Was bedeutete es wohl für Edmund de Waal für eine Ausstellung nach Wien eingeladen zu werden? Beim Pressegespräch fand er dafür keine Worte, sie waren für ihn, der seine Familiengeschichte in Romanform aufgearbeitet hatte, nicht fassbar. Stattdessen schuf er im Theseustempel einen weißen Raum, meditative Grundstimmung und ein musikalisches Werk aus unzähligen, kleinen, aber individuell geformten Porzellanbechern in zwei Vitrinen. Das Regal erinnern nicht von ungefähr an eine aufgeschlagene Doppelseite einer Publikation.
Wien / Volksgarten: Theseustempel
30.4. - 5.10.2014
Wir lagen
schon tief in der Macchia, als du
endlich herankrochst
Doch konnten wir nicht
hinüberdunkeln zu dir:
es herrschte
Lichtzwang
(Paul Celan, Lichtzwang, 1970)
Kunsthistorisch ist de Waals Werk reich an Referenzen: An Minimal Art und Serialität zu denken, ist dabei nur eine Möglichkeit. De Waal schätzt das weiße, manchmal reinweiße Porzellan wegen seiner starken historischen Konnotation, als Produkt der fernöstlichen Hochkulturen in China und Japan wie als Kostbarkeit europäischer Manufakturen. Die „Becher“, „vessels“, wie er sie selbst nennt sind klein, fragil und schnell gemacht. Auf den ersten Blick wirken sie in ihrer Handwerklichkeit und ihrer Reduktion auf das Wesentliche wie Werke eines tief im Zen-Buddhismus verankerten Menschen, mehr östlich als westlich inspiriert. Die Individualität eines jeden einzelnen Stücks steht unaufdringlich im Vordergrund, was sich allerdings erst bei genauer Betrachtung zeigt. Die Becher tragen Spuren der Atelierarbeit nicht nur in, sondern auch für genaue Beobachter auf sich, sind ihre Wände doch von der Töpferscheibe und den Fingerspuren des Künstlers geprägt und ihre Unterseiten von durch hölzerne Spateln geformt. Die Signatur des Künstlers zeigt sich als rechteckige Vertiefung, die einst das chinesische Schriftzeichen für China trug und nach Jahren der Arbeit zu einem anonymen und doch ausreichenden Stempel geworden ist.
Kann Sprache fassen, was mit einem Kunstwerk ausgedrückt werden soll? Edmund de Waal gelingt es, den Tempel mit seinem wandernden Licht eine Sphäre des Sakralen zurückzugeben, denn das Heilige verlangt Geheimnis, Wunder, Langsamkeit und Stille. Was die in einem bezwingenden Rhythmus präsentierten, weißen Objekte erzählen, bleibt im Dunkeln. Der „Lichtzwang“ zeigt sich, wenn im Tagesverlauf die Sonnenstrahlen die Wände abtasten, von den verschieden glasierten und versilberten Objekten reflektiert oder von den unglasierten Bechern geschluckt werden. Die totale Reflexion, sozusagen der Höhepunkt der Lichtemanation, macht das Werk nahezu unsichtbar. Schwer, hier keine Assoziation mit dem Metaphysischen zu haben.
Als Edmund de Waal darüber nachdachte, wie er diesen herausfordernden, weil offenen Raum mit seinen Objekten füllen könnte, las er gerade obsessiv Gedichte von Paul Celan (1920–1970). Der jüdische Autor war in der Nachkriegszeit in Paris für seine Wiedererlangung der Sprache nach den Gräuel der NS-Herrschaft berühmt geworden. Celan fand in der Sprache, wie er es selbst formulierte,
„etwas […] Immaterielles, aber Irdisches, Terrestrisches, etwas Kreisförmiges, über beide Pole in sich selbst Zurückkehrendes und dabei – heitererweise – sogar die Tropen Durchkreuzendes –: ich finde... einen Meridian.“1
Vielleicht lässt sich diese Sprachphilosophie auch auf die Objekte von de Waal anwenden. Sie tragen seine persönliche Handschrift nicht nur an ihrer Oberfläche, sondern auch in ihrer Maßstäblichkeit, spiegeln sie mit ihrer Größe (oder besser Kleinheit) die Hand und die Zurückhaltung ihres Schöpfers wider. In den letzten Jahren weist Edmund de Waals Arbeit einen deutlichen Zug in Richtung Reduktion auf: Während er 2007 für „a line around a shadow“ noch verschiedene Größen formte und die Becher in einer scheinbar unendlichen Reihe positionierte, führte er für die weiße Installation „breathturn, I“ und die schwarze mit Titel „Atemwende“ (beide 2013) in der Gagosian Gallery, New York, bereits die Vitrine als Motiv ein. Sie hält zusammen, schützt und trennt doch die Objekte deutlich von der Außenwelt, unterstreicht ihre Schutzbedürftigkeit als Kunstwerke.
Die Anschmiegsamkeit der feuchten Porzellanmasse, zu harten und doch fragilen Objekten gebrannt, glasiert mit sieben, kaum unterscheidbaren Weißtönen oder unglasiert, leicht bläulich-weiß schimmernd belassen, rhythmisch zu Gruppen angeordnet, von zwei weißen, an Buchseiten aber auch an Bücherregale erinnernde Vitrinen zusammengehalten. Weniger ist mehr, Reduktion auf das Wesentliche. Einige bewusste Setzungen, mehr Andeutung von Notation als Welterklärung und Narration. Wie das Schreiben eines Gedichts? Schwer, hier nicht an Poesie zu denken.
Unter dem Titel „During the Night. Edmund de Waal trifft Albrecht Dürer“ wird Edmund de Waal 2016 eine „Artist`s Choice“-Ausstellung im KHM gestalten. Man darf gespannt sein, wie er in zwei Jahren die Sammlungsobjekte mit seinen Werken in Korrespondenz bringen wird.
1964 in Nottingham geboren
ab 2004 Professor für Keramik an der University of Westminster in London
2010 publizierte de Wall seine Familiengeschichte unter dem Titel „Der Hase mit den Bernsteinaugen“ („The Hare with the Amber Eyes: a Hidden Inheritance“)