen kauernde Männer, Hunde und Affen, Totenschädel, Ähren und Glühbirnen, die Madonna, Hakenkreuze und Herzen, Toilettenschüsseln, Kehrschaufeln und Kämme auf: dem Alltag und seinen zeichenhaften Untiefen entnommene Versatzstücke, die sich als Requisiten über Gironcolis Bühnen der Überlegungen verteilen. 

 

Bruno Gironcoli. In der Arbeit schüchtern bleiben: Ausstellungskatalog

Zur Ausstellung erscheint die bislang umfassendste Publikation zu Gironcolis Arbeiten auf Papier.
Mit Beiträge von Manuela Ammer, Peter Gorsen, Edith Futscher, Bettina Busse, Charlotte Matter und Karin Steiner
Fotografische Einblicke in Gironcolis künstlerische Praxis von Margherita Spiluttini, Elfie Semotan und Loys Egg.

Kuratiert von Manuela Ammer

Quelle: Pressetext

Alexandra Matzner
Gründerin von ARTinWORDS * 1974 in Linz, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Romanistik in Wien und Rom. Seit 1999 Kunstvermittlerin in Wien, seit 2004 Autorin für verschiedene Kunstzeitschriften. Jüngste Publiktionen entstanden für das Kunsthaus Zürich, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Albertina und Belvedere in Wien.