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Marlies Wirth: „Ohne Dinge sind wir quasi nackt“ Kuratorin für Digitale Kultur am MAK über ihre Ausstellung „ich weiß nicht“

Nilbar Güreş, Escaping Cactus, Ausstellungsansicht „ich weiß nicht. Wie die Beziehungen zwischen den Dingen wachsen“ im MAK, 2017, Foto: Alexandra Matzner, ARTinWORDS.

Nilbar Güreş, Escaping Cactus, Ausstellungsansicht „ich weiß nicht. Wie die Beziehungen zwischen den Dingen wachsen“ im MAK, 2017, Foto: Alexandra Matzner, ARTinWORDS.

Marlies Wirth, Kuratorin Digitale Kultur sowie Kustodin Sammlung Design am MAK, erarbeitete gemeinsam mit Janina Falkner im Rahmen der Vienna Biennale 2017 die Ausstellung „ich weiß nicht. Wie die Beziehungen zwischen den Dingen wachsen“. Dafür versammelten die beiden Kuratorinnen Werke von internationalen Künstlerinnen und Künstlern einer jüngeren Generation, die das Verhältnis der Menschen zu den von ihnen geschaffenen Dingen beleuchtet. Was haben ein eingeschneites Auto, ein Papagei und Produktionsweisen der Zukunft miteinander zu tun?

Das Gespräch für ARTinWORDS führte Alexandra Matzner.

Beziehungsvolle Dingverhältnisse

ARTinWORDS: Die Ausstellung „ich weiß nicht“ findet im Souterrain des MAK statt, die anderen Bereiche der VIENNA Biennale 2017 allerdings im Erdgeschoss. Warum?

Marlies Wirth: Rund um die Ausstellung „ich weiß nicht“ befindet sich das „MAK Design Labor“, das verschiedene Objekte der MAK Sammlungen unter Themenaspekten in Beziehung zueinander stellt. Ausgehend von künstlerischen Positionen befassen wir uns in dieser Ausstellung thematisch mit der Frage, wie sich die Beziehung zwischen den Dingen – aber auch zwischen Menschen und Dingen – gestaltet und sie wächst. Das ist ein zutiefst wichtiges Thema eines Museums und der Sammlung. Wir haben nicht erst seit smarten Technologien eine Beziehung zu Objekten. Latour und McLuhan haben schon vorgemacht, wie man diese komplexen Beziehungen kontextualisieren kann. Die Dinge sind quasi unsere Stellvertreter.

ARTinWORDS: Der Ausstellungstitel „ich weiß nicht“ klingt ein wenig skeptisch. Was wollt ihr damit sagen?

Marlies Wirth: „Ich weiß nicht“ ist der Titel einer Arbeit von Birgit Jürgenssen, von deren Inhalt wir das Konzept entsponnen haben. Er hat uns dann so gut gefallen – und man sagt das auch wahnsinnig oft in der Vorbereitung von Projekten. Wir fanden es irrsinnig schön und poetisch diesen Zustand zu beschreiben: was passiert, wenn man sich mit den Nebeneffekten unserer Dinge auseinandersetzt?

ARTinWORDS: Ihr beide beginnt die Gruppenausstellung mit der Fotoarbeit von Birgit Jürgenssen: Zu sehen ist ein eingeschneites Auto. Das Ding wird quasi von der Natur schachmatt gesetzt.

Marlies Wirth: Ja, man will, dass Dinge auf eine gewisse Weise funktionieren und für einen da sind. Das Auto, zum Beispiel, oder das Smartphone, das an einen Termin rechtzeitig erinnern soll. Wenn diese Dinge dann versagen, ist man auf sich alleine gestellt und man weiß nicht, was weiter passiert. Das kann einen Freiraum oder eine Handlungsunfähigkeit bedeuten. In dem Fall haben wir es metaphorisch interpretiert: das Auto, das wie eine zweite Haut der Künstlerin ist, ist in der Fotografie eingeschneit. Es ist nicht mobil, sie kann es nicht benutzen und muss sich einen eigenen Weg bahnen.

ARTinWORDS: Um bei deiner Metapher der zweiten Haut zu bleiben: Dinge wollen auch gepflegt werden.

Marlies Wirth: So ist es. Es geht auch viel um das Kümmern, damit die Dinge nicht versagen.

ARTinWORDS: Wo zum Beispiel?

Marlies Wirth: Die Arbeit von Sofia Goscinski: „I killed my Angsthase“. Man pflegt seine Zustände und versucht sie dann auch wieder abzugeben. So wie die Angst. Aber dann wird daraus das Ding, das in der Vitrine liegt. Es ist auch in der Sammlung des LENTOS Kunstmuseums und möchte gepflegt und bewahrt werden. Wir lassen die Dinge nicht einfach so los, sondern behalten sie bei uns, müssen uns darum kümmern. Die Dinge überdauern uns auch. Wenn wir weg sind oder losgelassen haben, bleiben Reste. Bei einer zweiten Arbeit von Sofia Goscinski hat sie die „Party Cups“ – Reste von zerbrochenen Plastikbechern – in Messing gegossen und diese Fragmente bleiben als Spur von etwas, das eigentlich ein ephemerer Zustand war, ein „get together“ oder die Eröffnung der Ausstellung.

ARTinWORDS: Und gleichzeitig ist in irgendwelchen zukünftigen Jahrhunderten das eine der Quellen.

Marlies Wirth: Ein Relikt, das ausgegraben wird, kann vermitteln, wie überhaupt ein Plastikbecher ausgesehen hat. Ein Ziel unserer Vienna Biennale ist es mit Hilfe von Technologien in Zukunft ressourcenschonendere Produktions- und Arbeitsweisen zu finden.

Wider die Zähmung der Dinge

ARTinWORDS: Was mich an dieser Ausstellung sehr beeindruckt hat, ist die Gegenüberstellung vereinzelter Arbeiten –  also die Art und Weise, wie ihr sie aufgebaut habt. Kannst du etwas zu diesem Konzept sagen?

Marlies Wirth: Wie der Untertitel „Wie die Beziehungen zwischen den Dingen wachsen“ sagt, sind wir von einem gewissen Pool an Arbeiten aus der Sammlung ausgegangen – wie den Werken von Padhi Frieberger oder Birgit Jürgenssen. Darauf aufbauend haben wir versucht, Counterparts und weitere Narrationsstränge zu finden bzw. Künstlerinnen und Künstler wie zum Beispiel Zin Taylor und Ute Müller einzuladen. Zin Taylor installierte „The Canyon“ als aktuelle, ortspezifische Zeichnung: „The Return to the Canyon“.

ARTinWORDS: Wird die nach Ende der Ausstellung übermalt werden?

Marlies Wirth: Die Wandarbeit ist nur für die Ausstellung hier, außer wir kaufen die Zeichnung an. Davor stehen Skulpturen von Ute Müller, die auch einen bestimmten Aspekt in ihrer Arbeit behandelt, der uns im Zuge dieser Beziehungsebenen interessiert hat.

ARTinWORDS: Welchen?

Marlies Wirth: Ute Müller beschäftigt sich mit Mechanismen der Übertragung und Übersetzung – von einem Medium ins andere. Ute Müllers Skulpturen wirken manchmal wie kleine Personifizierungen, die sie in unterschiedlichen Materialien realisiert. Es kann sein, dass eine Skulptur, die jetzt hier in Holz zu sehen ist, in einer anderen Ausstellung in einem anderen Material wiederauftaucht. Müller beschäftigt sich intensiv mit Material und Bedeutungstransfer: Sieht ein Objekt weich aus, ist es aber hart? In welchem Verhältnis stehen Material und Form zueinander?

ARTinWORDS: Wie steht dieses Objekt überhaupt?

Marlies Wirth: Ja, das ist ein Geheimnis. Es geht auch ums Ausbrechen. Die Frage, wie man die Dinge loswird. Wir haben das in unserem Katalogtext mit dem Zauberlehrling verglichen. Dort hört die Armee der Besen nicht mehr auf zu putzen, der Zauberlehrling ist nicht mehr Herr seiner Dinge. Die Gestalten machen was sie wollen. Sie haben ein Leben jenseits ihrer Schöpfer*innen. Das haben auch die Museumsobjekte manchmal. Nicht zuletzt brauchen wir auch hier Restauratoren bzw. müssen abstauben, weil die Objekte ihr eigenes Leben führen.

ARTinWORDS: Und Kuratoren, die jedes Mal eine andere Geschichte mit ihnen erzählen.

Marlies Wirth: Genau. Das Ausbrechen kann man in mehreren Arbeiten finden. Einerseits begegnet man dem eingeschneiten Auto, das auch raus will, Nilbar Güreş‘ „Escaping Cactus“ ist auch ein sehr gutes Beispiel. Der fliehende Kaktus ist eine Textilarbeit – eine Leihgabe aus Salzburg. Der Kaktus flieht aus dem Topf. Nilbar Güreş hat in einem Interview einmal erwähnt, dass er ein bisschen wie die Frau …

ARTinWORDS: Deshalb hat der Kaktus eine Masche auf - also die Kaktusblüte erinnert an einen Haarschmuck.

Marlies Wirth: Manchmal werden Frauen, die sich nicht an die Konventionen halten und nicht in ihren Töpfen bleiben, als widerspenstig bezeichnet. Das ist der Innbegriff des Kaktus: die Widerspenstigkeit.

ARTinWORDS: Gegen die Zähmung der Dinge.

Marlies Wirth: Dinge haben auch ein Eigenleben, und wir fanden diese Arbeit dafür pragmatisch. Paul Leitners „Paperjack“ spielt in dem Spiel von Einbrechen und Ausbrechen mit. Es ist der Versuch einer Sprengung durch den Wagenheber.

ARTinWORDS: Und versperrt dabei den Durchgang der einzelnen Sammlungsebenen.

Marlies Wirth: Misha Stroj schafft sich einen Stellvertreter, den er mit seinem eigenen Gürtel zu sich selbst erklärt. Dazu schreibt er: „Wir freuen uns bei der Ausstellung dabei zu sein“.

Natürliche Intelligenz und das Eigenleben der Dinge, Tiere inklusive

ARTinWORDS: Formal gesehen stehen die Werke auf der rechten Seite der Ausstellung dazu im Kontrast, finde ich.

Marlies Wirth: Dennoch setzt sich auch hier die Verselbständigung der Dinge fort. Die Arbeit von Kay Walkowiak wurde vom Papagei eines indischen Wahrsagers „gestaltet“. Der Künstler hat sich aus dem künstlerischen Prozess völlig herausgenommen. Normalerweise sagt der Papagei anhand der Karten das Schicksal vorher. Kay Walkowiak brachte selbst Farbkarten mit, die er aus der Farbpalette von Le Corbusier ausgewählt hat. Le Corbusier hatte diese Farbtöne auch in seiner Planstadt in Chandigarh in Indien verwendet. Walkowiak wollte vom Papagei wissen, welche Farben ihn als Künstler erfolgreich machen würden. Die Arbeit „Divine Monochromes“ besteht aus einem Video und Pigmentdrucken, die das Endresulat zeigen. Im Film sieht man, wie der Papagei die Farbkarten aus dem Stapel zieht. Wenn man in den anderen Ausstellungen der Vienna Biennale über Automatisierung spricht, und wer die Arbeit in Zukunft machen wird, dann findet man hier das Beispiel eines Papagei-Algorithmus.

ARTinWORDS: Der Papagei fungiert in dieser konzeptuellen Arbeit quasi als künstliche Intelligenz.

Marlies Wirth: Der Begriff Natural intelligence entspricht noch genauer dieser Vorstellung. Dieser Strategien folgend, macht Julian Palacz seine algorithmischen Zeichnungen, die „Surveillance Studies“. Er filmt verschiedene Plätze, an denen sich Menschen und Vehikel fortbewegen. Dabei werden Vektoren aufgezeichnet, die die Bewegungslinien dann in Form dieser Pigmentdrucke visualisieren. Schlussendlich werden flüchtige Bewegungen festgehalten. Etwas, das normalerweise nicht sichtbar ist wird mithilfe des Algorithmus aufgezeichnet und sichtbar gemacht.

ARTinWORDS: Die Überwachung wurde dabei ad absurdum geführt.

Marlies Wirth: Noch dazu! Man kann natürlich nichts erkennen. Es wird zu einer abstrakten Zeichnung. Allerdings zeichnen die Vektorlinien einen vorhersehbaren Weg weiter. Wenn man etwas ganz Unerwartetes tun würde, dann würde das der Vektor gar nicht aufzeichnen können. Das finde ich auch interessant, denn so könnte man sich der Berechenbarkeit dann wieder entziehen.

Fetisch-Mensch-Maschine

ARTinWORDS: Wie passt aber dann diese Skulptur des sehr berühmten österreichischen Künstlers Bruno Gironcoli in diesen Kontext?

Marlies Wirth: Wir haben von Bruno Gironcoli Arbeiten in der Sammlung, die beiden gezeigten Skulpturen haben wir allerdings eigens für die Ausstellung ausgeliehen. Dabei wird einmal mehr deutlich, dass Dinge zu Stellvertretern werden können und dabei häufig eine menschliche Gestalt annehmen: Hier zum Beispiel das Baby auf drei Beinen.

ARTinWORDS: Gironcoli wurde berühmt mit diesen Übergängen zwischen Mensch und Maschine.

Marlies Wirth: Für diesen Aspekt ist Gironcoli in Österreich ein Vorreiter.

ARTinWORDS: Mit Ausnahme der bereits verstorbenen Birgit Jürgenssen, Padhi Frieberger und Bruno Gironcoli sind sonst alle Positionen aktuell, oder?

Marlies Wirth: Wir haben uns bemüht, eine jüngere Generation zu zeigen. Aber auch Padhi Friebergers Arbeit ist „aktuell“. Gerade der Titel seines Werks „Ohne Künstler keine Kunst“, macht im Kontext der Ausstellung natürlich Sinn.

ARTinWORDS: Ich finde diese Ausstellung wirklich gut aufgestellt: Auf der einen Seite Padhi Frieberger, und gegenüber befinden sich die Wandzeichnung von Zin Taylor, der Papagei, der das künstlerische Produkt vorhersagt und mitbestimmt … Die Art und Weise, wir ihr die Arbeiten im Raum platziert habt, finde ich sehr gelungen.

Marlies Wirth: Danke! Sofie Thorsen zeigt eine Arbeit als Modell, die in größerer Form realisiert wird. Bei ihr geht es um verschwundene Kunstgüter. Man sieht auf den Landkarten, wie Gegenstände verschwinden. Wenn man sich eine Zukunft ohne Menschen vorstellt, eine Zukunft, die total roboterisiert und automatisiert ist, so bleiben immer noch unsere Stellvertreter auf Erden. Dieses Loslassen und Kümmern ist zutiefst menschlich. Wir brauchen Gegenstände, um über sie zu reden und uns über sie zu definieren. Ohne Dinge sind wir quasi nackt. Deshalb klammern wir uns an sie und möchten ihre Spuren verfolgen.

ich weiß nicht. Wie die Beziehungen zwischen den Dingen wachsen: Bilder

  • Sophie Thorsen, Ute Müller, dahinter Zin Taylor, Ausstellungsansicht „ich weiß nicht. Wie die Beziehungen zwischen den Dingen wachsen“ im MAK, 2017, Foto: Alexandra Matzner, ARTinWORDS.
  • Ute Müller, Zin Taylor, The Return to the Canyon, 2017 (Wandarbeit), Ausstellungsansicht „ich weiß nicht. Wie die Beziehungen zwischen den Dingen wachsen“ im MAK, 2017, Foto: Alexandra Matzner, ARTinWORDS.
  • Bruno Gironcoli (MAK), Ausstellungsansicht „ich weiß nicht. Wie die Beziehungen zwischen den Dingen wachsen“ im MAK, 2017, Foto: Alexandra Matzner, ARTinWORDS.
  • Nilbar Güreş, Escaping Cactus, dahinter Kay Wakowiak, Ausstellungsansicht „ich weiß nicht. Wie die Beziehungen zwischen den Dingen wachsen“ im MAK, 2017, Foto: Alexandra Matzner, ARTinWORDS.
  • Kay Walkowiak, Divine Monochromes, Video, 2016 und Padhi Frieberger, Ausstellungsansicht „ich weiß nicht. Wie die Beziehungen zwischen den Dingen wachsen“ im MAK, 2017, Foto: Alexandra Matzner, ARTinWORDS.
  • Nilbar Güreş, Escaping Cactus, Ausstellungsansicht „ich weiß nicht. Wie die Beziehungen zwischen den Dingen wachsen“ im MAK, 2017, Foto: Alexandra Matzner, ARTinWORDS.
  • Padhi Frieberger (MAK), Ausstellungsansicht „ich weiß nicht. Wie die Beziehungen zwischen den Dingen wachsen“ im MAK, 2017, Foto: Alexandra Matzner, ARTinWORDS.
  • Paul Leitner, Paperjack, 2017, Ausstellungsansicht „ich weiß nicht. Wie die Beziehungen zwischen den Dingen wachsen“ im MAK, 2017, Foto: Alexandra Matzner, ARTinWORDS.
  • Sofie Thorsen, Ausstellungsansicht „ich weiß nicht. Wie die Beziehungen zwischen den Dingen wachsen“ im MAK, 2017, Foto: Alexandra Matzner, ARTinWORDS.
Alexandra Matzner
Gründerin von ARTinWORDS * 1974 in Linz, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Romanistik in Wien und Rom. Seit 1999 Kunstvermittlerin in Wien, seit 2004 Autorin für verschiedene Kunstzeitschriften. Jüngste Publiktionen entstanden für das Kunsthaus Zürich, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Albertina und Belvedere in Wien.