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Candida Höfer. Düsseldorf Architekturfotografie vom Feinsten

Candida Höfer. Foto: Ralph Müller.

Candida Höfer. Foto: Ralph Müller.

Candida Höfer wurde mit Fotografien von menschenleeren, auratisch aufgeladenen Innenraumaufnahmen voller Licht und Detailschärfe berühmt. Dass ihren streng symmetrischen Fotografien in den Siebziger Jahren eine Phase des Experiments voranging, wird in dieser spannenden Retrospektive erstmals in Österreich gezeigt. Der Blickt auf das vierzigjährige Werk ermöglicht, von Höfers berühmten Bildern abzurücken und die Bemühungen der Fotokünstlerin auszuloten, sich ihres Stils stets zu vergewissern, indem sie sich in die verschiedensten Richtungen vortastet.

Öffentliche Räume

Höfers Bildwelt zeigt – und dafür ist sie international berühmt – öffentliche Räume: Kircheneinblicke reihen sich an Opernhäuser, Theater, Bibliotheken, Ausstellungsräume, Stiegenhäuser, etc. Mit Düsseldorf verbindet die Kölnerin eine lange Geschichte, hat sie hier zwischen 1976 und 1982 in der neu gegründeten Fotografieklasse von Bernd Becher an der staatlichen Kunstakademie studiert. Für die Schau „Düsseldorf“ hat sie eigens eine Reihe von neuen Aufnahmen wichtiger Gebäude Düsseldorfs gemacht: das spätbarocke Jagd- und Lustschloss Benrather Schloss (2011; von Nicolas de Pigage, 1770), die ebenfalls barocke Sankt-Maximilian-Kirche und das Foyer des Dreischeibenhauses (von Helmut Hentrich und Hubert Pletschnigg, 1957–1960). Ziel der Ausstellung ist weniger eine Stadtgeschichte Düsseldorfs als eine thematische Retrospektive der Fotokünstlerin. Die ca. 70 Werke erschließen das Frühwerk der Siebziger Jahre genauso wie die Innenraumeinblicke im charakteristischen Höfer-Stil und schließen die Klammer mit aktuell von der Künstlerin zusammengestellten Projektionen ihrer ältesten Aufnahmen von der Landeshauptstadt von NRW.

Architektur als Symbol des Sozialen

Neben den jüngeren Arbeiten überraschen in der Ausstellung „Candida Höfer. Düsseldorf“ aber vor allem die ältesten. Schnappschüsse aus dem Düsseldorfer Nachtleben werden von der Künstlerin in Projektionen und in schneller Abfolge aneinandergereiht (z.B. „Düsseldorf III“ 2012), womit sie auch auf frühe Dia-Serien wie „Türken in Deutschland“ antwortet, die sie im Februar 1979 erstmals in der Galerie Arno Kohnen in Düsseldorf gezeigt hat.1 Der 16mm-Kurzfilm, den sie 1975 gemeinsam mit dem Performance-Künstler Tony Morgan im Düsseldorfer Eiscafé „Da Forno“ drehte, zeigt eine beschwingte Künstlerin und die Frage, wieviel Zucker eine Tasse Café verträgt. Doch schon in diesen Anfangsjahren tauchen immer wieder Innenräume und Fenster mit Siegelungen auf. Dass sie sich schlussendlich gegen die Abbildung von Menschen in den von ihr gewählten Räumen entschied, begründet sie immer wieder damit, diese nicht „gebrauchen“ zu wollen.2 Es geht ihr um „die allgemeine Präsenz von Menschen“, die ohne deren Repräsentation in den Raumaufnahmen „deutlicher“ zutage treten würde.3

Bevor Candida Höfer zur Dokumentarin architektonischer Strukturen wurde, beschäftigte – und das ist das Erstaunliche dieser Ausstellung - in den Siebzigern mit dem Soziotop Düsseldorf. Sie lichtete Menschen mit Migrationshintergrund ab, begann aber bereits in diesen frühen Jahren v.a. Schaufenster zu fotografieren. Menschen wie Architekturen lassen sich als sichtbare Zeichen des Wirtschaftswunders der Nachkriegszeit deuten: Die schnell hochgezogenen Betonbauten verweisen dabei durchaus noch auf die Kriegsschäden, während die Benutzer der Straßen und Gasthäuser den wachsenden wirtschaftlichen Wohlstand der Stadt symbolisieren. Erste Farbfotografien zeigen dann auch Schaufenster, wobei die Fotografin allerdings mehr die spärliche Dekoration denn die feilgebotenen Waren interessierte und auch Spiegelungen ihrer selbst in Kauf nahm. Die junge Fotografin suchte Mitte der Siebziger Jahre Buntheit und in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts Menschen in der Tristesse des Urbanen.

Im Kontext von amerikanischen Peripherien

Dass Gebäude als Stellvertreter für die Menschen dienen, die sie errichtet haben, wird in den Siebziger Jahren vor allem in Amerika heftig diskutiert. Dan Graham (* 1942) hatte bereits 1966/67 in „Homes for Amerika“ typische Einfamilienhäuser in den gewöhnlichen amerikanischen Vorstadt-Siedlungen aufgenommen und über ihre „Variationsmöglichkeiten“ in Form und Farbe nachgedacht. Stephen Shore (* 1947) und Lewis Baltz (* 1945 → Lewis Baltz) bereisten ebenfalls die Vereinigten Staaten, um das wenig Repräsentative von urbanen Peripherien zu verewigen. Als einer der ersten nutzte Shore dafür die Farbfotografie. Shores Kontakt zu Bernd Becher führte ihn bereits 1977 nach Düsseldorf, wo er in der Kunsthalle ausstellte.

Die Kenntnis der Arbeiten dieser bekannten amerikanischen Kollegen könnte dazu geführt haben, dass sich Candida Höfer von der dogmatischen Schwarz-Weiß-Fotografie ihrer Lehrer, dem berühmten Ehepaar Bernd und Hilla Becher, entfernte und erste Farbaufnahmen wagte.4 Während sich die Bechers in ihren Typologien den verschwindenden Industriegebäuden v.a. aus dem Ruhrgebiet widmeten, beschäftigte Höfer der urbane Raum.

Candida Höfers Urbanität

Während sich die amerikanischen Kollegen mit der Peripherie von Städten und dem Ländlichen als Gegenpol zur mythisierten Weite und Modernität des Landes beschäftigten, ist es im Werk von Candida Höfer das Urbane und schlussendlich das Historische, das sie seit den Achtziger Jahren fasziniert. Gleichzeitig treten auch die skulptural-architektonischen Fragen in den Vordergrund. Zwei Aufnahmen aus dem Düsseldorfer Museum Kunstpalast, 1991 und 2011 im Abstand von 20 Jahren aufgenommen, zeigen das großformatige Gemälde „Venus und Adonis“ von Peter Paul Rubens in unterschiedlichen Hängungen und sind dadurch auch Dokumente museologischer Praxis. Während im früheren Werk der Rubens noch an einer weißen Wand hing, ist diese 2011 in giftigem Grün gestrichen. Die aktuelle Inszenierung zeigt das Gemälde auch im Kontext von Skulpturen und in einem symmetrischen Arrangement rund um eine „Himmelfahrt Mariae“ des flämischen Meisters. Letzteres kommt der Fotokünstlerin Höfer deutlich entgegen, hat sich doch ihr eigenes Schaffen von Schrägeinblicken zu penibel symmetrischen Kompositionen entwickelt.

Die Kunst der Candida Höfer schließt dabei sämtliche Elemente musealer Präsentation ein. Sie betont die Kunstwerke in ihrer Materialität und lässt auch die Beleuchtungskörper gleichwertig dreidimensional hervortreten. Dass sich die Fotografin für die Arbeitsweise der Ausstellungsmacher_innen interessiert, belegt die Fotografie „Museum Kunstpalast Düsseldorf II“ (2011), das wie ein Mnemosyne Atlas die hauseigene Sammlung nach Gattungen und Themen „geordnet“ zeigt. Bilder schließen scheinbar logisch an Bilder, einzelne Worte verbinden die Werke gedanklich und konzeptuell. Wo sind die Brüche? Diese Tendenz zur Glätte und Perfektion zeigt sich auch im verwendeten Fotomaterial Candida Höfers, das von atmosphärischen, fast grobkörnigen Bildern der Neunziger Jahre zu aktuell großformatigen, detailreichen Werken reicht.

Ein Blick in die Zukunft

Im begleitenden Film erzählt Candida Höfer, dass sie eine intuitive Fotografin sei und sie sehr spontan entscheide, wie sie Gebäude fotografieren wolle. Neue Arbeiten aus dem Jahr 2012 wirken daher wie Studien, sind nicht betitelt und konkretisieren nicht, welche Gebäude sie ablichten. Es zeigt sich eine Tendenz zum Abstrahieren, zum Verfremden von Strukturen. Aufnahmen aus dem Dreischeibenhaus (2011) und dem „Neuen Stahlhof Düsseldorf“ (2012) verraten eine neue Handschrift. Höfer geht in ihnen von ihrer strengen, symmetrischen Fotografie ab, das Treppenhaus des Neuen Stahlhofs windet sich schwindelerregend in Höhe wie Tiefe, und das Dreischeibenhaus wird in einigen Detailfotografien fast zu abstrakten Farbfeldern reduziert. Sehenswert!

Biografie Candida Höfer

1944 geboren in Eberswalde (D)
1963–1964 Volontariat im Fotoatelier von Karl Hugo Schmölz und Walde Huth in Köln
1964–1968 Studium an der Kölner Werkschule
1968–1970 Freie Fotografin in Köln
1970–1972 Mitarbeit im Fotostudio Werner Bokelberg in Hamburg
1972–1973 Mitarbeit in einer Kölner Galerie
1973–1982 Studium an der staatlichen Kunstakademie Düsseldorf: 1973–1976 Klasse Ole John (Film) und 1976–1982 Klasse Bernd Becher (Fotografie)
2002 Teilnahme an der documenta 11 in Kassel
2003 neben Martin Kippenberger (→ Martin Kippenberger: XYZ) auf der Biennale von Venedig (Kurator Julian Heynen)

  1. Es war der richtige Zeitpunkt am richtigen Ort. Brigitte Kölle im Gespräch mit Candida Höfer, in: Es geht voran. Kunst der 80er. Eine Düsseldorfer Perspektive (Ausst.-Kat. Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf 11.9.2010-30.1.2011) München 2010, S. 278.
  2. Ebenda, S. 278.
  3. Ebenda, S. 278.
  4. Neben ihr haben nur noch Thomas Ruff und Volker Döhne mit Farbfotografie experimentiert.
Alexandra Matzner
Gründerin von ARTinWORDS * 1974 in Linz, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Romanistik in Wien und Rom. Seit 1999 Kunstvermittlerin in Wien, seit 2004 Autorin für verschiedene Kunstzeitschriften. Jüngste Publiktionen entstanden für das Kunsthaus Zürich, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Albertina und Belvedere in Wien.