Wie kein anderer hat Michelangelo Buonarroti das Erscheinungsbild der Sixtinischen Kapelle geprägt. Der Künstler bemalte die Decke mit den Genesis-Szenen zwischen dem 8. Mai 1508 und dem 31. Oktober und die Stirnwand mit dem „Jüngsten Gericht“ zwischen 1536 und 1541. Damit erhielt die Papstkapelle im Vatikanischen Palast jene Gestaltung, die sie bis heute zu einem Magnet für alle Besucher:innen Roms macht.
Das Deckenfresko der Sixtinischen Kapelle ist nach der „Pietà“ und dem „David“ (→ Michelangelo Bounarroti: David) das bekannteste Werk Michelangelos und ein Hauptwerk der Malerei der Hochrenaissance. Die seit 1980 durchgeführte Restaurierung hat dem Fresko seinen Glanz und die leuchtenden Farben zurückgegeben, mit denen der Künstler changierende Stoffe imitierte. Auch wenn Michelangelo in seinen Briefen und zeitgenössischen Biografien immer wieder betonte, er sei ein unbegabter und lustloser Maler gewesen, darf dieser Selbsteinschätzung angesichts der Deckenmalerei in der Sixtinischen Kapelle getrost widersprochen werden.
Papst Julius II. (1503–1513) rief Michelangelo im März 1505 nach Rom. Der Bildhauer sollte ein monumentales, freistehendes Grabmal für den Rovere-Papst schaffen. Da sich der Papst kurz darauf dem Neubau des Petersdoms zuwandte, kehrte der Künstler am 17. April 1506 enttäuscht nach Florenz zurück. Um Michelangelo weiterhin in Rom zu beschäftigen, berief ihn der Papst 1508 per Dekret zum Freskenmaler der Sixtinischen Kapelle.
Warum sich Julius II. ausgerechnet für den Florentiner entschied, der sich selbst als Bildhauer verstand, ist nicht bekannt. Condivi berichtet von einem Gerücht, Bramante habe den Vorschlag gemacht, um Michelangelo zu diskreditieren. Michelangelo hatte während seiner Lehrzeit bei Domenico Ghirlandaio Erfahrungen in der Freskomalerei sammeln können, doch ist seine „Schlacht von Cascina“ wohl nie über Vorzeichnungen und den Karton hinausgekommen. Dennoch bezeichnete Benvenuto Cellini den Hauptkarton als „Schule der Welt“. Wahrscheinlich wurde das Werk 1516 zerstört, heute existiert nur noch eine Kopie von Aristotele von Sangallo und Figurenstudien von Michelangelo.
Angesichts der Größe der Decke der Sixtinischen Kapelle fürchtete Michelangelo, der Aufgabe nicht gewachsen zu sein. Ein Scheitern hätte das Ende seiner Karriere bedeutet und sogar negative Folgen für die Stadt Florenz gehabt. Ob dahinter tatsächlich eine Intrige des Architekten steckte, der seinen Konkurrenten blamieren wollte, lässt sich nicht nachweisen. Die Feindschaft zwischen den beiden Künstlern wurde ab 1508 durch Raffaels Aufenthalt in Rom noch verstärkt und hielt zeitlebens an.
In dem am 8. Mai 1508 unterzeichneten Vertrag wurde Michelangelo ein Honorar von 3000 Dukaten zugesprochen. Die Zahlungen erfolgten jedoch nur unregelmäßig und in kleinen Raten, so dass Michelangelo seine Ausgaben kaum decken konnte. Die als altertümlich empfundene Deckenbemalung – ursprünglich waren Sterne auf blauem Grund zu sehen – sollte durch zwölf thronende Apostel ersetzt werden. Am 10. Mai 1508 schrieb Michelangelo:
„Ich vermerke, dass ich, der Bildhauer Michelagniolo, heute, am 10. Mai 1508, von Seiner Heiligkeit, unserem Papst Julius II., 500 Kammerdukaten empfangen habe, welche mit der Kämmerer Messer Carlino sowie Messer Carlo degli Albizzi à conto der Deckenausmalung in der Kapelle des Papstes Sixtus ausgezahlt haben. Ich beginne heute mit der Arbeit unter jenen vertraglichen Bedingungen, die sich aus einer von meiner Hand unterzeichneten Niederschrift Seiner Ehrwürden des Monsignore von Pavia ergeben.“
Ursprünglich sollte Michelangelo an der Decke nur zwölf Apostel malen: je fünf an jeder Längsseite und je einen an den beiden Stirnseiten der Kapellendecke. Der Rest des Raumes sollte mit geometrischen Ornamenten nach dem Geschmack der Zeit ausgefüllt werden. Der Künstler fand die Entwürfe schließlich zu nichtssagend und das Konzept unwürdig. Er schrieb 1508 an seinen Freund Fatucci, dass er den Entwurf verworfen und vom Papst freie Hand erhalten habe.
Michelangelo entwarf für die Decke der Sixtinischen Kapelle ein illusionistisch gemaltes, architektonisches Gerüst. In den Lünetten und dreieckigen Stichkappen malte er die Vorfahren Christi. Dazwischen finden Sibyllen und Propheten ihren Platz. Im mittleren Streifen malte Michelangelo in neun horizontalen Bildfeldern die Erschaffung der Welt, darunter das berühmte Fresko „Die Erschaffung Adams“, bis hin zum Sündenfall, der Sintflut und der Trunkenheit Noahs. Diese erzählenden Darstellungen sind von den berühmten Männerakten und Medaillons flankiert, deren Bedeutung bis heute diskutiert wird. Die zwanzig männlichen Akte, Ignudi genannt, sind mysteriös und haben vor allem eine formale Funktion, vermitteln sie doch zwischen den Erzählungen und der illusionistisch gemalten Architektur.
Das sicherlich in Zusammenarbeit mit päpstlichen Theologen entwickelte Gesamtkonzept verbindet die Erschaffung von Kosmos und Mensch aus der Genesis mit der von Sibyllen und Propheten angekündigten Ankunft Christi. Michelangelos berühmteste Darstellung ist „Die Erschaffung Adams“, etwa in der Mitte des Deckenspiegels.
In jahrelanger Arbeit schuf Michelangelo mehr als 300 Figuren für die Decke. Vielleicht war es das Scheitern des Grabmalprojekts und die bereits entworfenen Figuren, die Michelangelo veranlassten, das Konzept und das Figurenpersonal der Deckenmalerei so stark zu verändern. Immer wieder wird betont, wie skulptural die Figuren seien und dass Michelangelo hier ein Ventil für die bereits erfundenen Posen und Ausdruckshaltungen gefunden habe. Zudem war Michelangelo ein Anhänger der neuplatonischen Lehre, dass die Seele im Körper gefangen sei und bis zu ihrer Erlösung viele Qualen erleiden müsse.
Alle zentralen Bildfelder sind von Medaillons und Ignudi umgeben. Die ersten drei erzählerischen Bildfelder sind der Erschaffung der Welt gewidmet, die folgenden drei der Erschaffung von Adam und Eva, dem Sündenfall und der Vertreibung aus dem Paradies, gefolgt von der Geschichte Noahs. Jedes zweite Bildfeld wird zusätzlich von je einem Propheten und einer Sibylle flankiert.
Die untenstehende Aufzählung folgt der Entstehung der Werke von der Eingangswand zur Altarwand, die Michelangelo ab 1536 mit dem „Jüngsten Gericht“ bemalte.
Für Michelangelos Deckenfresko in der Sixtinischen Kapelle gibt es eine Vielzahl von Deutungen. Im Folgenden sollen die wichtigsten Interpretationen aufgezählt werden.
Michelangelo entwarf auch das Gerüst zur Ausmalung der Decke. Bramante hatte dafür eine in den Seitenwänden verankerte Plattform vorgesehen. Michelangelo entwarf jedoch eine Konstruktion aus Stützen, mit der die zu bemalenden Seitenwände nicht angeschlagen werden mussten.
Da die Decke gewölbt ist, konnte Michelangelo die Szenen der Genesis nur liegend oder sitzend ausführen. Die Stichkappen, die gewölbte Decke (Seiten) und die Lünetten erreichte er über zwei weitere Plattformen. Tücher verhinderten das Herabtropfen der Farben, so dass die Kapelle auch während der Arbeit an den Fresken für Messen und Zeremonien genutzt werden konnte.
Über seinen Jugendfreund Francesco Granacci engagierte Michelangelo in Florenz Mitarbeiter. Dazu gehörten Aristotele di Sangallo, Giuliano Bugiardini, Jacopo di Sandro und Agnolo di Donnino. Sie übertrugen die Kartons auf die frisch verputzte Decke und bereiteten die Farben vor. Für die Ausmalung der Sixtina-Decke fertige Michelangelo eine große Anzahl von vorbereitenden Studien, Detailzeichnungen und Kartons an. Während die Kartons nicht erhalten sind – Michelangelo ließ sie höchstwahrscheinlich 1517 verbrennen –, hat sich ein Großteil der Studien im sogenannten Oxforder Skizzenbuch erhalten.
Zwischen Spätsommer 1508 und Anfang September 1510 stellte Michelangelo die erste Hälfte der Fresken an der Decke der Sixtina fertig, beginnend mit der „Trunkenheit Noahs“. Die folgende lange Arbeitspause war der Abreise von Papst Julius II. nach Bologna geschuldet. Der Papst hatte sich nach Bologna begeben und Michelangelo weder Anweisungen zur Weiterführung des Projekts noch finanzielle Mittel zurückgelassen. Obwohl Michelangelo während des Winters zwei Mal nach Oberitalien reiste, um den Papst zur Fortführung der Freskierung zu überreden, ließ ihn dieser nicht gewähren. Erst nach dessen Rückkehr im Juni 1511 und einer Messfeier am 15. August wurde die zweite Hälfte der Sixtina eingerüstet.
Mit größter Schnelligkeit malte Michelangelo den zweiten Teil der Deckenfresken. Am 31. Oktober 1512 berichtet der Zeremonienmeister Paris de Grassi, dass der Papst sie gemeinsam mit 16 Kardinälen besichtigt hat.
Da Michelangelo die Decke in zwei Phasen ausmalte, lässt sich seine stilistische Entwicklung von der Eingangswand bis zur Altarwand verfolgen. Vergleicht man z.B. die Darstellungen der Propheten, so fällt ihre immer heftiger werdende Drehbewegung auf (Zacharias vs. Jonas). Dieser Wandel in der Figurenauffassung mag auch Raffael, der sich heimlich Zugang zur Sixtina und zum Skizzenmaterial Michelangelos verschafft hatte, zu dramatischeren Figuren und dynamischeren Bewegungen angeregt haben.
In den letzten fünf Jahrhunderten wurde die Decke der Sixtinischen Kapelle mehrfach restauriert. Anlässlich des 500. Geburtstags von Michelangelo entschied der Vatikan, die letzte Restaurierung durchzuführen, die dem Werk seine Farbenpracht wieder zurückgab.
Doch schon davor war die Ausmalung mehrfach restauriert worden:
Im Jahr 1980 begannen die jüngsten Restaurierungsarbeiten unter der Leitung von Gianluigi Colalucci, Vorstand des Konservierungslabors des Vatikan. Das Deckenfresko befand sich in einem furchtbaren Zustand. Staub, Ruß und fettige Partikel verschmutzten es enorm (Kerzen, Öllampen, Luftverschmutzung). Die im frühen 18. Jahrhundert aufgetragene Leimschicht dehnte sich bei Wärme aus und zog sich bei Kälte wieder zusammen, wodurch sie die Malschicht Michelangelos ablösen konnten. Obschon eine heftige Debatte über das Für und Wider des Restaurierungsprojektes begann, entschied sich der Vatikan, die neuesten Methoden anzuwenden. Die frische, für viele überraschende Farbigkeit des Freskos hat auch wirklich für Furore gesorgt. Seither erstrahlt die Deckenmalerei der Sixtinischen Kapelle wieder in ihrem ursprünglichen Kolorit - und die Malerei Michelangelos ist weiterhin geschützt.