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Kunst & Kohle. Hommage an Jannis Kounellis Beginn einer neuen Ära der Kunst im Ruhrgebiet

Jannis Kounellis, Installationsansicht MKM, 2018 (Stedelijk Museum Amsterdam (l,m), Privatsammlung (r) © VG Bild-Kunst, Bonn 2018 / Foto: Henning Krause)

Jannis Kounellis, Installationsansicht MKM, 2018 (Stedelijk Museum Amsterdam (l,m), Privatsammlung (r) © VG Bild-Kunst, Bonn 2018 / Foto: Henning Krause)

Im Ruhrgebiet kommt es 2018 zu einem historischen Moment: In Bottrop schließt Ende 2018 Prosper-Haniel, die letzte Zeche der Region. 150 Jahre wurde in Bottrop Steinkohle abgebaut; das Ruhrgebiet selbst blickt auf eine 1000-jährige Tradition im Steinkohlebergbau zurück, der stets ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor war und auch auf Demografie, Gesellschaft und Kultur Einfluss nahm. Diesen denkwürdigen Moment haben sich die 17 RuhrKunstMuseen zum Anlass genommen, um ein Ausstellungsprojekt zu initiieren unter dem Titel „Kunst & Kohle“ und dem Material, der Region und ihrer Geschichte Tribut zu zollen.

Von der Ära der Steinkohle zur Ära der Kunst

Das Museum Küppersmühle wählte einen Fokus auf den griechisch-stämmigen Künstler Jannis Kounellis, der von 1993 bis 2001 an der Kunstakademie Düsseldorf unterrichtete und mit der Region und den Materialien Kohle und Stahl bestens vertraut war. Da der Künstler während der Vorbereitung der Ausstellung verstarb, beschlossen die Kuratoren Ferdinand Ullrich und Walter Smerling eine thematische Erweiterung der ursprünglichen Einzelausstellung im Sinne einer Hommage: Ayşe Erkmen, Anselm Kiefer, Michael Sailstorfer, Sun Xun, Timm Ulrichs und Bernar Venet – allesamt Künstler, welche von Kounellis beeinflusst wurden und teils freundschaftlichen Kontakt mit ihm pflegten. Die Umsetzung wird berührend und sensibel präsentiert: Im Herzstück, dem zentralen Raum rechts des Eingangs, sind die Arbeiten Kounellis’ ausgestellt, welche er noch selbst autorisiert hat. In den räumlichen Ausläufen folgen jene der Künstlerkollegen. Die beiden Kuratoren erheben mit der Ausstellung keinen minderen Anspruch, als die Ablöse der Ära der Steinkohle durch die Ära der Kunst einzuläuten. Wie sich die Beziehung zwischen Steinkohle und Kunst tatsächlich verhält, und ob der in der Steinkohle begründete Wohlstand nicht doch eher Voraussetzung als Nachfolge für die Kunst ist, sei an dieser Stelle hinterfragt.

Arte Povera und „schwarzes Gold“

Neben Mario Merz und Michelangelo Pistoletto war Kounellis einer der prominentesten Mitbegründer der Arte Povera-Bewegung in den 1960er Jahren in Rom, wo er seit 1956 lebte. Zu seinem „armen Material“-Kanon zählten neben Erde, Asche, Schrott und Juttesäcken auch Stahl und Kohle. Speziell in seiner Düsseldorfer Zeit verwendete Kounellis diese Materialien aus der regionalen Produktion. Die Kohle, die im Ruhrgebiet den Ruf des „schwarzen Goldes“ hat, nimmt darin eine Sonderrolle ein, entspricht sie doch den Anforderungen an ein armes, wertloses Material nur bedingt. Als Energieträger findet sie in der Stromerzeugung, der Eisenproduktion und in der chemischen Industrie Anwendung. Stahl auf der anderen Seite steht für Kraft, Härte und Stabilität. Es bedarf eines vergleichsweise aufwendigen industriellen Produktionsprozesses.

Bereits beim Betreten der Ausstellung wird man sich dieser Materialsymbolik gewahr. Prominent im Raum ist eine verrostete Stahlskulptur „Ohne Titel“ aus dem Jahr 1996 positioniert. Aus einer quadratischen, sich nach oben hin verjüngenden Form aus Stahlplatten, die als Rahmen und Stütze dienen, erwachsen Stahlstäbe unterschiedlicher Länge, beinahe wie ein abstrahierter überdimensionaler Blumenstrauß in einer Vase. Die Metallstäbe in ihrer Geradlinigkeit erwecken einen explosiven, energiegeladenen Eindruck.

Passivierung des Objekts

Nur wenige Meter entfernt ist eine weitere Installation von Kounellis zu sehen: Kreisrund angeordnete Kohlesäcke, deren Mitte mit Steinkohle gefüllt ist, kehren die Funktion des darüber platzierten Stahlträgers um. Das weichere, formflexiblere Material von Kohle und Jutte schafft es in Verbindung den schweren Stahlträger zum Getragenen zu transformieren. Kounellis’ Materialpoetik präsentiert sich dem Betrachter in einer sehr rauen Schale, die sich erst bei näherem Hinsehen zu erkennen gibt. Eine ähnliche Umkehr schafft Tim Ullrich (* 1940) mit seiner konzeptuellen Arbeit „Kohleofen (brennbar)“ von 1975, welche anlässlich der Finissage wiederaufgeführt werden soll: ein aus Kohlebriketts gebauter Kohleofen verbrennt sich selbst: der Verbrenner wird zum Verbrannten. In beiden Fällen kommt es zu einer Passivierung eines aktiven Objektes und zur Befreiung von seiner ursprünglichen Bestimmung.

„Eisen und Kohle stellen für mich die Materialien dar, die am besten die Welt der industriellen Revolution und damit die Ursprünge der heutigen Kultur widerspiegeln.“1 (Jannis Kounellis)

Sichtbarmachen von Produktionsprozessen

Im selben Raum befinden sich mehrere großformatige Tafelbilder aus Zunderstahl an der Wand. Dabei handelt es sich um abgebrannten Rohstahl, die ursprüngliche Form in der Stahl von der Walzstraße kommt. Durch die Oxidation an der Oberfläche entsteht ein ganz eigener in den Farben Schwarz, Blau und Grau schillernder Farbeffekt. Beim Herantreten an die Arbeiten werden Finger- und Schuhabdrücke sichtbar, ebenso wie in die Platten eingeschmolzene Stahlträger, Drähte und andere „Metallintarsien“. Der massive menschliche sowie maschinelle Produktions- und Energieaufwand, der hinter dem Objekt steckt, wird sichtbar. Dieses Sichtbarmachen steht auch im Zentrum der Performance von Bernar Venets (* 1941) anlässlich der Ausstellungseröffnung: In einer improvisierten Werkstatt im Ausstellungsraum sprühen Schweißfunken. Der Geruch von geflextem und gelötetem Stahl macht sich breit. Von der Geräuschkulisse ganz zu schweigen. Sehr schön: Die Störung des musealen Ambientes sorgte bei den Eröffnungsgästen zunächst für verzogene Mienen und schließlich für ein rasches Ausweichen an die Frischluft und ins hauseigene Restaurant zum geladenen Abendessen. Die Ablöse der Ära der Steinkohle zur Ära der Kunst funktioniert für die Gäste jedenfalls nicht direkt im gleichen Raum.

Hang zur Theatralik

Während die ersten Arbeiten der Ausstellung noch mit Distanz wahrzunehmen sind, kippt die Ausstellung schließlich mit der großen Rauminstallation „Ohne Titel (Lazarett)“ von 2000 radikal ins Theatralische. Zusammengerollte und mit Militärdecken zugedeckte Stahlplatten, welche mit Schnittwunden und anderen symbolischen Verletzungen versehen sind, werden auf Feldbetten aufgebahrt. Sie hinterlassen einen sehr bedrückenden, wenn auch formal etwas platten Eindruck. Die zusätzlich angebrachten Zunderstahlplatten an der Wand verstärken diesen Effekt. Auch die darauffolgende Rauminstallation „Klingsors Garten“ (2018) von Anselm Kiefer (* 1945) verstärkt das Bild von Trauer und Ende: Aus großen Stücken Steinkohle erwachsen raumhohe verdörrte Sonnenblumen, die den Kopf nach unten senken. In weiße Farbe getaucht, wirken sie wie die ursprünglichen Seelen der Pflanzen, aus welchen sich die Steinkohle vor 300 Millionen Jahren gebildet hat.

Der Steinkohle nachweinen

Ayşe Erkmen (* 1949) geht das Thema zunächst mythologisch an. Sie greift in ihrer Installation „A Work of Light and Heat for a Wall with Light and Heat“ von 1991 auf den Prometheus-Mythos zurück. An die Wand reiht sie Elektrodenkohle, Leuchtstoffröhren und Heizstrahler horizontal nebeneinander. Eingraviert ist der Text zu lesen: „Prometheus – er brachte uns – das Feuer – und so – können wir – die Zukunft – nicht mehr sehen – wir sind glücklich.“ Ein kritischer Unterton zur kurzfristigen Sichtweise der Menschen, sowie der Industrie schwing in den Worten mit – insofern man dies auch will. Stichworte wie CO2-Ausstoß, Erderwärmung und Klimawandel mögen einem an dieser Stelle – spätestens – in den Kopf schießen. Auch die Wolkenschwaden in Sun Xuns (* 1980) Film „Coal Spell [Kohlenzauber]“ von 2008 lassen diesen Aspekt der Steinkohle sichtbar werden. Insgesamt bleibt die Thematik in der Ausstellung jedenfalls unterbeleuchtet.

Die sentimental-rührige Stimmung, welche die Ausstellung erzeugt, lässt sehr wohl die Frage aufkommen, ob man dem Steinkohleabbau wirklich nachweinen soll? Michael Sailstorfer (* 1979) gibt die Trauerarbeit an eine Maschine ab, die sogenannte „Tränenpresse“ (2018). Seine Maschine produziert aus Steinkohle Wassertropfen, die er metaphorisch als „Tränen“ deutet. Die Tränen wiederum verbrennt er in einem weiteren Arbeitsschritt. Ob die falschen Tränen tatsächlich über die verlorene Ära der Steinkohle lamentieren oder die Gleichgültigkeit des menschlichen Individuums gegenüber derartiger Ereignisse aufgezeigen, bleibt eine Frage der persönlichen Interpretation.

Kuratiert von Ferdinand Ullrich und Walter Smerling

Kunst & Kohle. Hommage an Jannis Kounellis: Ausstellungskatalog

Ferdinand Ullrich, Thomas Hensolt im Auftrag der RuhrKunstMuseen (Hg.)
In deutscher und englischer Sprache
208 Seiten
Wienand Verlag, 2018

Kunst & Kohle. Hommage an Jannis Kounellis: Bilder

  • Jannis Kounellis, Installationsansicht MKM, 2018 (Stedelijk Museum Amsterdam (l,m), Privatsammlung (r) © VG Bild-Kunst, Bonn 2018 / Foto: Henning Krause)
  • Jannis Kounellis Installationsansicht „Kunst & Kohle“ MKM, 2018 (Sammlung Viehof, ehemals Sammlung Speck (l) Sammlung Venet Foundation, New York (r) © VG Bild-Kunst, Bonn 2018 / Foto: Henning Krause)
  • Anselm Kiefer Klingsors Garten, 2018, Installationsansicht MKM, 2018 Kohle, Metall, Kunstharz, Schellack, Acryl, Gips, Styropor, Schnur, Holz und Fotografie auf Blei, ca. 560 x 920 x 1160 cm (Privatsammlung © Anselm Kiefer / Foto: Henning Krause)
  • Sun Xun, Coal Spell, 2008, Video, 7:57 min (Courtesy of the artist © Sun Xun)
  1. Jannis Kounellis. Ein Magnet im Freien. Schriften und Gespräche 1966–1989, Bern 1992, S. 228.)
Nora Höglinger
* 1987 in Rohrbach/OÖ, Studium der Kunstgeschichte und Theater-, Film- und Medienwissenschaft in Wien und Paris. Seit 2009 im Bereich der zeitgenössischen Kunst tätig. Publikationen u.a. für die Sammlung Verbund Wien, BOZAR Brüssel, Hamburger Kunsthalle und Kunst im öffentlichen Raum Wien. Lebt und arbeitet als freie Autorin in Köln.