Rembrandt Bugatti

Wer war Rembrandt Bugatti?

Rembrandt Bugatti (Mailand 16.10.1884–8.1.1916 Paris) war ein italienischstämmiger Bildhauer des frühen 20. Jahrhunderts, der bereits im Alter von 31 Jahren verstarb. Er wird häufig als singuläre Erscheinung beschrieben, lassen sich doch seine Werke keinem Stil eindeutig zuschreiben. Rembrandt Bugatti wurde in Mailand in eine Künstlerfamilie geboren, hat nie eine Kunstakademie besucht und sich autodidaktisch gebildet. Um 1903 zog er gemeinsam mit seiner Familie nach Paris, später nach Antwerpen. Bugattis individuelle soziale und künstlerische Prägung sowie seine Werke werden im Kontext des Impressionismus diskutiert. Damit gehörte Rembrandt Bugatti zur Generation von Medardo Rosso, Edgar DegasAuguste Rodin und Paolo Troubetzkoy. Sein Bruder Ettore Bugatti war der legendäre Automobilkonstrukteur, der steigende Elefant (Kühlerfigur) war eine Erfindung Rembrandt Bugattis. Rembrandt Bugatti schuf in seinem kurzen Leben über 300 Werke.

Kindheit und Ausbildung

Rembrandt Bugatti kam am 16. Oktober 1884 in Mailand als Sohn von Carlo Bugatti (1856–1940) und dessen Frau Teresa Bugatti (geb. Lorioli) zur Welt. Sein Großvater väterlicherseits war der Bildhauer Giovanni Luigi Bugatti, sein Taufpate der Bildhauer Ercole Rosa. Carlo Bugatti hatte – wahrscheinlich – an der Mailänder Accademia di Brera Architektur studiert, wo er den Maler Giovanni Segantini (1858–1899) kennenlernte, mit dem ihn eine lebenslange Freundschaft verband. Ab den frühen 1880er Jahren wurde Carlo Bugatti mit ausgefallenen Möbelentwürfen bekannt, später gestaltete er auch ganze Innenräume und Gebrauchsgegenstände wie etwa Teeservice aus Silber und Elfenbein. Die fantasievolle Exzentrik seiner kostspieligen Designs, die orientalische, maurische und fernöstliche Stilelemente amalgamierten, spiegelte sich in seinem extrovertierten Auftreten in selbst entworfener Kleidung.

Rembrandt Bugattis Werdegang als Bildhauer ist geprägt vom Mailänder Künstlermilieu, in dem sich seine Eltern bewegten. So war Giovanni Segantini mit Carlos Schwester Luigia liiert und wurde Rembrandts Onkel. Zum Freundeskreis gehörten zudem die Bildhauer Giuseppe Grandi und Ercole Rosa sowie die Komponisten Giacomo Puccini und Ruggero Leoncavallo. Rosa war auch Rembrandts Patenonkel. Das Umfeld des jungen Rembrandts muss ungemein anregend gewesen sein und wirkte sich auf die künstlerische Entwicklung desselben aus.

Schon früh arbeiteten Rembrandt und sein älterer Bruder Ettore in der Werkstatt des Vaters mit. Während Ettore, der spätere, legendäre Automobilkonstrukteur, kurzzeitig an der Mailänder Akademie zum Studium immatrikuliert war, verlief Rembrandts künstlerischer Werdegang, von den Einflüssen des familiären Umfelds abgesehen, autodidaktisch. Laut der Familienüberlieferung hatte Carlo Bugatti unter einer Decke in seiner Werkstatt eine in Ton modellierte Gruppe dreier Kühe entdeckt und diese aufgrund des Grades an Vollendung zunächst seinem älteren Sohn Ettore zugeschrieben, doch zeigte sich der erst 15-jährige Rembrandt als Urheber. Rembrandt Bugatti besuchte nie die Akademie, sondern bildete sich autodidaktisch weiter.

Den größten Einfluss auf Rembrandt Bugatti übte der italienische Bildhauer Paolo Troubetzkoy (1866–1938) aus, ein enger Freund der Familie. Troubetzkoys Schützling Bugatti bewies ein überragendes plastisches Talent, mit dem er Empfindsamkeit, Gewaltverzicht und Tierliebe sowie einen Hang zu Eleganz und Exzentrik darzustellen wusste. Insbesondere die frühen Werke Bugattis sind stilistisch denen Troubetzkoys so nahe, dass sie kaum voneinander zu unterscheiden sind.

Erste Erfolge in Mailand und Venedig

Die erste Ausstellungsbeteiligung des 16-jährigen Rembrandt Bugatti fand 1901 auf der Mailänder Frühjahrsausstellung statt. Sein Vater Carlo reichte die Gipsplastik „Rückkehr von der Weide“ für ihn ein. Im folgenden Jahr war Rembrandt bereits mit drei Werken auf der Ausstellung vertreten; zwei davon hatte der Vater sogar in Bronze gießen lassen. 1903 waren Arbeiten Bugattis auf der Biennale von Venedig zu sehen, 1904 stellte er dann in der einflussreichen Galerie von Alberto Grubicy in Mailand und im Pariser Salon aus.

Die Motivwahl der frühen Jahre rückt Bugatti in die Nähe von Giovanni Segantini, mit dem er den Hang zu eremitischer Naturverbundenheit teilte. Segantini stand wohl nicht nur bei Bugattis anfänglich noch sehr dem italienischen Naturalismus naher Formauffassung Pate, sondern auch bei dessen Hang, seine Plastiken auf mitunter extreme und dabei sehr malerische, zweidimensionale Art und Weise zu komponieren: So trieb Bugatti die meterlange Hintereinanderreihung von Nutztieren, wie man diese von Segantinis Bildern kannte, in mehreren Arbeiten in Bronze auf die Spitze. Ein Journalist bezeichnete den Künstler, wie dieser selbst überlieferte, bereits 1904 als „Segantini der Skulptur“.

Paris

Um 1903 zog Carlo Bugatti mit seiner Familie nach Paris. Für Bugatti bedeutete dies einen Wendepunkt, da er schon mit seinen ersten Arbeiten die Aufmerksamkeit des Bronzegießers und Kunsthändlers Adrien-Aurélien Hébrard erregte. Hébard verband wie kein Zweiter ausgeklügelten Geschäftssinn mit vollendeter Gusstechnik, indem er im Dezember 1902 seine Gießerei in Paris gründete. Für die impressionistische Plastik sollte er so wichtig werden wie Paul Durand-Ruel für die impressionistische Malerei – auch Troubetzkoy und die Erben von Edgar Degas ließen bei Hébrard Entwürfe vervielfältigen, ohne diesen Prozess zu überwachen oder sich daran zu beteiligen. Mit Albino Palazzolo, einem aus Mailand stammenden Bronzegießer, arbeitete einer der führenden Kräfte in Hébards Werkstatt. Palazzolo gelang es, die Modelle Bugattis mit Hilfe des Wachsausschmelzverfahrens in dünnwandige Güsse zu übertragen, deren tiefbraune und glänzende Patina auch heute noch sehr geschätzt wird. Im Gegensatz zu seinen Kollegen schätzte Bugatti weder fragmentierte Darstellungen noch die Sichtbarkeit von Gussnähten. Der ehrgeizige Mitarbeiter schaffte sogar, großformatige Bronzegruppen in einem Stück zu gießen. Etliche Werke Bugattis wurden als Unikate gegossen und tragen deshalb auf der Plinthe das Gütesiegel „pièce unique“. Damit rückten Bildhauer und Gießer die Statuetten in die Nähe des einzigartigen Gemäldes, was auch für die impressionistischen Kompositionen charakteristisch ist. Dazu kamen Spuren von Flüchtigkeit im Arbeitsprozess und das gewollte non-finito.

Im Juni 1904, zwei Jahre nach der Gründung seiner Gießerei, eröffnete Hébrard neue, repräsentativere Geschäftsräume unweit der Place de la Concorde. Die erste Einzelausstellung in den neuen Räumen widmete er dem 19-jährigen Rembrandt Bugatti. In Anbetracht des großen Erfolgs nahm der Händler den Künstler exklusiv unter Vertrag; bis 1913 zeigte er ihn jährlich in ein bis zwei Ausstellungen. Hébrard gehörte zu den ersten Gießern, die in nummerierten Auflagen gossen und somit Exklusivität und Preis ihrer Verkaufsware entsprechend steuerten.

Fruchtbare Künstlerkontakte Bugattis sind für jene Jahre nicht überliefert. Der Künstler galt als introvertiert und besuchte statt der Kneipen von Montmartre und Montparnasse lieber den Jardin des Plantes, den zoologischen Garten. Dort hatte er mit Großkatzen, Antilopen, Affen und Vögeln die passenden Modelle für seine Kunst gefunden: Farben, Formen, Bewegungen und Morphologien, die der Bildhauerei des späten 19. Jahrhunderts ein völlig neues Themenfeld eröffneten. Schon der Bildhauer Adolf von Hildebrand, der als Theoretiker von großem Einfluss war, hatte treffend bemerkt:

„Das Tier ist viel neuer, unberührter und frischer als die menschliche Figur, bei der sich alles, was schon von anderen gemacht worden ist, leicht dazwischenschiebt.“1

Antwerpen

Rembrandt Bugatti verbrachte die entscheidende Zeit seines Künstlerlebens im flämischen Antwerpen, wohin er im Spätsommer 1907 übersiedelte. Die Familie seines Bruders, zu welcher er engen Kontakt pflegte, lebte im seinerzeit deutschen Elsass. Der Großteil von Bugattis Werken, rund 300 Plastiken, entstand bis 1914 im Zoo von Antwerpen, dem damals größten Zoo in Europa. Bugatti arbeitete vor den lebendigen Tieren, vor allem exotischen wie Elefanten, Pavianen, Antilopen, Leoparden und Flamingos. Im Frühsommer 1910 organisierte er seine erste große Einzelausstellung in der Königlichen Zoologischen Gesellschaft, die zu einem künstlerischen Erfolg wurde.

Bugattis Tierplastiken

Wenn Bugatti Menschen porträtierte, in der Regel Freunde und Bekannte, dann stellte er sie immer in Ganzfigur dar. Sein Lieblingsthema war jedoch das exotische Tier, das er in den zoologischen Gärten von Paris und Antwerpen vorfand. Der Künstler arbeitete nur selten im Atelier, sondern in der Regel en plein air, also direkt vor seinen Modellen im oder, im Falle gefährlicher Tiere, vor dem Gehege. Obwohl Bugatti ein brillanter Zeichner war, spielte die Zeichnung für sein plastisches Schaffen keine Rolle. Daher wird sein Werk im Kontext des Impressionismus diskutiert.

Rembrandt Bugatti konzentrierte sich auf die friedvolle Darstellung des Tieres. Dramatische oder gewalttätige Szenen, die lange charakteristisch für die Tierplastik waren, fehlen in seinem Werk. Die dem Impressionismus verwandte Akzentuierung von Erscheinungs- und Wesenhaftigkeit des Tieres erweiterte Bugatti durch stets realistisch wiedergegebene Gestalt und Bewegungsabläufe. Panther, Tiger und Löwen zeigte Bugatti meist realistisch – schlafend, fressend oder vor sich hindösend, auch Krankheit und Verletzung sind für ihn ein darstellungswürdiges Thema. Vor allem begeisterte er sich für spezifische Haltungen, nicht schöne Haltungen.

Grundlage für Rembrandt Bugattis Kunst waren lange Beobachtungen der jeweiligen Spezies, ihrer Bewegungen und ihres Verhaltens sowie insbesondere der Interaktion mit Artgenossen. Danach legte der Bildhauer die Komposition in einem Stützmodell aus Draht und Holz fest und begann mit seiner Arbeit vor dem Gehege. Bugatti verwendete, wie schon Troubetzkoy, Plastilin, einen neuartigen Werkstoff, der aus weißer Tonerde, Wachsen und Ölen bestand. Plastilin trocknet langsamer als Ton, bleibt länger geschmeidig und garantiert deshalb einen frischen, gleichsam unfertig anmutenden, „impressionistischen“ Ausdruck.

Das zügige Modellieren in einem Durchgang war für Bugatti ein maßgebliches Kriterium für das Gelingen eines Werks. Die Wirkung von Bugattis Plastiken beruht auf der Sichtbarkeit der Arbeitsspuren: die streichende und knetende Formung des Materials, die Betonung der Handarbeit und der nur sparsame Einsatz von Werkzeug wie Kämmen oder Griffeln. Manche Figur quillt scheinbar aus dem Material heraus. Bugatti arbeitete mit einer Verschmelzung von Umgebung und Figur. Er vermied Kontur und haptische Trennschärfe zugunsten einer optischen, erscheinungshaften Gesamtwirkung.

Bugatti und der Impressionismus

Für den impressionistische Eindruck von Bugattis Tierfiguren nutzte er das Spiel von Licht und Schatten sowie das Verhältnis von Figur und Plinthe. Häufig kann man beobachten, dass Extremitäten der Tiere über die Standfläche hinausreichen, sie asymmetrisch darauf angeordnet sind, oder der Künstler die Leere der Plinthe miteinbezieht. Rhythmus und Raum werden so wichtige Kriterien für Rembrandt Bugattis Werke. Auffallend ist, dass er sich ganz auf die Tiere konzentrierte und deren Umfeld, die Landschaft gänzlich ausklammerte.

Bereits 1904, anlässlich seiner ersten Ausstellung in Paris, wurde Rembrandt Bugatti dem Impressionismus zugerechnet. Für ihn standen die Tiere für sich selbst (und waren beispielsweise keine symbolbeladenen Kreaturen oder gar verlebendigte heraldische Insignien). Der stilistische Zugriff Bugattis ist allerdings vielfältig und reich von impressionistisch bis zu realistisch und schlussendlich in den 1910er Jahren bis zur Vorwegnahme des artifiziell glatten Art Déco.

Späte Werke

Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurde Rembrandt Bugatti von Depressionen und Selbstzweifeln geplagt. Ab 1914 kamen gesundheitliche und finanzielle Probleme hinzu. Er änderte seinen Stil. Der Künstler ummantelte nun seine Modelle mit fast panzerartigen Schalen, er abstrahierte Fell und Oberflächen, womit diese kurz vor 1914 entstandenen Werke zu Vorboten des Art déco wurden. Die Werke jener Jahre wirken roboterhaft, martialisch; nicht länger stehen Wesen und Erscheinung der Kreatur im Zentrum, vielmehr Anatomie und Muskelkraft. Bugattis Großkatzen wirken gleichsam gehäutet und seziert.

Aufgebaut sind diese Plastiken aus kleinen Kugeln und Rollen aus Plastilin, ohne jedoch jene bozzettoartige Anmutung zu besitzen, welche die Werke von Degas ausmachte, der ähnlich bei der Arbeit vorging. Bugattis Oberflächen blieben grafisch und konstruiert. Und doch sind sie, wiederum, in höchstem Maße malerisch, denn sie erinnern an die Gemälde der zweiten Generation des Impressionismus, des Neoimpressionismus, in denen die Pinselstriche streng nebeneinander, nicht überlappend, gesetzt wurden. Italienische Künstler hatten diesen Stil zu einem sehr spezifischen Divisionismus weiterentwickelt, der das Trennen und Teilen der einzelnen Pinselstriche und Farbwerte schon im Namen trägt. Bugattis Onkel Giovanni Segantini war dessen wichtigster Vertreter.

Tod

Mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs verdüsterten sich Lage und Gemüt des Künstlers, der kaum noch Käufer für seine Werke finden konnte. Hébrard hatte seine Galerie geschlossen, derweil Bugatti mitansehen musste, wie der Antwerpener Zoo seine Tiere aus Futtermangel tötete. Am 8. Januar 1916 schließlich nahm sich Bugatti in Paris das Leben. Er wurde nur 31 Jahre alt.

Literatur zu Rembrandt Bugatti

  • En passant. Impressionismus in Skulptur, hg. v. Alexander Eiling, Eva Mongi-Vollmer (Ausst.-Kat. Frankfurt a. M., 19.3.–28.6.2020), München 2020.
  • Edward Horswell, Rembrandt Bugatti. Life in Sculpture, London 2016.
  • Anke Daemgen, Rembrandt Bugatti. Leben, Familie und Werk, in: Rembrandt Bugatti. Der Bildhauer. 1884–1916, hg. v. Philipp Demandt, Anke Daemgen (Ausst.-Kat. Alte Nationalgalerie Berlin – Staatliche Museen zu Berlin, 28.3.2014–27.7.2014), München 2014, S. 24–43.
  • Rembrandt Bugatti. Der Bildhauer. 1884–1916, hg. v. Philipp Demandt, Anke Daemgen (Ausst.-Kat. Alte Nationalgalerie Berlin – Staatliche Museen zu Berlin, 28.3.2014–27.7.2014), München 2014.

Weitere Beiträge zu Rembrandt Bugatti

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„En passant“ fragt nach der „Übersetzung“ impressionistischer Malerei in hartes Material Der Impressionismus fasziniert auch anderthalb Jahrhunderte nach seiner Entstehung weltweit. Vor allem die Malerei mit ihrem lockeren, skizzenhaften Pinselfluss, der reichen und hellen Farbpalette und den alltäglichen Sujets vermittelt ein Gefühl von Aufbruch und Modernität. Bis heute weniger erforscht und einem breiten Publikum unbekannt ist hingegen die Vielfalt des Impressionismus in der Skulptur. Dabei ist es historisch belegt, dass die Diskussion über den Impressionismus in der Skulptur mit der Präsentation von Edgar Degas’ Werk „Kleine vierzehnjährige Tänzerin“ (1878/81) auf der sechsten Impressionisten-Ausstellung 1881 in Paris ihren Anfang nahm.
  1. Edward Horswell, Rembrandt Bugatti. Life in Sculpture, London 2016, S. 65.