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Bruno Gironcoli: Das zeichnerische Werk Imaginative Erweiterungen

Bruno Gironcoli, Entwurf II (Turnstunde), 1967–1970, Tusche, Deckfarben auf Papier, 62 x 89 cm (mumok Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien, Leihgabe der Artothek des Bundes seit 1976, © BRUNO GIRONCOLI WERK VERWALTUNG GMBH / GESCHÄFTSFÜHRERIN CHRISTINE GIRONCOLI)

Bruno Gironcoli, Entwurf II (Turnstunde), 1967–1970, Tusche, Deckfarben auf Papier, 62 x 89 cm (mumok Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien, Leihgabe der Artothek des Bundes seit 1976, © BRUNO GIRONCOLI WERK VERWALTUNG GMBH / GESCHÄFTSFÜHRERIN CHRISTINE GIRONCOLI)

Die Schwerkraft hinter sich gelassen

Einem breiten Publikum ist Bruno Gironcoli vor allem durch seine ab Mitte der 1980er Jahre ausgestellten, riesigen, assemblageartigen Skulpturen bekannt. Parallel zu seinem bildhauerischen Werk entstand jedoch seit den frühen 1960er Jahren ein umfangreiches grafisches Werk, das weit über reine Entwurfszeichnungen hinausgeht. „Es gab zwar einen ständigen Dialog zwischen den beiden Werkgruppen, da jedoch für das Medium Zeichnung reale Restriktionen wie physikalische Zwänge oder körperliche Größenverhältnisse nicht gelten, hat Gironcoli seine Ideen hier in neue Dimensionen getrieben“, erläutert Manuela Ammer, Kuratorin der mumok-Ausstellung „Bruno Gironcoli. In der Arbeit schüchtern bleiben."

Anleitungen für Performances

Auf einen weiteren Aspekt verweist die Galeristin Elisabeth Thoman, deren Galerie den Künstler seit den späten 1970er Jahren vertritt und die parallel zur mumok-Schau ebenfalls eine Ausstellung zeigen wird: Sie sieht darin auch Anleitungen für Performances, die in der Realität jedoch nie stattfanden. Ins Spiel komme dabei auch eine gewisse Nähe oder ein Interesse am Wiener Aktionismus, ergänzt Manuela Ammer. So zeige etwa die Zeichnung „Entwurf Turnstunde“ (1970) – als augenscheinliche Referenz an Rudolf Schwarzkogler – zwei in Bandagen eingewickelte männliche Figuren. Gironcolis Auseinandersetzung mit dem Wiener Aktionismus ist auch der Ausstellungstitel der mumok-Schau geschuldet. Der Künstler, erzählt die Kuratorin, habe auf die Frage, wie er es denn mit dem Wiener Aktionismus halte, geantwortet, dass er nie in die Körperkunst gegangen sei, weil ihm das ermöglicht habe beim Objekt, also „in der Arbeit schüchtern“, zu bleiben.

Verbildlichte Sinnzusammenhänge

In den Papierarbeiten arbeitet Gironcoli psychische Zustände auf und verbildlicht Sinnzusammenhänge, die in dieser Form im skulpturalen Werk nicht deutlich werden. Neben den meist bedrohlich wirkenden Maschinen und technischen Apparaturen, die  im Frühwerk als Anleitungen für Installationen und später für seine großformatigen Skulpturen dienen, häufiges Motiv ist eine in einen türkisblauen Anzug gekleidete männliche Figur, die der Künstler nach dem Protagonisten in Samuel Becketts gleichnamigem Roman „Murphy“ genannt hat.

Diese Figur sehen wir in der Zeichnung „Entwurf IV“ (1967–1970). Hier hockt Murphy mit dem Rücken zu uns gewandt vor einer Wand. Er wirkt in sich gekehrt, in etwas vertieft, über das wir aber nur Mutmaßungen anstellen können. Mit seiner linken Hand umfasst er ein silberfarbenes Brett, das durch ein Kabel mit einer Metallwabe verbunden ist. „Ortung“ steht darauf zu lesen. Beides ist Teil einer stachelartdrahtigen Installation, die im Bildvordergrund zu sehen ist. Murphy zur Seite gestellt ist ein Schaf, das in entrückter Nachbarschaft zu ihm verharrt.

Ausdruck des Unterbewussten

Schafe bilden neben Affen und Hunden das Tierrepertoire in Gironcolis Papierarbeiten, wobei uns letztere bisweilen auch bedrohlich zähnefletschend als Symbol archaischer Ängste begegnen. Zum fixen Motivschatz gehören aber auch Ähren, Herzen und Hackenkreuze oder alltägliche Gebrauchsgegenstände wie Toilettenschüsseln oder Lattenroste, die ab den 1980er Jahren Hauptmotive bilden und oftmals wie ein Raster die gesamte Bildfläche überziehen. Inhaltlich geht es Gironcoli (neben bildhauerischen Fragestellungen) um Themen wie individuelle gesellschaftliche Zwänge, polare Geschlechtlichkeit, Sexualität und Gewalt. „Gironcolis Symbole sind Projektionen der Einsamkeit, des Leidens und zugleich des Verlangens, die gebannt in visuelle Chiffren, als Ausdruck des Unterbewussten zu sehen sind“, schreibt Wilfried Skreiner im Katalog zu einer Ausstellung im Jahr 1989.

An die Grenzen getrieben

In den frühen Jahren arbeitet Gironcoli hauptsächlich im Format 60 x 90, im Spätwerk nur mehr im Format 150 x 200. Im Lauf der Jahre wird der Gestus auch malerischer und expressiver. Eine Verbindung zu den Skulpturen besteht von Beginn an in der Verwendung der Metallfarben Kupfer, Gold und Silber. Der Bildträger Papier, der stark auf die verwendeten Malmittel reagiert, sich unter der Feuchtigkeit der aufgetragenen Farbe wellt und so metallische Reflexe verstärkt, kommt dabei Gironcolis Experimentierfreude entgegen. „Man könnte sagen, dass sich die späten Großformate durchaus in Analogie zu den Skulpturen entwickeln, die schließlich eine Komplexität erreichen, bei der bestimmte Möglichkeiten an ihre Grenzen getrieben werden“, unterstreicht Ammer.

Die von Manuela Ammer kuratierte Ausstellung „Bruno Gironcoli. In der Arbeit schüchtern bleiben“ wird ab 3. Februar 2018 im mumok zu sehen sein.

Bruno Gironcoli. Zeichnungen: Bilder

  • Bruno Gironcoli, Ohne Titel, 1964, Metallpulverfarbe, Tusche und Gouache auf Papier, 121,5 x 76,5 cm (Privatsammlung, Wien, © BRUNO GIRONCOLI WERK VERWALTUNG GMBH / GESCHÄFTSFÜHRERIN CHRISTINE GIRONCOLI)
  • Bruno Gironcoli, Herz, 1967–1970, Tusche, Tempera auf Papier, 72 x 55 cm (mumok Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien, erworben 1970, © BRUNO GIRONCOLI WERK VERWALTUNG GMBH / GESCHÄFTSFÜHRERIN CHRISTINE GIRONCOLI)
  • Bruno Gironcoli, Entwurf II (Turnstunde), 1967–1970, Tusche, Deckfarben auf Papier, 62 x 89 cm (mumok Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien, Leihgabe der Artothek des Bundes seit 1976, © BRUNO GIRONCOLI WERK VERWALTUNG GMBH / GESCHÄFTSFÜHRERIN CHRISTINE GIRONCOLI)

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