Die 2008 verstorbene Wiener Künstlerin Roswitha Ennemoser wird unter dem Titel „Konkretisierung“ erstmals einer breiteren Öffentlichkeit vorgestellt. Bereits im Jahr 2000 kuratierten Berthold Ecker und Wolfgang Hilger hinter dem Rathaus die Ausstellung „!Strenge Kammer?“, in der Konkrete Kunst aus Wien „in Erinnerung gerufen bzw. erneut oder auch erstmals zur Diskussion gestellt“1 werden sollte. Roswitha Ennemoser, die öfter in Russland als in Österreich ausstellte, wurde mit dieser Schau zur Jahrtausendwende im Zusammenhang mit der heimischen Kunstszene präsentiert. Die von Sonja Gruber und Maris Liška gestaltete Personale „Konkretisierung“ geht nun einen Schritt weiter: Sowohl die Entwicklung Ennemosers von einer Malerin expressiver Urwaldausschnitte zu einer Objektkünstlerin und Wahrnehmungstheoretikerin ist zu sehen, als auch eine systematische Aufarbeitung des Werks im begleitenden Katalog gelungen.
Österreich / Wien: MUSA
4.2. - 1.3.2014
Empfehlung
Erst mit 28 Jahren entschied sich die ausgebildete Kinderlogopädin Roswitha Ennemoser (Inzing, Tirol 1953–2008 Wien), an der Akademie der bildenden Künste in Wien bei Loys Egg zu studieren. Die frühesten Arbeiten in der Retrospektive des MUSA stammen bereits aus dem Jahr 1983. Bis zum Jahr 2007 entwickelte Ennemoser ein äußerst stringentes Werk, in dem sie Fragen von Räumlichkeit, Wahrnehmung anhand von einfachen, geometrischen Formen durchdekliniert. Sie arbeitet vor allem mit dem Quadrat und dem Würfel als Ausgangsformationen. In die zwei- und dreidimensionalen Körper aus gepressten Mehrschichtplatten schneidet sie zumeist geometrische Formen ein. Ennemosers „Spiel mit dem Quadrat“ trägt dabei nahezu immer eine erkenntnistheoretische oder eine wahrnehmungspsychologische Komponente.
Kaum vorstellbar, dass diese Wiener Künstlerin knapp nach ihrer Studienzeit von 1978 bis 1982 als Malerin von bildfüllenden Strauch- und Urwaldeinblicken angefangen hat. Schnell - bereits in den Jahren 1984/85 - begann sie jedoch die grünen, von Ästen, Blattwerk und Stämmen, die sie in Form einer G‘stätten am Wiener Südbahnhof gefunden hatte, durchzogenen Kompositionen, auf ihre dynamischen Qualitäten hin zu überprüfen und in Tuschezeichnungen zu reduzieren. Wie schnell hingeworfene Notationen oder auch asiatische Kalligrafien wirken die von wenigen Strichen durchzogenen Blätter. Manche lassen noch die Assoziation an Vegetatives aufkommen, andere erinnern an tanzende Figuren. In den folgenden beiden Jahren 1986/87 verfestigten sich diese sparsamen, klein- bis mittelformatigen Skizzen zu abstrakt-expressiven Gemälden. Ennemosers Striche verdichteten sich zu Strichlagen mit trockenem Pinsel. Spröde und rau wirken sie, Schnelligkeit und Kraft der Striche gehören zu ihren bestimmendsten Charakteristika.
Von diesen Gemälden war es scheinbar nur ein kleiner Schritt hin zu Konstruktionen aus Holz, die die Künstlerin ab 1987 fertigte. Gleichzeitig ist in ihrer Malerei ein Nachdenken über Vorder- und Hintergrund bemerkbar. Sie begann nicht nur Rundungen in ihre Bildsprache einzuführen, sondern auch die Fläche zwischen den Linien mit Farben zu füllen. So ergibt sich m.E. einerseits ein „dekorativer“ und andererseits ein „konstruktiver“ Eindruck ihrer jüngsten Gemälde. Die Malerei trat in den folgenden Jahren in den Hintergrund, bis Ennemoser ab 2000 sich ausschließlich auf die Objektkunst konzentrierte.
„Bögen“ (1988) wirkt wie eine dreidimensionale Umsetzung der Eitempera-Zeichnung „Bogenstriche“ aus dem Jahr davor. Ennemoser konstruierte gebrochene Linien als Striche. Sie lässt die Fertigung als solche sichtbar werden, indem sie die aussagekräftigen Linien mit Schwarz nachzeichnete. Diesen Dialog zwischen Zeichnung/Malerei und Objektkunst entwickelte Ennemoser weiter, wobei die Gemälde ab dem Jahr 1991 nicht nur innerhalb eines abgeschlossenen Bildfeldes sich entfaltet, sondern kleine „Satelliten“ bekam: Die flächig gewordene Malerei wird auf eine nicht grundierte, ockerfarbene Leinwand gesetzt, schmale Rahmen fassen die begleitenden Bilder ein. Weiß, Rot, Schwarz kristallisieren sich als die wichtigsten Farben heraus.
Ab dem Jahr 1992 entschloss sich Roswitha Ennemoser, die gestische Malerei zugunsten eine flächigen Gestaltung von Farbfeldern aus ihrem Werk zu eliminieren. „Form. Raum. Farbe“ (1995) titelte eine Ausstellung im russischen Nischni Nowgorod, an der Roswitha Ennemoser teilnahm, und die sie mit der internationalen Konkreten Kunst in Verbindung brachte. Die vormals rechteckigen Bildträger werden nun selbst zum Träger von Informationen, zurechtgeschnitten, mit quadratischen „Fenstern“ versehen und von fragilen Strukturen begleitet. Sofort stellt sich die Frage nach der Größen im Verhältnis zueinander, oder einfacher ausgedrückt: Passen die kleinen Quadrate in die ausgeschnittenen Flächen? Automatisch werden die einzelnen Elemente in Verbindung zueinander gebracht. Immer wieder ist es - über die Formvariationen hinaus – aber auch die Farbe, die Ennemoser mit Kalkül und Gespür einsetzt. Sonja Gruber weist in ihrem Katalogbeitrag auf den Dialog mit Malewitschs Quadrat hin (→ Von Chagall bis Malewitsch. Die russischen Avantgarden), der interessanterweise in Russland selbst „Erstaunen hervorrief“2.
Mitte der 90er Jahre wagte die Wiener Künstlerin den Sprung von der zweidimensionalen Arbeit an der Wand zu stärker in den Raum sich entwickelnden. Die von ihr eingesetzten Strukturen werden immer komplexer. Die vormals scheinbar einfache Frage nach einer Passgenauigkeit wird nun zugunsten einer vielschichtigen optischen Wirkung der rhythmischen Objekte zurückgedrängt. Immer wieder ist es das Quadrat, das die Künstlerin als Ausgangspunkt nimmt: Sei es als gemalte Fläche, wobei die Farbe diese über Körpergrenzen hinweg definiert und „zusammenhält“, oder als Grundform ihrer Körper. Die Vielteiligkeit der Objekte steigert sich in den 90er Jahren zu Serien von Würfeln, die an der Wand montiert und mit Millimeterpapier beklebt, auch zu Trägern von Farbexperimenten werden können. Immer wieder sind es Fragen der Wahrnehmung oder besser der Illusion, die mit viel Geschick und dadurch auch hintergründigem Witz vorgetragen und auf den Prüfstand gestellt werden. Illusion entsteht vor allem dort, wo die Euklidische Geometrie auf den Erfahrungsraum trifft und letzterer mit Hilfe ausgeklügelter Farbkonzepte gewinnt. Es darf daher mit Fug und Recht behauptet werden, dass Ennemoser als Objektkünstlerin, die das Material ihrer Kuben in ihrer „Fremdheit“ erhält und den Raum zwischen ihren Objekten genauso wichtig hält,3 doch immer auch eine Malerin geblieben ist.
Die Ausstellung entpuppt sich als eine genauso erkenntnisreiche wie amüsante Zusammenstellung eines interessanten Werkkomplexes, der sich völlig losgelöst von der Wiener Kunstszene entwickelte. Ennemoser ein Werk, das sich zwar als Objektkunst klassifizieren lässt und sich deutlich als raumgreifende Formen präsentiert, das aber genauso gut eine visuelle (malerische) Seite hat, mit der Ennemoser die Raumwahrnehmung relativiert. Die Objektkunst Ennemosers ist von dieser Seite betrachtet, ein ewiges Experimentieren mit dem Quadrat und dem Würfel als Möglichkeiten, sowohl abstrakte als auch konkrete Räume zu aktivieren. Die hohe Reflexionskraft, das analytische Potenzial und die ständige Infragestellung auch ihrer eigenen Praxis sind in den Objekten omnipräsent, drückte aber niemand besser aus als sie selbst:
„Im Bewusstsein, dass meinen Arbeit nur ein Ausschnitt meines EIGENEN Denkmusters ist, deklariere ich sie als irrelevant hinsichtlich des Gesamtkontextes. Begriffe sind Begriffe. RÄUME sind RÄUME. Experimente sind Experimente.“4