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Max Weiler. Der Zeichner Zeichnungen und Aquarelle des österreichischen Malers

Max Weiler, Felsspalte, 1976, Pinsel in Tusche auf Papier © Yvonne Weiler.

Max Weiler, Felsspalte, 1976, Pinsel in Tusche auf Papier © Yvonne Weiler.

Max Weiler (1910–2001), langjähriger Akademieprofessor und zweimaliger Biennale-Teilnehmer (São Paolo 1955 und Venedig 1960), ist bislang vor allem für seine lebenslange Beschäftigung mit der Natur im Sinne eines Abstrahierens bekannt. Der Retrospektive in der Albertina gelingt es nun, dem künstlerischen Werk des in Tirol geborenen Malers viele weitere Facetten abzuringen oder besser diese aufzuzeigen. Mitnichten ging Weiler, wie dessen Bildtitel manchmal nahelegen würden, von einem realen oder geschauten Naturvorbild aus, um dieses abstrahierend zu verwandeln. Stattdessen beschäftigten ihn über 70 Jahre hindurch kontinuierlich und auf vielfältige Weise Form- und Kompositionsprobleme, wie die Fragen nach Figur und Grund, nach dem Verhältnis zwischen Figur und abstrakter Form oder der Spannung zwischen Fülle und Leere in einer Komposition.

Max Weiler in der Albertina

Malerei und Zeichnung – vielleicht wäre im Fall von Weiler bereits besser von Arbeiten auf Papier die Rede – ergänzen und bedingen einander, denn für den Künstler steht die Zeichnung gleichwertig neben dem ausgeführten Gemälde.  Von den etwa 3.500 existierenden Arbeiten auf Papier (davon ca. 300 Drucke) besitzt die Albertina knapp 100 Exponate. In der chronologisch gehängten Ausstellung sind 190 Werke aus allen Schaffensperioden zu sehen. Bereits Anfang der 50er Jahre erwarb Otto Benesch (1947 bis 1961 Direktor der Albertina) Zeichnungen und Aquarelle und nominierte Weiler 1955 auch für die Biennale in São Paolo. Seine Nachfolger Walter Koschatzky und Konrad Oberhuber erweiterten den Bestand kontinuierlich, so dass diese Retrospektive erstmals das grafische Œuvre derart umfassend und dicht würdigen kann.

Form und Leere

„Verwandlungen“ nannte Weiler eine Werkgruppe von Tuschezeichnung in der zweiten Hälfte der 50er Jahre, die nur mehr rudimentär an Naturformen erinnert. Werden in ihr Motive aus der Umwelt in abstrakte Formen transformiert, oder sind es abstrakte Formen, die an Naturmotive erinnern? Eine Antwort auf diese Frage kann eigentlich nur ein „sowohl-als-auch“ sein, wie die Weiler-Expertin Regina Doppelbauer schlüssig erklärt. Mit Freude am Experiment und der Überschreitung von Grenzen, die Weiler als Künstler lebenslang auszeichnen werden, suchte er in der Nachkriegszeit einen Neubeginn. In Auseinandersetzung mit den am französischen Kulturinstitut in Innsbruck gezeigten Werken der École de Paris und des Informel sowie der chinesischen und japanischen Landschaftsmalerei entfernte sich der Künstler von den zuvor entwickelten Naturkürzeln und begann sich intensiv mit Wahrnehmung und Deutungsmustern zu beschäftigen. Wenn diese Blätter auch abstrakt angelegt werden, so bleiben Figuren und Erzählungen immer spürbar. Oft streben Motive von den Bildrändern zur Mitte hin, die ihrerseits leer bleibt; und dennoch handelt es sich nicht einfach um ein Nichtbesetztsein durch eine Form, sondern um die Spannung zwischen Gestaltetem und Ungestaltetem, zwischen Figur und Grund, zwischen der Gestalt der Form und der Gestalt der Leere.

Zufall und Konzept

Anfang der 60er Jahre erfand sich Weiler als Zeichner neu. Inspiriert durch die Texte des mittelalterlichen Mystikers Meister Eckhart und der Zen-Philosophie, begann Weiler seine grafischen Notationen immer mehr zu reduzieren, manches erinnert an Kalligraphie, die Linie ist keine geschlossene oder gar beschreibende mehr. Dadurch wird eine potentielle Illusion von Wirklichkeit in der Zeichnung gleichermaßen widerlegt wie herausgefordert, sind die Blätter doch gleichzeitig als kunstvoll auf dem Bildgeviert verteilte Linienmuster zu lesen wie als skizzenhafte, schnell hingeworfene Notationen von Landschaft interpretierbar (oder zumindest in der Phantasie zu diesen ergänzbar). Dass dieses Arbeiten an der Grenze zwischen Figuration und Abstraktion bei Weiler nicht als ein Abstrahieren von Naturvorbildern, sondern als ein Hineinsehen von Landschaftselementen in abstrakte Formen vonstattenging, belegt der Zyklus „Wie eine Landschaft“ (1962-67) und das Ableiten von Kompositionen aus den sog. Probierbildern.  In den „Tag- und Nachtheften“ hielt Weiler dazu fest: „Es ist eine gewisse Zartheit vonnöten, ein scheinbarer Naturalismus, eine scheinbare Ähnlichkeit mit der Natur. Vor allem keine Vergewaltigung, weil dies das Verhältnis stören würde. Bei mir selbst ist es eine Neuschöpfung der Natur, ohne jeden Naturalismus, ein Neuhervorbringen von Baumartigem, Grasartigem, Wolkenartigem, Erdartigem, Blumenartigem, Luftartigem.“ (17.11.1972) Weiler entwickelte abstrakte Kompositionen aus Atelierresten, jenen Schmierpapieren, die beim Abwischen der Pinsel wie von selbst entstanden. 1963 begann er aus den Farbflecken Kompositionen zu generieren, indem er erst interessante Partien isolierte und dann in vielfacher Vergrößerung auf die Leinwand brachte. Erstmals kann nun nachgewiesen werden, dass dieses Verfahren auch für Tuschpinselzeichnungen wichtig war. Der „Ausschnitt“ aus einem Malrelikt, das von Weiler unbewusst Gestaltete wird bildwürdig und mittels verschiedener Materialien in eine neue Wirklichkeit übersetzt.

Max Weilers Großformate

Die Bedeutung, die Max Weiler seinen Arbeiten auf Papier zumaß, spiegelt sich ab den 60er Jahren auch in den immer monumentaler werdenden Formaten. Besonders Ende der 70er Jahre fand Weiler zu einer Größe, die wahrlich jeden Bilderrahmen sprengt und fast panoramatisch einer Vielzahl von Betrachtern gleichzeitig Erfahrungsmöglichkeiten offeriert. Es handelt sich bei diesen Zeichnungen mehr um raumöffnende, zur meditativen Auseinandersetzung einladende Bildschöpfungen, in denen der Künstler gattungsübergreifend arbeitet, d.h. zwischen Malerei und Zeichnung changiert. Der Gesamteindruck, der wandernde Blick, das sich Bewegen vor der Arbeit, die Beeinflussung der Atmosphäre im Raum sind kennzeichnen diese Zeichnungen. Umso mehr erstaunt, dass sich Max Weiler gleichzeitig auch wieder dem intimen Kleinformat zuwandte und so in dieser Schaffensphase in zwei Extremen arbeitete.

Weiler – Der Zeichner

An den in der Ausstellung gezeigten Bildern überraschen die vielfältigen und breit gefächerten Ausdrucksmöglichkeiten, die sich Max Weiler in seinem über 70 Jahren entstandenen Werk erarbeitete. Die Arbeiten auf Papier sind gleichermaßen Experimentierfelder wie abgeschlossene Werke, gefundene Formen treffen darin auf komponierte. Dahinter steht ein ewig suchender Künstler, dessen Werk noch immer zu sehr als ein – überspitzt formuliert – Produkt eines „Tiroler Alpenmalers“ gilt und zu wenig als ein unablässiges Forschen nach neuen Möglichkeiten der Abstraktion bekannt ist. Der Kosmos Weiler besteht aus Verwandlungen und Assoziationen, aus formalen Problemstellungen und transzendierter Naturerfahrung, aus Kalligraphie, Leere und expressiver Verdichtung – kurzum gleichermaßen aus Spuren der Suche wie kalkuliert gesetzten Linien.

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Alexandra Matzner
Gründerin von ARTinWORDS * 1974 in Linz, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Romanistik in Wien und Rom. Seit 1999 Kunstvermittlerin in Wien, seit 2004 Autorin für verschiedene Kunstzeitschriften. Jüngste Publiktionen entstanden für das Kunsthaus Zürich, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Albertina und Belvedere in Wien.