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Präraffaeliten. Eine Avantgarde-Bewegung? Viktorianische Avantgarde Teil 1

William Holman Hunt, The Awakening Conscience, 1853-1854, oil on canvas, 76.2 x 55.9 cm (30 x 22 in.)framed: 106 x 85.7 x 9.7 cm (41 3/4 x 33 3/4 x 3 13/16 in.), Tate. Presented by Sir Colin and Lady Anderson through the Friends of the Tate Gallery 1976.

William Holman Hunt, The Awakening Conscience, 1853/54, Öl auf Leinwand, 76.2 x 55.9 cm, gerahmt: 106 x 85.7 x 9.7 cm, Tate. Presented by Sir Colin and Lady Anderson through the Friends of the Tate Gallery 1976.

Obwohl die Bruderschaft der Präraffaeliten (Pre-Raphaelite Brotherhood) nur fünf Jahre, zwischen September 1848 und 1853, bestand, war sie die einflussreichste Künstlervereinigung Großbritanniens in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Ihre Mitglieder hinterfragten den Kanon der akademischen Tradition und schufen Bilder einer mythischen Vergangenheit, tief empfundener Religiosität und von verführerischen Schönheiten. Den Kuratoren gelingt es für diese Wanderausstellung alle wichtigen Bilder aus englischen Sammlungen zu vereinen und im Katalog die wichtigsten Forschungsansätze der letzten 20 Jahre konzise zusammenzufassen!

Die Präraffaeliten. Eine Avantgarde-Bewegung?

Die Präraffaeliten als Avantgarde1 zu beschreiben, scheint auf dem ersten Blick ein genauso erstaunlicher wie auf dem zweiten Blick logisch zu sein. In London im September 1848 von sieben jungen Männern als Gegenpol zur Royal Academy gegründet, wurden ihre Werke anfangs heftigst angegriffen und ab den 1860ern kopiert. Die führenden Mitglieder waren die jungen Maler John Everett Millais (1829–1896), Dante Gabriel Rossetti (1828–1882) und William Holman Hunt (1827–1910), sowie ihr ein wenig älterer Freund und Mentor Ford Madox Brown (1821–1893). Letzterer trat zwar der Gruppierung nie formal bei, aber teilte viele ihrer Ziele und war mit den Nazarenern bekannt. Ihre Mitglieder arbeiteten in so unterschiedlichen Medien wie Malerei, Zeichnung, Skulptur, Fotografie und angewandter Kunst, aber auch Literatur und politischer Theorie und sollten damit den Grundstein für die britische Arts and Crafts-Bewegung legen (→ Britische Aesthetic movement und Arts and Crafts-Bewegung).

In ihren Arbeiten reagierten die Präraffaeliten darüber hinaus auf die radikalen sozialen, technischen und ökonomischen Veränderungen ihrer Zeit. Sie einte die Zurückweisung der Konventionen und die Suche nach dem Ursprung von künstlerischen, und manchmal auch sozialen und politischen Problemen. So wurden dann auch erst die beiden „Kinder“ der Prae-Raphaelite Brotherhood, die Aesthetic movement der 1860er Jahre und die internationale Arts and Crafts-Bewegung am Ende des 19. Jahrhunderts, die Forderung nach Wandel einlösen versuchen.

„Wahrheit“ und Realismus gehen Hand in Hand

Die durchgreifende Industrialisierung und zunehmende Verstädterung in England sollte das Königreich bereits Mitte des 19. Jahrhundert zu einem Ausgangspunkt sozial-reformerischer Ideen werden lassen. Theoretiker und Architekten wie Augustus Welby Northmore Pugin und John Ruskin glaubten, in mittelalterlichen Gebäuden die Reminiszenzen von „ehrlichen Arbeitern“ zu finden, während die aktuellen Arbeitsbedingungen für Ruskin „Sklaverei“ bedeuten würden. So war es wohl eine glückliche Fügung, dass in den 1840ern einige wichtige Werke der altniederländischen und italienischen Malerei vor Raffael (1483–1520) Eingang in die National Gallery fanden: 1842 die „Arnolfini-Hochzeit“ von Jan van Eyck (1434) und 1848 der „San Benedetto-Altar“ von Lorenzo Monaco (1407-1409). Vor allem in der Werkstatt-Praxis der Frührenaissance fanden die Präraffaeliten – wie auch vor ihnen bereits die Nazarener – jenes Vorbild, dem es nachzueifern galt. Der historische Bezug sollte dabei nicht in ein „l'art pour l'art“-Haltung münden, sondern die aktuelle Gesellschaft verändern helfen. Stilistisch lassen sich die Werke der 1850er daher einerseits mit der Kunst des beginnenden 15. Jahrhunderts in Verbindung bringen: Stark leuchtende, reine aber transparente Farbschichten über einer zinkweiß grundierten Leinwand,2 klar konturierte Figuren, ein Minimum an Faktur, die Schilderung vieler Details und das Konstruieren von Schachtelräumen zählen zu den wichtigen, die barocke, malerische Tradition der Royal Academy ablehnenden Stilkriterien.

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Präraffaeliten: Bilder

  • Dante Gabriel Rossetti, Ecce Ancilla Domini! [Verkündigung], 1849/50, Öl auf Leinwand, auf Holz montiert, 73.7 x 41.9 cm, gerahmt: 100.2 x 69.8 x 8.8 cm, Tate. Purchased 1886.
  • John Everett Millais, Christus im Haus seiner Eltern (die Tischlerwerkstatt), 1849/50, Öl auf Leinwand, 86.4 x 139.7 cm, gerahmt: 159 x 187.3 x 141 cm, Tate. Purchased with assistance from the Art Fund and various subscribers 1921.
  • John Everett Millais, Mariana, 1850/51, Öl auf Mahagoni, 59.7 x 49.5 x 1.5 cm, gerahmt: 87.6 x 76.7 x 5.5 cm, Tate. Accepted by HM Government in lieu of tax and allocated to the Tate Gallery 1999.
  • John Everett Millais, Ophelia, 1851/52, Öl auf Leinwand, 76.2 x 111.8 cm, Tate. Presented by Sir Henry Tate 1894.
  • Alexander Munro, Paolo und / and Francesca, 1852, Marmor, 66 x 67.5 x 53 cm, Birmingham Museums and Art Gallery, Purchased 1960.
  • William Holman Hunt, Das erwachende Bewusstsein / The Awakening Conscience, 1853/54, Öl auf Leinwand, 76.2 x 55.9 cm, gerahmt: 106 x 85.7 x 9.7 cm, Tate. Presented by Sir Colin and Lady Anderson through the Friends of the Tate Gallery 1976.
  • Ford Madox Brown, Ein englischer Herbstnachmittag / An English Autumn Afternoon, Hampstead – Scenery in 1853, 1854, Öl auf Leinwand, overall (oval): 71.8 x 134.6 cm (28 1/4 x 53 in.), gerahmt: 110.5 x 173.5 x 12 cm (43 1/2 x 68 5/16 x 4 3/4 in.), Birmingham Museums and Art Gallery, Presented by the Public Picture Gallery Fund, 1916.
  • Arthur Hughes, April Liebe/ April Love, 1855/56, Öl auf Leinwand, 88.9 x 49.5 cm, Tate. Purchased 1909.
  • John Everett Millais, Das blinde Mädchen / The Blind Girl, 1856, Öl auf Leinwand, 80.8 x 53.4 cm gerahmt: 111 x 84.5 x 10 cm (43 11/16 x 33 1/4 x 3 15/16 in.), Birmingham Museums and Art Gallery. Presented by the Rt Hon William Kendrick, 1892.
  • John Brett, Gletscher in / Glacier at Rosenlaui, 1856, Öl auf Leinwand, 44.5 x 41.9 cm, Tate. Purchased 1946.
  • William Morris, Dante Gabriel Rossetti, The Arming of a Knight, 1856/57, Painted deal, leather and nails, 141.3 x 47.6 x 49.5 cm (55 5/8 x 18 3/4 x 19 1/2 in.), Delaware Art Museum, Acquired through the Bequest of Doris Wright Anderson and through the F.V. duPont Acquisition Fund, 1997.
  • Dante Gabriel Rossetti, Bocca Baciata, 1859, Öl auf Holz, 32.1 x 27 cm, Museum of Fine Arts, Boston, Gift of James Lawrence.
  • Ford Madox Brown, Arbeit / Work, 1863, Öl auf Leinwand, 68.4 x 99 cm, gerahmt: 99.5 x 130 x 9.5 cm, Birmingham Museums and Art Gallery. Bequeathed by James Richardson Holliday, 1927.
  • Dante Gabriel Rossetti, Beata Beatrix, um 1864–1870, Öl auf Leinwand, 86.4 x 66 cm, Tate. Presented by Georgiana, Baroness Mount-Temple in memory of her husband, Francis, Baron Mount-Temple 1889.
  • Julia Margaret Cameron, Mary Hillier, 1864–1866, 57 x 42 x 4 cm, Albumindruck von einem nassen Kollodiumnegativ © Victoria and Albert Museum, London.
  • Julia Margaret Cameron, The Mountain Nymph, Sweet Liberty, June 1866, Albumindruck von einem Kollodiumnegativ, 36.1 x 26.7 cm, National Gallery of Art, Washington, New Century Fund.
  • Dante Gabriel Rossetti, Lady Lilith, 1866–1868, Öl auf Leinwand, 96.5 x 85.1 cm, gerahmt: 134.6 x 121.9 x 7 cm, Delaware Art Museum, Samuel and Mary R. Bancroft Memorial, 1935.
  • William Holman Hunt, Isabella und der Topf Basilikum / Isabella and The Pot of Basil, 1866–1868.
  • Edward Fitzgerald, Rubaiyat von / of Omar Khayyam, 16. Oktober 1872, Tinte, Aquarell und Vergoldung auf Pergament, geöffnet: 13.5 x 23.5 cm, The British Library, London.
  • William Morris, Stoffentwurf / Design for Tulip and Willow printed textile, 1873–1875, pencil, watercolor, and bodycolor, 114.3 x 94 cm (45 x 37 in.), gerahmt: 120.3 x 100.6 x 3.3 cm (47 3/8 x 39 5/8 x 1 5/16 in.), Birmingham Museums and Art Gallery. Purchased from Morris & Co. through the Friends of BMAG, 1940.
  • Edward Burne-Jones, Laus Veneris, 1873–1878, Öl auf Leinwand, 121.9 x 182.9 cm, gerahmt: 154 x 216 x 7 cm, Laing Art Gallery, Newcastle upon Tyne.
  • Edward Burne-Jones, The Doom Fulfilled, 1885–1888, Öl auf Leinwand, 154.9 x 140.3 cm, Staatsgalerie Stuttgart.
  • Sir Edward Coley Burne-Jones, William Morris und John Henry Dearle, Bewaffnung und Abreise der Arthus-Ritter auf der Suche nach dem Heiligen Gral / The Arming and Departure of the Knights of the Round Table on the Quest for the Holy Grail), 1890–1894, Tapisserie / tapestry woven in wool and silk on a cotton warp, 240 x 347 cm (94 1/2 x 136 5/8 in.), Collection of Jimmy Page, courtesy of Paul Reeves London.
  1. Im begleitenden Katalog definieren Tim Barringer und Jason Rosenfeld Avantgarde wie folgt: „The term ‘avant-garde’ describes an organised grouping with a self-conscious, radical, collective project of overturning current orthodoxies in art and replacing them with new, critical practic¬es often directly engaged with the contemporary world.“, in: Tim Barringer, Jason Rosenfeld, Alison Smith: Pre-Raphaelites. Victorian Avant-Garde (Ausst.-Kat. London, Tate Britain, 12.9.2012–13.1.2013; Washington, National Gallery 17.2.–19.5.2013, Moskau, State Pushkin Museum of Fine Arts, 10.6.–30.9.2013), London 2012, S. 9.
  2. Für weiterführende Informationen zur Maltechnik und ihre zeitgenössische Diskussion wie auch die Nähe ihrer Maltechnik zum Aquarell bzw. zur Miniaturmalerei siehe Alison Smith, Medium and Method in Prepraphaelite Painting im Ausstellungskatalog, S. 18-23.
Alexandra Matzner
Gründerin von ARTinWORDS * 1974 in Linz, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Romanistik in Wien und Rom. Seit 1999 Kunstvermittlerin in Wien, seit 2004 Autorin für verschiedene Kunstzeitschriften. Jüngste Publiktionen entstanden für das Kunsthaus Zürich, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Albertina und Belvedere in Wien.