Weltmuseum Wien: Hoch- und Alltagskultur aus der ganzen Welt
0

Weltmuseum Wien: Hoch- und Alltagskultur aus der ganzen Welt Neuaufstellung der Wiener Sammlung in der Hofburg

Altmexikanischer Federkopfschmuck „Penacho“ Mexiko, Azteken, frühes 16. Jahrhundert, Federn von Quetzal, Kotinga, Rosalöffler, Cayenne-Fuchskuckuck, Eisvogel; Holz, Fasern, Papier, Baumwolle, Leder, Gold, Bronze, vergoldet, 116 x 175 cm (Weltmuseum Wien)

Altmexikanischer Federkopfschmuck „Penacho“ Mexiko, Azteken, frühes 16. Jahrhundert, Federn von Quetzal, Kotinga, Rosalöffler, Cayenne-Fuchskuckuck, Eisvogel; Holz, Fasern, Papier, Baumwolle, Leder, Gold, Bronze, vergoldet, 116 x 175 cm (Weltmuseum Wien)

Die langerwartete Wiedereröffnung des Weltmuseum Wien 2017 bringt den „Dialog der Kulturen und der Menschen“ in das Herz von Wien, wie Generaldirektorin Sabine Haag betont. Nach mehrjährigen Diskussionen erzählen 3.127 Objekte auf 2.500 m² Geschichten aus der ganzen Welt und lassen Geschichte lebendig werden. Mit den knapp über 3.000 ausgestellten Objekten und Werken ist allerdings nur ein Bruchteil – genauer 1,5 % – der insgesamt 250.000 ethnographischen Gegenstände sowie 140.000 historischen Photographien und 146.000 Druckwerke in der Bibliothek präsentiert. Eine Sonderausstellungsfläche von 1.400 m² ermöglicht einmal mehr in Zukunft temporäre Präsentationen, mit denen das Weltmuseum Wien an seine eigene erfolgreiche Ausstellungsgeschichte anschließen möchte.

Provenienz als Leitmotiv: die Neupräsentation der Sammlung

Was sind die Stärken des Weltmuseum Wien? In den letzten 200 Jahren gelangten außergewöhnliche Sammlungen aus dem Pazifik, aus Afrika, Mittel- (Meso-) und Südamerika nach Wien. Im kolonialen Projekt Europas war Österreich eher ein Zuschauer am Rande, auch wenn am Wiener Kongress 1814/15 einige Weichenstellungen zur Aufteilung der Welt gesetzt wurden. Die Sammlungen bezeugen für Direktor Steven Engelsmann jedoch „das große Interesse an der weiten Welt“. Als „Bezirksmuseum für etwa 800.000 Menschen mit Migrationshintergrund in Wien“, fügt er hinzu, als Ort der kulturellen Bildung, als Speicher der Geschichten unterschiedlichster Kulturen. Dazu kommen natürlich noch einige Objekte, die weltweit einzigartig sind. Das berühmteste Stück ist zweifellos der „Penacho“, ein altmexikanischer Federkopfschmuck aus dem frühen 16. Jahrhundert. Der „Federumhang [Munduruku]“ (um 1830) aus Rio Tapajos, Brasilien, ein „Federtempel [hale waiea]“ (1778/79) aus Hawai’i, Polynesien, der mit der dritten Weltumsegelung von James Cook nach Europa kam (→ Sonderausstellung zu den Weltumsegelungen von James Cook). Aus der berühmten Sammlung zum Königtum Benin stammen „Zwei Hofzwerge“ (14./15. Jh.), dazu ein nordvietnamesischer „Kesselgong“ (2./1. Jahrhundert v. Chr.), ein balinesischer oder javanischer „Kris mit bemalter Scheide“ (16. – frühes 17. Jh.) – all diese Gegenstände gelten als weltweit einzigartig oder außergewöhnlich selten.

Provenienz wird zum Leitmotiv der neuen Präsentation, womit sich auch die Perspektive in jedem der 14 Säle verschiebt. Franz Ferdinands Weltreise 1892/93 wird im Saal „Museomanie. Ich leide an Sammelwut“ thematisiert. In diesem Saal treffen Kulturen der ganzen Welt zusammen, denn der Erzherzog segelte nicht nur einmal um den ganzen Globus, sondern begab sich dabei auch auf interkulturelle Shopping-Tour. Knapp 100 Jahre zuvor hatte Franz I. ein Drittel der Cook-Sammlung ersteigert, die nach dem Bankrott des privaten Museums in England offensichtlich kein Interesse erregte und dadurch nach Österreich kam. In neun Sälen werden die Objekte mit historischem und regionalem Zugang präsentiert, weitere fünf sind „Diskurssäle“ für Fragestellungen. Subjektive Texte von so genannten „Talking Heads“ ergänzen die Schausammlung um persönliche Ansichten und Kommentare.

Seien es ökonomische Beziehungen, religiöse oder verwandtschaftliche, sei es die befruchtende Begegnung zwischen den Menschen (auch in Form von Migration), sei es das Bedürfnis Erfahrungen zu sammeln, zu lernen oder zu entdecken – ein Weltmuseum enthält zwar nicht die ganze Welt, aber es spiegelt in einigen Dingen Fragen der Menschheit, um nur einige zu nennen: Geburt/Leben/Tod, Familie und Kindheit, Repräsentation, Beziehung zu Göttern bzw. dem einen Gott.

Sonderausstellungen anlässlich der Eröffnung

Zur Neuaufstellung der Dauerausstellung kommen noch fünf Sonderausstellungen von zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern, die über Kolonialismus nachdenken, Interventionen einführen, Dinge zum Sprechen bringen, Kinder nach ihren Erfahrungen befragen u.v.m.

Sharing Stories | Dinge sprechen: 150 Ding-Geschichten, erzählt von Wienerinnen und Wienern. 20 davon von Tal Adler fotografisch porträtiert bzw. in Videointerviews erläutert, führen das Museum in den gesellschaftlichen Raum des heutigen Wien über.

Rajkamal Kahlon, Staying with Trouble: Während ihres zweimonatigen Aufenthalts am Museum beschäftigte sich die in Berlin lebende und aus den USA stammende Künstlerin Rajkamal Kahlon (* 1974) im Besonderen mit ethnographischen Portraitphotographien im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert auseinander. Sie überarbeitete eine Publikation (aus dem Antiquariat) und „überzeichnete“ die bildlichen Darstellungen „fremder Völker“.

Pop-Up World, Erzählungen: Kuratorinnen und Kuratoren erzählen Geschichten über ihre Lieblingsobjekte, die es nicht in die Dauerausstellung geschafft haben. Im Buch zum Weltmuseum Wien, das sich deutlich vom klassischen Ausstellungskatalog abgrenzt, sind diese Geschichten in die Aufzählung der historischen Exponate eingefügt.

Lisl Ponger, The Master Narrative: Die bekannte Wiener Künstlerin Lisl Ponger bringt ihr MuKul, ihr (fiktives) Museum für fremde und vertraute Kulturen, in das Weltmuseum Wien. Aneignung fremder Artefakte, das Eigene und das Fremde sind wichtige Bezugspunkte ihrer fotografischen Arbeiten.

Dejan Kaludjerović, Conversations: Zwischen 2013 und 2017 interviewte Kaludjerović Kinder im Alter von 6 bis 10 Jahren und stellte ihnen eine Reihe von einfachen, aber provokativen Fragen. Antworten von jungen Menschen aus Russland, Aserbaidschan, Israel, im Iran und seinen „Heimatländern“ Österreich und Serbien werden im Weltmuseum Wien zusammengeführt und mit Spielstätten, an denen Dejan Kaludjerović die Gespräche geführt hat, inszeniert.

Geschichte des Weltmuseum Wien

Die Sammlung des Weltmuseum Wien (vormals: Völkerkundemuseum) wurde seit dem 16. Jahrhundert von den Habsburgern – aber auch anderen Sammlern zusammengetragen. Als Basis darf die so genannte „Ambraser Sammlung“ von Erzherzog Franz Ferdinand II. (1529–1595) gelten. 1806 erbte Kaiser Franz I. (1768–1835) diese bedeutende Kollektion und ließ sie von Innsbruck nach Wien bringen. Noch im selben Jahr ersteigerte Kaiser Franz I. bei einer Auktion in London Natur-Exponate sowie über 200 ethnographische Objekte aus Ozeanien und Nordamerika aus der Sammlung des Seefahrers und Entdeckers James Cook (1728–1779). Damit gelangte die „Gründungssammlung“ des heutigen Weltmuseum ebenfalls nach Wien – und begründete die kaiserliche Ethnographische Sammlung. Diese inspirierte weitere Forscher und Mitglieder des Kaiserhauses zu ausgedehnten Reisen, von denen sie unzählige Objekte und Artefakte mitbrachten.

Brasilien ist in der Sammlung aufgrund der Heiratspolitik der Habsburger gut vertreten: 1817 „übersiedelte“ Leopoldine mit ihrem Ehemann nach Brasilien. Die vierte und überaus gebildete Tochter von Kaiser Franz I. war von Staatskanzler Metternich mit dem portugiesischen Thronfolger, Dom Pedro (1798–1834) verheiratet worden. Nach dreimonatiger Reise im November 1817 hielt sie feierlich Einzug in Rio de Janeiro. Dass 1822 Dom Pedro die Unabhängigkeit Brasiliens verkündete, dürfte ihrem Einfluss zu verdanken sein. Für die Sammlung des Weltmuseum war entscheidend, dass auch Künstler und Naturwissenschaftler die Reiser der Erzherzogin und späteren Kaiserin von Brasilien begleiteten und bis 1836 Exponate nach Wien schickten.

Musealisierung und Öffentlichkeit

Öffentlich zugänglich wurde die kaiserliche Sammlung im Jahr 1821, als die Cook-Artefakte neben der Ambraser-Sammlung im Unteren Belvedere aufgestellt wurden. Im gleichen Jahr richtete man im Harrach'schen Stadtgebäude in der Johannesgasse das das „Brasilianische Museum“ ein (bis 1836). 1876 erfolgte die Gründung des k.k. Naturhistorischen Hofmuseums (heute: Naturhistorisches Museum), die anthropologisch-ethnographische Sammlung war eine von fünf Abteilungen. Das historistische Gebäude am Ring wurde 1889 eröffnet.

Erweiterungen der Sammlung brachte vor allem die Weltumsegelung der österreichische Fregatte Novara (ab 1857). Aber vor allem zur Jahrhundertwende vergrößerte der Sammlungsleiter Franz Heger die Bestände um sage und schreibe 60 Prozent, darunter die Sammlung der brasilianischen Baronin Manada Loret. Als „Sammlung Este“ kamen 1912 die auf der Weltreise des Thronfolgers Franz Ferdinand (1892/93) zusammengetragenen Objekte ins Museum. Man stellte sie noch vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs im Corps de Logis der Neuen Burg auf, wo sich auch heute das Weltmuseum befindet. Nach Ende des Kriegs wurde die „Sammlung Este“ der Ethnographischen Abteilung des NHM eingegliedert.

Die Ausgliederung der Ethnographischen Abteilung erfolgte 1924, zwei Jahre später übersiedelte sie in die Neue Burg. Das Publikum konnte ab dem 25. Mai 1928 die Artefakte im Museum für Völkerkunde besichtigen. Nach Kriegsende 1945 diente das Museum zuerst als Lazarett und anschließend als Orthopädisches Spital. Die wichtigste organisatorische Veränderung erfolgte in der Zweiten Republik im Jahr 2001 mit der Museumsreform, durch die das Museum für Völkerkunde in den KHM Museumsverband eingegliedert wurde.

Seit 2004 ist das Museum für eine umfassende Renovierung geschlossen gewesen, die Sammlung war nur in Rahmen von Sonderausstellungen zugänglich. Der 2012 bestellte Direktor Steven Engelsman konnte gemeinsam mit KHM-Generaldirektorin Sabine Haag und Geschäftsführer Paul Frey die Neukonzeption des Museums und eine Finanzierungszusage über 27,5 Mio. Euro von der Bundesregierung aufstellen. Nicht nur der Name ändert sich in „Weltmuseum Wien“ (seit 2013), sondern auch die Präsentation der Schausammlung. Diskussionen um das geplante Haus der Geschichte und den Tiefspeicher der Nationalbibliothek machten in den folgenden Jahren Verkleinerungen nötig: Die Gesamtkosten betrugen 21,8  Millionen Euro; 19,8 Millionen Euro finanziert durch die Republik Österreich (BKA und BMWFW) und 2 Millionen Euro durch Eigenmittel des KHM Museumsverbandes.1 Ralph Appelbaum Associates und Gareth Hoskins Architects zeichneten für die architektonische Gestaltung verantwortlich.

Sammlungen und ihre Leitungen

  • Afrika südlich der Sahara | Nadja Haumberger, Kuratorin ad interim
  • Nordafrika, Vorder-, Zentralasien und Sibirien | Axel Steinmann, Kurator
  • Ostasien: China, Korea, Japan | Bettina Zorn, Kuratorin
  • Insulares Südostasien | Sri Kuhnt-Saptodewo, Kuratorin
  • Süd-, Südostasien, Himalayaländer | Christian Schicklgruber, stellvertretender Direktor, Chefkurator, Kurator und designierter wissenschaftlicher Direktor (mit 1.1.2018)
  • Ozeanien und Australien | N.N.
  • Nord- und Mittelamerika | Gerard van Bussel, Kurator
  • Südamerika | Claudia Augustat, Kuratorin
  • Photosammlung | Manfred Kaufmann, Kurator
  • Museumsbibliothek | Heinz Gratzer
  • Archiv | Ildikó Cazan-Simányi

Weltmuseum Wien: Bilder

  • Altmexikanischer Federkopfschmuck „Penacho“ Mexiko, Azteken, frühes 16. Jahrhundert, Federn von Quetzal, Kotinga, Rosalöffler, Cayenne-Fuchskuckuck, Eisvogel; Holz, Fasern, Papier, Baumwolle, Leder, Gold, Bronze, vergoldet, 116 x 175 cm (Weltmuseum Wien)
  • Federumhang Munduruku, Rio Tapajos, Brasilien um 1830, Federn von Ara und Mutum, Baumwolle, B. 110 cm (Weltmuseum Wien)
  • Federtempel (hale waiea), Hawai’i (Polynesien) 1778/79, Federn des hawaiianischen Türkisvogels, Schildpatt, Luftwurzeln der ’ie’ie-Pflanze (Freycinetia arborae), Pflanzenfaserschnüre, H. 59 cm, L. 20 cm, B. 8 cm (Weltmuseum Wien)
  • Zwei Hofzwerge, Königtum Benin, Nigeria, 14./15. Jh. Gelbguss H. 59 cm; H. 60 cm
  • Bodhisattva Jizō, Japan frühe Edo-Periode (1600–1868), Holz, polychrome Fassung, Goldlack, Glas, Messing H: 68 cm (Weltmuseum Wien)
  • Kesselgong, Nordvietnam, 2./1. Jahrhundert v. Chr., Kupferlegierung, H. 53 cm, D. 70 cm (Weltmuseum Wien)
  • Kris mit bemalter Scheide, Bali/Java 16.–frühes 17. Jh., Stahl, Nickeleisen, damasziert, Holz, Pigment, L. (Klinge) 44 cm, (Scheide), 48 cm, B. 9 cm (Weltmuseum Wien)
  • Erasmus Franciscus, Ost- und West-Indischer wie auch Sinesischer Lust- und Stats-Garten, Nürnberg 1668, Leder, Papier, H. 34 cm, B. 24 cm (Weltmuseum Wien)
  • Bonfils, Felix oder Adrien, Wasserträger in Kairo, um 1870, Abzug, handkoloriert, 27,7 x 21,5 cm (Weltmuseum Wien)
  1. Der KHM Museumsverband erhält das Wien Museum für den laufenden Betrieb 4,82 Millionen Euro, die gerade ausreichen, um die Personalkosten, Miete etc. zu begleichen.
Alexandra Matzner
Gründerin von ARTinWORDS * 1974 in Linz, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Romanistik in Wien und Rom. Seit 1999 Kunstvermittlerin in Wien, seit 2004 Autorin für verschiedene Kunstzeitschriften. Jüngste Publiktionen entstanden für das Kunsthaus Zürich, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Albertina und Belvedere in Wien.