Carl Andre

Wer ist Carl Andre?

Carl Andre (* 16.9.1935 in Quincy, Massachusetts) ist ein US-amerikanischer Künstler der Minimal Art (→ Minimal Art | Minimalismus). Heute ist Andre hauptsächlich als Bildhauer und Objektkünstler bekannt. Sein frühes Werk entstand jedoch in enger Verbindung zu seinen Gedichten. Carl Andre bezeichnet sich selbst als Materialisten. Daher arbeitete er mit elementaren Bausteinen und in reiner Materialität – frei von Symbolik oder Transzendenz.

Carl Andre lebt in New York.

„Meine Kunst entspringe meinem Wunsch, die Welt um Dinge zu bereichern, die es sonst nie gäbe. Ich bin von Natur aus ein Materialist, ein Bewunderer von Lucretius. Es ist gerade das, was auf unsere Sinne, unseren Tastsinn und so weiter einwirkt, was mich interessiert. Das Gefühl unserer Gegenwart in der Welt, bestätigt durch die Existenz der Dinge und anderer Menschen in der Welt.“1 (Carl Andre)

Kindheit

Carl Andre wurde am 16. September 1935 in Quincy, Massachusetts (USA) geboren.

Ausbildung

Carl Andres studierte von 1951 bis 1953 an der Phillips Academy in Andover, wo er von Patrick Morgan in Kunst (Malerei) ausgebildet wurde. Dort schloss er Freundschaft mit Fotografen Hollis Frampton.

Ein Studium am Kenyon College, Ohio brach er frühzeitig ab. Im Jahr 1954 besuchte Andre England und Frankreich, 1955 bis 1956 leistete er seinen Militärdienst in Fort Bragg, North Carolina ab.

Frühe Werke

Im Jahr 1957 zog Carl Andre nach New York City, wo er über Hollis Frampton den Maler Frank Stella kennenlernte und ab 1958 dessen Atelier mitnutzten durfte. Besonders Stellas Arbeitsprinzip machte großen Eindruck auf ihn, verweigerte sich sein Freund doch einer subjektiven Handschrift, dem großen Gestus, der Bild- und Symbolhaftigkeit.2 Innerhalb von nur drei Jahren entwickelte Carl Andre seinerseits eine Skulptur, die keine Aussage mehr treffen oder bildhaft wirken wollte. Stattdessen betonte Andre die Materialität und Äußerlichkeit (Witterungsspuren, Alter) der gefundenen Objekte.

In New York entstanden erste vertikal blockhafte, großformatige Skulpturen aus Bauholz neben zahlreichen Gedichten. Carl Andres Objekte sollten keine Bedeutung in sich tragen, sondern auf die Materie selbst verweisen. Dafür schnitte er in die säulenartigen Holzskulpturen ein und prägte den Begriff „Negative Sculptures“. Vor allem Constantin Brancusis direktes Bearbeiten des Materials hatte den jungen Bildhauer geprägt.3 Dadurch entstand eine formale Nähe zwischen Andres früher „Last Ladder“ (1959) und der „Unendlichen Säule“ (1937/38).4 Als nach der Fertigstellung von „Last Ladder“ Stella bemerkte, dass die unbehauene Rückseite ebenso ein Kunstwerk wäre, entschied Carl Andre nicht mehr einzugreifen.

„Ich stellte fest, dass das Holz vor meiner Bearbeitung in einem besseren Zustand war als danach. Ich habe es in keiner Weise verbessert.“5 (Carl Andre)

Ab 1959 stapelte Carl Andre normierte Einzelteile, die er in ihrem industriellen Zustand beließ (→ Anti-Form). Die meisten dieser frühen Werke wurden zerstört oder von Carl Andre bei seinen vielen Umzügen einfach zurückgelassen (und dann von Nachmietern vielleicht verbrannt). Seinem Freund Hollis Framton ist zu verdanken, dass eine Vielfalt an diese Arbeiten zumindest fotografisch erhalten blieb.

Für Frank Stella schrieb er einen kurzen Begleittext zum Ausstellungskatalog von „Sixteen Americans“ im Museum of Modern Art, in dem es heißt:

„Die Kunst schließt das unnötige aus. […] Frank Stella interessiert sich nicht für Ausdruck oder Sensibilität. Er interessiert sich für die Notwendigkeiten der Malerei.“6 (Carl Andre, Statement)

Zwischen Herbst 1960 und 1964 zog sich Carl Andre aus der Kunstszene zurück. Er erhielte eine Anstellung bei Pennsylvania Railroad als Rangierbremser und Schaffner. In New Jersey lernte er allerdings Robert Smithson kennen, mit dem er Wanderungen in die Umgebung unternahm. Rückblickend bedeutete diese Zeit für ihn eine wichtige Phase intensiver Experimente in verschiedenen Medien. Da er kein Atelier hatte, schuf er kleinformatige Skulpturen und Collagen, darunter die „Dada Forgeries“. Die „Element Series“ – das Skizzenbuch dazu liegt im Stedelijk Museum Amsterdam – konnte er aus Geldmangel nicht ausführen, weshalb er sie erst in den 1970er und 1980er Jahren umsetzte. Hauptsächlich schrieb Carl Andre jedoch Gedichte. 1963 entstanden unter anderem die mehrseitigen, wegweisenden Gedichte „AMERICA DRILL“ und „ONE HUNDRET SONNETS“. Andres bildhauerische Arbeiten und seine (bisher noch unterschätzten) Gedichte bedingen einander, forderte der Künstler doch eine neue Sensibilität gegenüber der Sprache und dem Wort ein. Er verfasste seine Poesie immer zuerst handschriftlich und setzte sie dann – mit nur wenigen Ausnahmen – mittels Schreibmaschine um. In Anlehnung an Benjamin Lee Whorfs „Language, Thought, and Reality“ fügte er Worte aneinander, eliminierten den grammatikalischen Zusammenhang und löste die Syntax zu einer linearen oder räumlichen Parataxe auf.7

„Die Kunst des Assoziierens  beruht auf den Querverbindungen zwischen der Vorstellung (image) eines Kunstwerkes und anderen Dingen außerhalb des Bereiches des Kunstwerks. Die Kunst des Isolierens beruht dagegen auf dem minimalen Assoziieren mit anderen Sachen. Diese Idee ist das genaue Gegenteil der multimedialen Kommunikation. Meine Arbeit ist das genaue Gegenteil der Assoziationskunst. Ich versuche, die Bildfunktion in meiner Arbeit so stark als möglich zu reduzieren.“8

Im Jahr 1964 wurde Andre von E. C. Goossen zur Ausstellung „8 Young Artists“ im Hudson River Museum eingeladen. Er zeigte die Skulptur „Cedar Piece“, die Goosen bereits 1959 in Andres Atelier gesehen hatte. In den Jahren 1965 folgte die Ausstellungsbeteiligung „Shape and Structure“ sowie die erste, von Henry Geldzahler kuratierte Einzelausstellung „10“ (Oktober 1966) in der Tibor de Nagy Gallery in New York. Neben Carl Andre stellten Ad Reinhardt, Robert Smithson, Robert Morris, Agnes Martin, Jo Baer, Dan Flavin, Michael Steiner, Sol Le Witt und Donald Judd aus.

Minimalismus

Erst im Jahr 1966 gelang Carl Andre der internationale Durchbruch durch die Gruppenausstellung „10“ in der Dwan Gallery sowie die „Primary Structures“ im Jewish Museum New York. Der Minimalist stellte gemeinsam mit Ad Reinhardt, Robert Smithson, Robert Morris, Agnes Martin, Jo Baer, Dan Flavin, Michael Steiner, Sol LeWitt und Donald Judd aus.

Die Nutzung vorgefertigter, gleichartiger Teile als Glieder eines Ganzen bleibt ein Grundzug seiner Arbeiten; die serielle Kunst der Zeit und Stellas Streifenbilder regten Andre dazu an. Er begreift Skulptur als Struktur und weniger als Form. Seine bildnerischen Arbeiten zeichnen sich durch das Wegbahnen aus – eine Reminiszenz an die Schienenwege.

In Europa wurde Carl Andre erstmals 1967 in einer Einzelausstellung der Konrad Fischer Galerie in Düsseldorf vorgestellt. Dann folgten zwei große Einzelausstellungen im Städtischen Museum Mönchengladbach (1968) und im Gemeentemuseum Den Haag (1969) wie eine Einladung auf die „documenta IV“ (1969). „Seven Books of Poetry“ fasste 1969 eine von Carl Andre zusammengestellte Auswahl von über 500 Seiten Gedichten zusammen (herausgegeben von Seth Siegelaub und Virginia Dwan). Bis 2005 schrieb Carl Andre kontinuierlich Gedichte, darunter „Yucatan“ oder „STILLANOVEL“ im Jahr 1972.

Die erste institutionelle Einzelausstellung organisierte 1970 das Solomon R. Guggenheim Museum.

2005 trat der Künstler in Ruhestand.

Ehe mit Ana Mendieta

Im Jahr 1979 traf Carl Andre die kubanisch-US-amerikanische Künstlerin Ana Mendieta über die gemeinsamen Freunde Leon Golub und Nancy Spero in der AIR Gallery in New York City. Carl Andre und Ana Mendieta heirateten 1985. Mendieta stürzte am 8. September 1985 nach einem Streit mit ihrem Mann aus dem Fenster ihrer New Yorker Wohnung im 34. Stock. Carl Andre wurde 1988 vom Mordvorwurf freigesprochen. Der Tod von Mendieta ist bis heute ungeklärt

Auszeichnungen und Ehrungen

  • 2011: Roswitha Haftmann-Preis
  • 2015: Wahl in die American Academy of Arts and Sciences

Literatur zu Carl Andre

  • Carl Andre. Poems 1958–1969, hg. v. Lynn Kost (Ausst.-Kat. Museum zu Allerheiligen Schaffhausen, 15.5.–17.8.2014), Zürich 2014.
  • Carl Andre. Cuts. Texts 1959–2004, hg. v. James Meyer, Cambridge (MA)/London 2005.
  • Carl Andre Sculpture, hg. v. Rhonda Cooper (Ausst.-Kat. The Fine Arts Center Art Gallery, State University of New York at Stony Brooks, New York), New York 1984.
  • Carl Andre/Hollis Frampton, 12 Dialogues 1962–1963, photographs by Hollis Frampton, hg. v. Benjamin Buchloh, Halifay/New York 1980.
  • Phyllis Tuchman, An Interview with Carl Andre, in: Artforum, Bd. 8, Nr. 6, Juni 1970.
  • Carl Andre (Ausst.-Kat. Haags Gemeentemuseum, 23.8.–5.10.1969), Den Haag 1969.
  • Carl Andre, Statement, in: Sixteen Americans (Ausst.-Kat. Museum of Modern Art, New York, 16.12.1959–17.2.1960), New York 1959, S. 76.
  1. Zit. n. Phyllis Tuchman, An Interview with Carl Andre, in: Artforum, Bd. 8, Nr. 6, Juni 1970, S. 60.
  2. Rhonda Cooper, An interview with Carl Andre, in: Carl Andre Sculpture, hg. v. Rhonda Cooper (Ausst.-Kat. The Fine Arts Center Art Gallery, State University of New York at Stony Brooks, New York), New York 1984.
  3. Frampton machte Carl Andre auf Ezra Pound aufmerksam, in dessen Essays er auf Constantin Brancusi stieß.
  4. Anna Moszynska, Abstract Art, London 1990, S. 205
  5. Zit n. Enno Develing, Essay, in: Carl Andre (Ausst.-Kat. Haags Gemeentemuseum, 23.8.–5.10.1969), Den Haag 1969, S. 39.
  6. Carl Andre, Statement, in: Sixteen Americans (Ausst.-Kat. Museum of Modern Art, New York, 16.12.1959–17.2.1960), New York 1959, S. 76.
  7. Siehe: Valérie Mavridorakis, Eine hylotheistische Dichtkunst, in: Carl Andre. Poems 1958–1969, hg. v. Lynn Kost (Ausst.-Kat. Museum zu Allerheiligen Schaffhausen, 15.5.–17.8.2014), Zürich 2014, S. 123–130.
  8. Zit. n. Carl Andre/Hollis Frampton, 12 Dialogues 1962–1963, photographs by Hollis Frampton, hg. v. Benjamin Buchloh, Halifay/New York 1980, S. 75.