Die Nanas, einmal überlebensgroß, betretbar und Bauwerken ähnlich realisiert, führten Niki de Saint Phalle fast wie selbstverständlich zur Idee, einen Rückzugsort in der südlichen Toskana mit Skulpturen ausstatten zu wollen. Der Tarot-Garten (ab 1974) entstand mit Hilfe ihrer alten Freundin Marella Caracciolo Agnelli auf dem Hügel eines ehemaligen Steinbruchs bei Garavicchio.
Inspiriert durch das „Tarot de Marseille“ aus dem 18. Jahrhundert, entwickelte Niki de Saint Phalle bis zu ihrem Lebensende einen schillernden Ort. 22, mit farbigen und spiegelnden Mosaiksteinen verzierte, Skulpturen geben archetypische Bilder und existentialistische Situationen wieder: „Die Sphinx“ (auch „Die Kaiserin“, Modell 1978/79), „Mäßigkeit“ (Modell 1985) oder „Der Drache“ (Modell 1988). Mit ihrer Hilfe gelangt Niki de Saint Phalle zu einer neuen, „mystischen Verbindung mit Natur, mit Luft, mit Licht“ und schuf ein Wunderland der Fantasie.
Aufgrund ihrer Lungenbeschwerden, die Niki de Saint Phalle sich durch die Arbeit mit Polyester zugezogen hatte, begab sich die Künstlerin 1974 einige Monate zur Erholung nach St. Moritz. Dort begegnete sie ihrer alten Freundin Marella Caracciolo Agnelli aus New Yorker Zeiten wieder, die sie in den 1950er Jahren kennen gelernt hatte. Die Idee der Verwirklichung eines Skulpturengartens, einem Ort des Rückzugs von allem Kummer, einem Fantasiegarten fand bei Caracciolo und ihren beiden Brüdern Gefallen. Die Familie stellte Niki de Saint Phalle einen Hügel eines ehemaligen Steinbruchs in Garavicchio in der südlichen Toskana zur Verfügung, um ihr Projekt in die Tat umzusetzen. Als Vorbild diente das Tarot de Marseille aus dem 18. Jahrhundert, ein Kartenspiel, das heute vor allem zum Wahrsagen verwendet wird.
Nahezu zwanzig Jahre arbeitete Niki de Saint Phalle am Tarot Garten: Sie schuf 1976 erste Entwürfe; 1979 wurden die Fundamente gelegt und 1980 begannen die Arbeiten an der „Hohepriesterin“. Saint Phalle bezog ein Häuschen in der näheren Umgebung und beschäftige vor allem einheimische Handwerker für das Bauvorhaben. Damit besserte sich die allgemeine Stimmung erheblich, da viele Bewohner dem Projekt sehr skeptisch gegenüberstanden. Jean Tinguely, Rico Weber und Sepp Imhof, das sogenannte „All Star Swiss Team“, schweißten die baumhohen Eisengerüste für die ersten Figurengruppen zusammen. Da das gesamte Projekt von der Künstlerin selbst finanziert wurde, entwarf Niki de Saint Phalle für die Jaqueline Cochran Company ein eigenes Parfum in blau-goldenem Flakon (1982).
Die Figur der „Herrscherin“ wurde 1982 fertiggestellt. In den folgenden sieben Jahren lebte Niki de Saint Phalle in dieser Figur. Die Idee, auch mit anderen Materialien wie Keramik, Glas und Spiegeln zu arbeiten, kam ihr im Laufe der Zeit. Die Keramikarbeiten führte die italienische Künstlerin Venera Finocchiaro aus.
Die Jahre zwischen 1984 und 1987 verbrachte die Künstlerin nahezu gänzlich im Tarot Garten. Sie arbeitete an einer Serie von Blumenvasen in der Form von verschiedenen Tieren.
Im Juni 1996, etwa zwei Jahre vor der Fertigstellung, wurde der Tarot-Garten erstmals für Besucher geöffnet. Den Einfahrtsbereich des Tarot-Gartens, ein hufeisenförmiges Tor, fertigte Mario Botta an. Die feierliche Eröffnung fand am 15. Mai 1998 statt.
Im Benteli Verlag erschien gerade ein Bildband über den Tarot-Garten in der südlichen Toskana. Giulio Pietromarchi dokumentierte im Auftrag der Künstlerin 27 Jahre lang die Arbeit an ihrem Garten! Daher erlaubt das Buch einen Einblick in die konstruktiven Belange der Figuren und belegt die unglaubliche Leistung und das Engagement Niki de Saint Phalles und ihrer Mitarbeiter. Essays von Jill Johnson und Marella Caracciolo Chia berichten von der Persönlichkeit der Künstlerin und dem kulturgeschichtlichen Hintergrund zu jedem einzelnen Objekt. Fazit: Diese Fotos machen nicht nur Lust auf einen Besuch des Tarot-Gartens, sondern zeigen darüber hinaus das bewältigte Arbeitspensum und die überbordende Kreativität der Niki de Saint Phalle.
Niki de Saint Phalle und der Tarot-Garten
Texte von J. Johnston und M. Caracciolo Chia,
Fotografien von G. Pietromarchi
256 Seiten, 166 farbige und 27 sw Abbildungen
28 x 28 cm, Hardcover
CHF 78.– / Euro 49,80 [D] / 51,20 [A]
ISBN 978-3-7165-1400-9
Benteli