Der amerikanische Medien- und Objektkünstler Bruce Nauman (*1941) ist einer der bedeutendsten Künstler der Gegenwart und zweifacher Preisträger des Goldenen Löwen der Biennale von Venedig (1999 Goldener Löwe und 2009 Goldener Löwe für den besten nationalen Beitrag). Seit Mitte der 1960er Jahre kreist Naumans Werk um die Grundbedingungen des Menschseins. Anfangs befragte er seinen eigenen Körper (Bewegung und Denken) in Performances, die er in Videoarbeiten festhielt. Zwischen 1970er und den späten 1980er Jahren arbeitete er mit Akteuren, entwarf ab 1969 Erfahrungsräume, Architekturmodelle und Videoinstallationen sowie seine bekannten Neonarbeiten zu Sex und Gewalt bzw. Sprache. Als er wieder zu Mensch und Tier zurückkehrte, wurden Körperfragmente erneut wichtige Ausdrucksmittel seiner Kunst. Die Schau in der Nationalgalerie im Hamburger Bahnhof in Berlin führt anhand der Sammlung von Christian Flick in Leben und Werk des US-Künstlers ein.
Deutschland | Berlin: Nationalgalerie im
Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart
28.5. – 10.10.2010
...Ich denke, Kunst beginnt mit der Fähigkeit zu kommunizieren, nicht mit einer Masse von Informationen, sondern mit einer Erfahrung...“ (Bruce Nauman)
Bruce Nauman untersuchte in seinen frühen Performances ein „Denken des Körpers“, das er ab 1965 in betont einfachen Handlungsabläufen in Videos festhielt und damit sowohl die Bildhauerei wie die Medienkunst enorm mitprägte (→ Skulptur seit 1946). Für Bruce Nauman hat Denken etwas mit dem Körper in Aktion zu tun – und anfangs als Interaktion mit herumliegenden oder geschaffenen Dingen in seinem Atelier, später mit der (von ihm veränderten) Umgebung. Meist sind aber nur Fragmente seines Körpers und des Raumes zu sehen. Symptomatisch für diese eingeschränkte Wahrnehmung ist die unbewegliche Kamera. Körper und Raum stehen dabei für das Selbst und die Welt, das Kameraauge symbolisiert die Ausschnitthaftigkeit und Fragmentierung der Wirklichkeitsaneignung. Nauman setzte diese Überlegungen zur künstlerischen Arbeit sowohl in einfachen Handlungsabfolgen, die körperlich anstrengend sind, selbst vor der Kamera um, oder instruierte Akteure für Performances. Gleichzeitig arbeitete er aber auch bildhauerisch und schuf Objekte, die an Regale, Stelen und Bodenarbeiten erinnern.
„Der Zusammenhang besteht für mich darin, dass ich ins Atelier gehe und dort etwas tue. Manchmal schließt dieses Tun ein, dass ein Produkt entsteht, und manchmal ist das Tun selbst das Produkt.“1 (Bruce Nauman, 1970)
Ausgehend von der Überzeugung, dass „das Subjekt in seiner Selbsterkenntnis als an seinen Körper gebunden wahrgenommen wird“2, entsteht für Nauman Erkenntnis über das Selbst und Welt immer auf der Wahrnehmungsbasis Körper. Naumans Beschäftigung mit Fragen des zeitgenössischen Tanzes (Merce Cunningham) in den Jahren 1968/69, das körperliche Ausloten des Raumes führten ihn zum Entwerfen von Architekturen, die in Form von Korridoren, Tunneln und Räumen meist visuell und akustisch einengende, beängstigende Wirkung haben. Entweder sind sie eng und/oder mit kalten Neon-Röhren-Licht ausgestattet, oder als Modelle unterirdischer Tunnelsysteme von Dunkelheit bestimmt. Macht, Ohnmacht, Handlung, Kontrolle gehören zu den wichtigsten Erfahrungssituationen, mit denen die Benutzerinnen und Benutzer von Bruce Naumans Korridoren sich ausgesetzt finden. Diese Raumkonstruktionen sind explizit politisch zu lesen, wollte der Künstler doch mit ihnen Gewalt und Terror in Südamerika und Südafrika anprangern. Vor allem in „South America Triangle“ (1981) thematisierte Bruce Nauman politische Folter, zu der er durch V.S. Naipaul „The Return of Eva Peron with The Killing in Trinidad“ (1980) inspiriert wurde. Seine Wut über das asynchrone Verhältnis von Macht und Unterlegenheit kanalisierte Nauman in skulpturalen Arbeiten, aus denen der Körper verschwunden ist. Gleichzeitig suchte er, die Rezipientinnen und Rezipienten für die Gewalt der Sprache, die Gewalt der Systeme zu sensibilisieren.
„Es [das Atelier] ist der Ort, wo die Arbeit getan wird. Kann sein, dass mir die Ideen beim Reiten oder Herumfahren kommen – selbst beim Lesen. Ich sitze hier; ich blättere in einem Buch, irgendwann gegen fünf springe ich auf und werfe ein, zwei Striche aufs Papier. Dann kann ich gehen.“3 (Bruce Nauman)
„Es gab einen Zeitpunkt, da glaubte ich, dass ich es eines Tages herausbekommen würde, wie das zu machen sei: Kunst. Nach dem Muster „Wie gehen wir jetzt vor, Leute?“ und dass es dann nicht mehr so ein mühseliger Kampf wäre. Später habe ich dann eingesehen, dass es immer ein Kampf bleiben wurde. Mir wurde klar, dass es nie einen festgelegten Arbeitsprozess geben würde. Ich würde ihn immer wieder neu erfinden müssen.“4 (Bruce Nauman)
„Leider gibt es aber immer wieder lange Phasen, in denen ich nichts machen kann, weil mir nichts einfällt. Irgendwann fange ich dann einfach an, irgendetwas zu machen, ganz egal ob mit guter Idee, schlechter Idee, keiner Idee. Ich mache einfach etwas aus dem, was herumliegt. Und gerade diese Dinge, die aus einer Sprachlosigkeit heraus entstehen, aus Verzweiflung heraus, sind oft die wichtigsten.“5 (Bruce Nauman)
Ab Mitte der 1960er Jahre erarbeitete sich Bruce Nauman ein Œuvre von Performance- und Videoarbeiten, in denen er mit Hilfe seines Körpers Räume – und vor allem sein Atelier – vermaß. „Kunst ist eben das, was ein Künstler tut, eben im Atelier herumsitzen“, gab der Performance- und Medienkünstler 1970 zu Protokoll. Um seiner Tätigkeit eine Richtung zu geben, stellte er für sich selbst Regeln auf, die er in den Videos bis zur Erschöpfung befolgte. Doch auch einige der skulpturalen Arbeiten wie „Device to Stand In“ (1966) waren für performative Nutzung bestimmt. Der Keil aus Stahl fixiert dabei ein Bein am Boden, während der Körper zum Tanz aufgefordert wurde. In „Walk with Contraposto“ nutzte er 1968 erstmals einen schmalen Gang in seinem Atelier, um seine Bewegung zu „rahmen“ bzw. zu strukturieren und schuf damit erstmals eine jener Erfahrungs- und Kontrollarchitekturen, die er ab 1970 in Ausstellungen auch dem Publikum zur Verfügung stellte.
„Sonnenuntergänge, Blumen, Landschaften: Diese Dinge bringen mich nicht an die Arbeit. Ich lasse lieber die Finger davon. Mein Werk entsteht aus der Enttäuschung über die „conditio humana“. Es frustriert mich, dass Menschen sich weigern, andere Menschen zu verstehen, und dass sie so grausam zueinander sein können. Nicht dass ich denke, ich könnte daran etwas ändern, aber das ist wirklich ein frustrierender Aspekt der Menschheitsgeschichte.“6 (Bruce Nauman)
Mit Hilfe von fragmentierten Körpern – meist Köpfe und Hände – konzentrierte Bruce Nauman seine Fragen zum Menschsein. Anfangs arbeitete er mit seinem eigenen Körper, mit dem er das Atelier vermaß. Damit stand im Frühwerk des Künstlers das eigene Subjekt, der eigene Körper im Zentrum. Doch nicht nur das Tun ist für den amerikanischen Künstler spannend, sondern auch das wiederholte Scheitern und die damit verbundene Frustration. Als er XX zum Körper zurückkehrte, begann er sich mit Kopf, Arm und Hand als Verweis auf den ganzen Leib zu beschäftigen. Erneut war es Samuel Beckett, der in „Molloy“ (1948) seinen Protagonisten seine Gliedmaßen als ihm fremde Körperteile empfinden ließ.
Zum Nachdenken über das Sein und den Körper gehört für Bruce Nauman unweigerlich auch Sexualität, die er jedoch unter negativen Vorzeichen verbildlicht. Menschen werden in seinen Neonarbeiten zu Schablonen, die in regelmäßiger Wiederholung einander penetrieren, mit Messern bedrohen. Ähnlich wie in seinen Spracharbeiten interessiert Bruce Nauman an Sexualität jener Teil, wo sie zu versagen beginnt. Schriftliche Spiegelungen, Anagramme, Wortspiele lösen das Kommunikationsmittel aus seiner postulierten Sicherheit und machen Assoziationsketten sichtbar (z. B. „Raw War“ (1970).
In den späten 1980er Jahren trat im Werk von Bruce Nauman erstmals die Figur des Clowns auf. Wie Eugen Blume herausstrich, vereint der tollpatschige Pausenfüller mehrere Eigenschaften, die Bruce Nauman schon in früheren Arbeiten interessierten:
„Das Akrobatische, das Tänzerische, das Performative, die Beziehung von Körper und Gesicht, die Maske und das Make-up, die Suche nach der Balance und das Scheitern, die Dichotomie von Geschick und Ungeschick und nicht zuletzt die abstrakte Dimension der Person, ihre Ortlosigkeit im Dazwischensein.“7 (Bruce Nauman)
Eugen Blume, Gabriele Knapstein, Chatherine Nichols, Sonja Claser (Hg.), Bruce Nauman. Ein Lesebuch (Ausst.-Kat. Bruce Nauman. Dream Passage, Nationalgalerie im Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin, 28.5.-10.10.2010), Köln 2010.
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