Medardo Rosso

Wer war Medardo Rosso?

Medardo Rosso (Turin 21.6.1858–31.3.1928 Mailand) war ein italienischer Bildhauer und Plastiker des Symbolismus und Impressionismus. Damit gilt er als ein Pionier der modernen Skulptur. Nach dem Tod von Auguste Rodin 1917 erklärte Apollinaire Medardo Rosso zum wichtigsten lebenden Bildhauer der Zeit. Seine Werke begeisterten Künstler wie Edgar Degas und Umberto Boccioni, aber auch Tony Cragg. Mit Hilfe von Rossos außergewöhnlicher Methodik – Wachs über Gipsabgüssen zu modellieren – gelang es ihm, subtile Lichteffekte und Bewegungsmomente in seinen Skulpturen einzufangen. Das macht seine Werke allerdings sehr fragil, weshalb Ausstellungen zu Medardo Rosso außerhalb Italiens sehr selten sind.

„Die Skulptur ist nicht nur der Malerei vollkommen gleichwertig […], sondern sie ist vielleicht berufen, die letztere zu übertreffen.“1 (Medardo Rosso, 1902)

Ausbildung

Medardo Rosso wurde 1858 in Turin geboren und zog 1870 mit seiner Familie nach Mailand. Dort begann er sich 1880 mit Skulptur zu beschäftigen und studierte an der Accademia di Brera (1882–1883). Bereits ein Jahr nach seiner Aufnahme wurde Medardo Rosso von der Akademie verwiesen, da er eine Petition, in der Studenten gegen das Zeichnen nach dem Modell und fehlender Möglichkeit, Aktzeichnen zu üben, angeführt hatte.

In Oberitalien schloss er sich der Scapigliatura an, den Schriftstellern, Künstlern und Komponisten des Mailänder Bohéme-Milieu. Zu den führenden Malern dieser Generation zählten Tranquillo Cremona und Daniele Ranzoni sowie Giuseppe Grandi in der Bildhauerei. Die Werker der Scapigliatura-Künstler experimentierten bereits mit einem tupfenartigen Farbauftrag und dunstiger Atmosphäre. Schriftsteller des Impressionismus, wie der Mailänder Felice Cameroni, vermittelten Medardo Rosso einen positivistischen Zugang zur Welt und Wahrnehmung.

Medardo Rosso reagierte in frühen Werken (1883–1886) – wie „Der Concierge“ (1883), „Impression eines Autobusses“ (um 1884, zerstört), „Der Sakristan“ (1883), „Das Fleisch der anderen“ (1883) und „Das Goldene Zeitalter“ (1886) – auf die Neuerungen von Cremona, Ranzoni und vor allem Grandi: unscharfe Umrisslinien, gemilderte Flächen und das Arbeiten mit vibrierendem Licht und Atmosphäre. Auf diese Weise gelang des den Malern, eine neuartige Einheit ihrer Kompositionen zu erzielen.

Seine erste Reise nach Paris unternahm Medardo Rosso im Jahr 1886, um die letzte Impressionisten-Ausstellung zu besuchen.2 Dort stellten vor allem die Pointillisten rund um Georges Seurat (→ Georges Seurat, Erfinder des Pointillismus) und Paul Signac aus; sie lösten den Impressionismus mit ihrem wissenschaftlichen Zugang zur Farbe ab (→ Achte Impressionisten-Ausstellung 1886).

Paris

Im Jahr 1889 zog Medardo Rosso nach Paris, wo er noch im gleichen Jahr am Salon des Indèpendants ausstellte. Der Impressionismus war bereits von Pointillismus, Neo-Impressionismus als Avantgarde abgelöst worden; 1888 schlossen sich Pierre Bonnard, Maurice Denis und Edouard Vuillard zur Gruppe „Nabis“ zusammen. Schon zuvor hatte Medardo Rosso seine Werke als „Schöpfung von Licht, Emotion und wechselnden Perspektiven“ bezeichnet. Die Synthese von empfangenen Eindrücken wäre die Grundlage für bildhauerisches Arbeiten, so Rosso weiter. In der Folge ging es Medardo Rosso darum, die Grenzen von Stilwahl und Ästhetik zu überwinden, um die „Gesamtheit der Gefühle“ zu entdecken, die der Künstler durchlebte, während er die Natur beobachtete. Aus diesem Grund sollte auch das verwendete Material vergessen gemacht werden.

Medardo Rosso und der Impressionismus

Der Ursprung von Medardo Rossos Qualität als Bildhauer liegt in seinem Wunsch, die statuarische Form der Skulptur (vgl. Klassische Antike, Renaissance) zu überwinden. Gleichzeitig verband er Fragen zur Ansicht einer Skulptur mit dem Gefühl und der Bewegung. Rossos Verbindung zur Kunst des Impressionismus reichen vom Einfluss Paul Cézannes (Raum-Fläche) bis zu seinem Verhaftetsein mit der Abbildung der Figur. Medardo Rosso konzentrierte sich in seinen Arbeiten auf reliefhafte Gestaltung und der menschlichen Figur, die er experimentell durcharbeitete, ohne diese selbstgesteckte Grenze in Richtung Kubismus, Futurismus oder Abstrakter Kunst zu verlassen. Grund dafür ist, dass Medardo Rossos Werke mehr auf malerischen Fragestellungen als konstruktiven Überlegungen beruhen. In der Literatur wird daher das Streichen über den Ton- oder Wachskörper mit der Berührung der Leinwand mit dem Pinsel verglichen. Die Oberfläche soll vibrieren im Licht und gleichzeitig spontan und direkt wirken.

Medardo Rosso und der Futurismus

Das skulpturale Werk von Medardo Rosso gilt heute als innovativ, ja revolutionär, da er mit Hilfe des Modellierens der Skulptur neue Wege eröffnete. Einer der ersten, der dies erkannte war der italienische Futurist Umberto Boccioni in seiner Schrift „Technisches Manifest der futuristischen Skulptur“ (1912 → Futurismus). Boccioni nutzte Medardo Rosso – neben Pablo Picassos „Kopf einer Frau“ von 1909 – als Ausgangspunkt für eigene Werke wie „Kopf + Haus + Licht“ (1912). Was Boccioni an Rossos Werken so faszinierte, war die Verbindung von Materie-Energie und Bewegung, Raum und Zeit, das dreidimensionale Objekt und sein umgebender Raum.

Literatur über Medardo Rosso

  • Medardo Rosso (Ausst.-Kat. Whitechapel Art Gallery, London, 25.2.–24.4.1994; Scottish National Gallery of Modern Art, Edinburgh, 5.5.–26.6.1994; The Henry Moore Institute, Leeds, 14.7.–20.8.1994), London 1994. Die Ausstellung wurde kuratiert von Luciano Caramel.

Beiträge zu Medardo Rosso

Edgar Degas, Kleine vierzehnjährige Tänzerin, Detail vom Rücken, 1881, Bronze, H. 98 cm (Europäische Privatsammlung, © Städel Museum, Foto: Horst Ziegenfusz)

Frankfurt | Städel: Impressionismus und Skulptur


Der Impressionismus fasziniert auch anderthalb Jahrhunderte nach seiner Entstehung weltweit. Vor allem die Malerei mit ihrem lockeren, skizzenhaften Pinselfluss, der reichen und hellen Farbpalette und den alltäglichen Sujets vermittelt ein Gefühl von Aufbruch und Modernität. Bis heute weniger erforscht und einem breiten Publikum unbekannt ist hingegen die Vielfalt des Impressionismus in der Skulptur. Dabei ist es historisch belegt, dass die Diskussion über den Impressionismus in der Skulptur mit der Präsentation von Edgar Degas’ Werk „Kleine vierzehnjährige Tänzerin“ (1878/81) auf der sechsten Impressionisten-Ausstellung 1881 in Paris ihren Anfang nahm.
  1. Medardo Rosso zit. nach Edmond Claris, 1902, in: Eva Mongi-Vollmer, „Er begründet meisterlich die impressionistische Skulptur“ – Medardo Rosso, in: en passant. Impressionismus in Skulptur, hg. von Alexander Eiling, Eva Mongi-Vollmer (Ausst.-Kat. Städel Museum, Frankfurt, 19.3.–28.6.2020), München 2020, S. 128.
  2. Ob Medardo Rosso bereits 1884 zum ersten Mal nach Paris reiste, kann nicht mit Sicherheit nachgewiesen werden. In Paris soll er in Jules Dalou Atelier gearbeitet und Auguste Rodin zum ersten Mal getroffen haben.