Die japanische Künstlerin und Schriftstellerin Yayoi Kusama erschafft mit den „Infinity Mirror Rooms“ Kunstwerke, in die man eintreten und eintauchen kann. Zwei große Installationen – „Infinity Mirrored Room - Filled with the Brilliance of Life“ (2012) sowie „The Universe as Seen from the Stairway to Heaven” (2021) – begeistern nun ein ganzes Jahr das Publikum. Frühe Fotografien und Filme kontextualisieren die begehbaren Arbeiten und zeigen die hohe Bedeutung von Selbst-Inszenierung für die Entwicklung der „Infinity Mirror Rooms“.
Großbritannien | London: Tate Modern
The George Economou Gallery
14.6.2021 – 12.6.2022
verlängert bis 28.4.2024
Die Londoner Ausstellung beginnt mit Schlüsselmomenten in Yayoi Kusamas Leben und Karriere. Die Künstlerin wurde 1929 in Matsumoto, Japan, geboren. Schon als Kind begann sie, Kunst zu machen; später studierte sie gegen den Wunsch ihrer Eltern Malerei in Kyoto. Auf der Suche nach „unbegrenzter Freiheit und einer weiteren Welt“ zog sie 1957 in die USA. Kusama verbrachte die 1960er Jahre in New York und tauchte dort in die schnelllebige Kunstszene ein. Im Jahr 1973 nahmen ihre psychischen Probleme zu, und die Künstlerin kehrte in ihre Heimat zurück. Seither lebt, schreibt und malt sie in einem Krankenhaus. Sie lässt sich bis heute regelmäßig mit ihren Arbeiten fotografieren. Sorgfältig inszenierte Bilder, in denen sie sich mit Hilfe ihrer Mode ihren Werken anpasst, stellen sie in den Mittelpunkt ihres kreativen Universums.
Physisch erweitern die „Infinity Mirrored Rooms“ Kusamas methodischen Einsatz der Wiederholung in ihren frühen Gemälden. Zusätzlich nutzte sie die desorientierenden Eigenschaften von Spiegeln, um den Effekt endloser Wiederholungen zu erzeugen. Damit erzielt Yayoi Kusama sowohl eine magische Atmosphäre als auch das Gefühl von Unsicherheit, als Folge der Destabilisierung der Raumwahrnehmung.
Es gibt ungefähr 20 verschiedene Spiegelräume von Yayoi Kusama, die frühesten entstanden, als die Künstlerin in den 1960er Jahren in New York lebte und arbeitete: „Infinity Mirror Room – Phalli’s Field“ (1965) und „Kusama’s Peep Show – Endless Love Show“ (1966). Die „Infinity Mirror Rooms“ waren normalerweise abgedunkelte Räume mit vielen kleinen Lichtern, die auf eine Sternengalaxie anspielten und das Gefühl verstärkten, in eine physische Welt jenseits der Erdatmosphäre versetzt zu werden. Dazu kommt die Selbstwahrnehmung wie in Kusamas „Narcissus Garden“ (1966), eine Außenpräsentation von 1.500 silbernen Kugeln auf dem Rasen vor dem italienischen Pavillon auf der 33. Biennale von Venedig. Obwohl sich die Künstlerin selbst in eine psychiatrische Klinik eingewiesen hat, beschäftigte sie sich seit 1977 weiterhin mit der unaufhörlichen Wiederholung.
Spiegel, Punkte und Wiederholungen sind seit langem wichtige Aspekte in Kusamas Werk. „The Universe as Seen from the Stairway to Heaven“ ist eine ihrer jüngsten Skulpturen und eigens für diese Ausstellung in der Tate Modern angefertigt worden. Damit schloss die japanische Künstlerin an ihre erste Spiegelinstallation von 1966 an, die den Titel „Kusamas Peep Show“ oder „Endless Love Show“ trägt.
Der „Infinity Mirror Room“ ist eine Lichtinstallation, die man, wie in einer Peep Show durch ein Fenster schauend, erkunden kann. Das Innere des Würfels ist verspiegelt und scheint unendlich zu sein. Bunte Punkte, aber auch die Gesichter der Betrachter*innen, spiegeln und wiederholen sich in die Unendlichkeit. Ausgangspunkt für ihre Kunstproduktion sind Kusamas visuelle Halluzinationen, welche die Künstlerin schon früh in ihrem Leben erlebte. Sie erinnert sich an eine Kindheitserinnerung:
„Eines Tages, nachdem ich ein rotes Blumenmuster auf der Tischdecke gesehen hatte, sah ich auf und sah, dass die Decke, die Fenster und die Säulen mit dem gleichen roten Blumenmuster geschmückt waren. Ich sah den ganzen Raum, meinen ganzen Körper und das ganze Universum mit roten Blumen bedeckt.“
Yayoi Kusama fühlte sich, als würde sie verschwinden oder sich auflösen. Sie bezeichnete dies als „Selbstauslöschung“. Diese Erfahrungen in ihrer Kunst zu nutzen, ist für sie eine Möglichkeit, sie zu verstehen und mit anderen zu teilen.
Der erste „Infinity Mirror Room“ in der Tate Modern ist von außen betrachtet eine einfache weiße, sechseckige Struktur mit einer Höhe von fast vier Metern, die sich gut in die Galerie einfügt. Umso überraschender und kontrastreicher ist das Innere der Installation von 2016. Über eine Schiebetür können die Besucher*innen den Raum betreten und treten so in eine verspiegelte Umgebung ein. Als einzige Lichtquelle hängt ein barocker Kronleuchter von der Decke. Dieser Kronleuchter dreht sich mit flackernden, pulsierenden Lichtern, diese spiegeln sich in die Unendlichkeit – und auch das Publikum.
Während andere Installationen Kusamas langjährige Beschäftigung mit Punkten, Kabocha-Kürbissen und phallischen Formen demonstrieren, lenkt „Chandelier of Grief“ den Fokus auf einzigartige Weise nach oben und betont den partizipativen Aspekt der Installation. Der Titel „Chandelier of Grief [Kronleuchter der Trauer]“ soll, so die Künstlerin, darauf verweisen, dass man Schönheit und Traurigkeit gleichzeitig erleben kann.
Yayoi Kusamas „Infinity Mirrored Room – Filled with the Brilliance of Life“ entstand für ihre Retrospektive 2012 in der Tate Modern. Die Installationen gehört zu ihren bisher größten. Man bewegt sich auf einem reflektierenden Gehweg über ein flaches Becken. In der immersiven Arbeit multiplizieren verspiegelte Wände und ein flaches Wasserbecken eine Konstellation winziger, schwebender Lichter, um ein Gefühl von unendlichem Raum zu schaffen. Die Lichter pulsieren wie ein Herzschlag oder eine tickende Uhr. Zeit und Unendlichkeit treffen in Kusamas Werk aufeinander. Kusamas visuelle Halluzinationen lösen in ihr das Gefühl aus, dass sie durch wiederholte Punkte „ausgelöscht“ würde. Mit dieser Installation lädt sie uns ein, diese „Selbstauslöschung“ zu teilen.
Als Yayoi Kusama in die Vereinigten Staaten zog und sich schlussendlich 1958 in New York City niederließ, war sie mit antijapanischer Propaganda konfrontiert. Obschon von Künstlern früh respektiert, wurde Kusama in der Kritik allzu häufig auf ihr Geschlecht und ihre Nationalität reduziert. Die Künstlerin reagierte darauf mit der Performance „Walking Piece“, für die sie im rosa Kimono mit Sonnenschirm durch die Stadt schlendert. Eine Diashow-Fotostrecke dokumentiert, wie die Avantgardistin als US-Stereotyp einer traditionellen Japanerin auftrat. Der Fotograf Eikoh Hosoe dokumentierte die Performance mit einem Fischaugen-Kameraobjektiv, um das Gefühl der Isolation zu vermitteln.
Fotografien und Filme im folgenden Kapitel der Ausstellung geben einen Einblick in die Arbeitsweise von Kusama im New York der 1960er Jahre. Zu diesem Zeitpunkt begann sie, Spiegelinstallationen zu bauen. Der heutige Erfolg dieser Arbeiten war noch lange nicht abzusehen. Denn als Yayoi Kusama begann, als Künstlerin die Grenzen der Medien einzureißen, kämpfte sie um Anerkennung und ihren Lebensunterhalt.
Die zum Teil erstmals ausgestellten Fotografien und Filme zeigen, wie Yayoi Kusama Performance, Malerei und Spiegelinstallation miteinander kombinierte. Sie dokumentieren ihre „Mirror Performance“ im September 1968 in New York – am Höhepunkt der Anti-Vietnamkrieg-Proteste und Bürgerrechtsbewegung. Kusamas überraschende Installationen und Performances thematisierten Konsum und Spektakel, indem sie gleichzeitig die Grenzen der hohen Kunst einriss. Porträts von Eikoh Hosoe (*1933) sowie Atelieraufnahmen von Harry Shunk (1924–2006) und Janos Kender (1937–2009) legen ihre Arbeitspraxis offen. Sie überschritt die physischen Grenzen des Ateliers, indem sie ihre gespiegelten Räume zu einer Kulisse für Performance, Malerei, Skulptur und Modedesign machte.
Der Film „Im Atelier“ (Mitte der 1960er, Tate Library & Archive) von John Jones (1926–2010) zeigt die Künstlerin umgeben von den weichen Skulpturen und Collagen, die sie damals machte. Aus Zeitschriften geschnittene Gesichter verwandeln sich in eine Polka-Dot-Umgebung. Sie setzte auch Haushaltsgegenstände, darunter Möbel und Spiegel, sogar Nudeln für ihre verfremdenden Installationen ein. Die Künstlerin tritt in passenden Kleidungsstücken auf und dirigierte die Aufnahmen in ihrem Sinn. So erschuf sie eine Persona, eine künstlerische „Marke“, die schlussendlich in einem Punkt kulminiert.
Kuratiert von Frances Morris.