Norbert Kricke

Wer war Norbert Kricke?

Norbert Kricke (Düsseldorf 30.11.1922–28.6.1984 Düsseldorf) war ein deutscher Bildhauer des Informel (→ Abstrakter Expressionismus | Informel). Sein Hauptwerk sind die so genannten Raumplastiken aus metallischen Linien, die den Raum dynamisch durchstoßen. Dadurch sollte ein Gefühl von Freiheit vermittelt werden. Norbert Kricke gehört zu den wichtigsten Vertretern der deutschen Nachkriegsmoderne und prägte als Rektor der Düsseldorfer Kunstakademie die Ausbildungsstätte nachhaltig.

Ausbildung

Norbert Kricke wurde am 30. November 1922 in Düsseldorf geboren.

Kricke studierte bis 1946 an der Hochschule der Künste Berlin bei dem traditionellen Bildhauer Richard Scheibe, dessen Meisterschüler er wurde, und bei Hans Uhlmann, der als einer der ersten deutschen Bildhauer abstrakte Drahtplastiken schuf.

„In der Klasse des Bildhauers Enseling […] stieß ich auf Norbert Kricke, der naturgetreu seinem Meister nacheiferte und lebendige nackte Mädchen in nackte Mädchen aus Gips verwandelte, bis er, nur wenige Jahre später, von seinen Nackedeis genug hatte und fortan mit dekorativ gebogenen Drahtskulpturen dem Zeitgeist zu Diensten war.“1 (Günter Grass)

Lehre

1947 zog Kricke nach Düsseldorf, wo er als freischaffender Künstler tätig wurde.

Als Gast des British Council machte er 1955 eine Studienreise nach England und Schottland. 1958 besuchte er die Harvard University, 1973 mit John A. Thwaites, Mladen Lipecki und anderen Ägypten.

Norbert Kricke wurde 1964 als Professor für Bildhauerei an die Staatliche Kunstakademie Düsseldorf berufen, deren Direktor er von 1972 bis 1981 war. Im Jahr 1972 führte Kricke die Tradition des Akademie-Rundgangs ein, einer öffentlichen Ausstellung studentischer Semesterarbeiten im Akademiegebäude.

Kricke vs. Beuys

Ab Ende der 1960er Jahre kam es zwischen Joseph Beuys und Kricke, der Beuys messianisches Auftreten und „Jesus-Kitsch“ vorwarf, zu einer der härtesten Auseinandersetzungen der deutschen Nachkriegskunstgeschichte. Umgekehrt galt Kricke seinen Kritikern als „Siegelbewahrer einer informellen Vergangenheit“, als Künstler des Establishments und des Kapitals, während Beuys mit seinem Begriff der Sozialen Plastik und als Gründer der „Freien Internationalen Hochschule für Kreativität und interdisziplinäre Forschung“ sich als die wirkliche Avantgarde verstand.

Werke

Nach ersten figürlichen Skulpturen fand Kricke im filigranen, biegsamen Drahtgestell sein eigentliches plastisches Gestaltungsmittel. Ab 1950 schuf er erste abstrakte Gebilde, die er „Raumplastiken“ nannte. Sie bestehen aus filigranen Stahllinien, die sich dynamisch durch den Raum zu bewegen scheinen. Die immateriell und schwerelos wirkenden Raumplastiken stehen im Gegensatz zur traditionellen Plastik und Skulptur, deren Massenvolumen aus Materialien wie Stein, Marmor oder Bronze eine geschlossene Oberfläche ausbildet und den umgebenden Raum ausgrenzt. Mittels transparenter Materialien, perforierter Oberflächen und verschiedener Ansichten wurden Raum und Bewegung zum Thema seiner modernen Plastik. Kricke war ein Vertreter der modernen Vorstellung von Raum und Zeit, die als allgegenwärtige Größen alles durchdringen. Er selbst sagte, dass er die Einheit von Raum und Zeit durch die suggerierte Bewegung seiner Raumplastiken darstellen will. Bei der Umsetzung dieser Gedanken spielte auch Wilhelm Lehmbruck eine tragende Rolle.

Mit seinen ersten Raumplastiken, bestehend aus aneinandergeschweißten, dynamisch in den Raum ausgreifenden Metallstäben in gerader, gebündelter oder verknoteter Form, knüpft er Ende der 1940er Jahre an die Tradition des Konstruktivismus an, vor allem vertreten von Naum Gabo und Antoine Pevsner. Die Galerie Ophir in München organisierte 1953 Krickes erste Einzelausstellung.

Zunehmend wurde Krickes Formsprache freier, expressiver und dynamischer. Nachdem er 1952 mit der Serie der Lütticher die diagonale Linie eingeführt hatte, ähnelten seine Kurvigen, Knoten und Knäuel ab 1953 immer mehr gestenhaften Zeichen. Sie wirken wie choreographische Spuren des Künstlers, die in Material festgehalten sind. Diese Formtypen stehen im Verhältnis zum Informel, das in den fünfziger Jahren international die wichtigste künstlerische Strömung war. Nach Gleichschaltung und Instrumentalisierung der Kunst als Propagandamittel im Dritten Reich wollte die junge Künstlergeneration, zu der Kricke gehört, frei aus sich selbst heraus schaffen. Der individuelle Ausdruck der Informellen manifestierte sich in impulsiven, energetischen Linienschwüngen, die eine dynamische Raumvorstellung widerspiegeln. Nach Kricke bedeutet Raum in der Plastik immer Freiheit. Diese Freiheit soll bei der Betrachtung seiner Plastiken spürbar werden und sich auf den Menschen übertragen.

Im öffentlichen Raum war es Kricke ein Anliegen, die funktionalistische, streng rechtwinklige Architektur der Nachkriegsmoderne durch seine Plastiken aufzulockern. In ihrer Dynamik wirkt „Die Große Mannesmann“ von 1959, gestaltet aus Edelstahlrören des Unternehmens Mannesmann, noch heute als Gegensatz zur strengen Geometrie des Bürohauses von Paul Schneider-Esleben am Düsseldorfer Rheinufer. Eine große Flächenbahn aus dem gleichen Jahr befindet sich an der Stirnwand des Kleinen Hauses des Theaters in Gelsenkirchen von Werner Ruhnau. Ein weiteres Werk, das in einen Gegensatz zur strengen rechtwinkligen Architektur seiner Umgebung trat, war die „Space Sculpture“, die ab 1965 vor dem Los Angeles County Museum of Art aufgestellt war.

Norbert Kricke war Teilnehmer der „documenta II“ (1959), der „documenta III“ (1964) und der „documenta“ (1977) in Kassel wie auch der „32. Biennale von Venedig“ (1964).

Tod

Norbert Kricke starb am 26. Juni 1984 in Düsseldorf.

Beiträge zu Norbert Kricke

Norbert Kricke, Raumplastik, 1959 © Nachlass Norbert Kricke, Foto: Octavian Beldiman

Duisburg | Lehmbruck Museum: Norbert Kricke


Seinen 100. Geburtstag nimmt das Lehmbruck Museum zum Anlass für eine Studioausstellung, die sich dem facettenreichen Werk des Rheinländers zuwendet.
  1. Günter Grass studierte von 1948 bis 1952 an der Kunstakademie Düsseldorf Grafik und Bildhauerei. Er erwähnte Norbert Kricke in seiner Autobiografie „Beim Häuten der Zwiebel“, 2006, S. 335.