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Utopie GESAMTKUNSTWERK Künstlerische Antworten auf ein Phänomen

Utopie Gesamtkunstwerk, Ausstellungsansicht, 2012 (Display Esther Stocker) © Belvedere, Wien / Foto: Roland Unger.

Utopie Gesamtkunstwerk, Ausstellungsansicht, 2012 (Display Esther Stocker) © Belvedere, Wien / Foto: Roland Unger.

Für die erste Gruppenausstellung im neu eröffneten 21er Haus stellen sich die Kuratoren Bettina Steinbrügge und Harald Krejci der Aufgabe, das Konzept des „Gesamtkunstwerks“ einer zeitgenössischen Überprüfung zu unterziehen. Dies überrascht, sind sich doch die Kuratoren wie auch die von ihnen eingeladenen Kunstkritiker gleichermaßen einig, dass ein Gesamtkunstwerk nicht hergestellt werden könne. Man könnte daher auch schlussfolgern, dass es daher auch nicht ausstellbar ist. So listet der Katalog unmittelbar nach den einleitenden Worten von Dir.in Agnes Husslein-Arco eine Reihe von „Statements“ auf, die mit Harald Szeemanns Aussage „Das Gesamtkunstwerk gibt es nicht.“ in die Beschäftigung mit dem Thema einführt. Richard Wagner beispielsweise spricht vom Gesamtkunstwerk als ein alle Gattungen der Kunst einbeziehendes Werk, in dem „wir Eins sein werden“. Das Ziel des Gesamtkunstwerkes ist es, nicht nur Malerei, Architektur, Skulptur, Musik, Poesie und Tanz zu einer neuen Raumkunst zu verschmelzen, sondern darüber hinaus den Menschen ein sinnstiftendes Gemeinschaftserlebnis zu ermöglichen.

Allein die gesellschaftlichen Komponenten, die jedem Gesamtkunstwerk der Moderne seither eigen sind, machen das Ausstellungsprojekt „Utopie GESAMTKUNSTWERK“ zu einem Wagnis. Wie also etwas ausstellen, das es eigentlich in der Reinheit seiner Definition gar nicht gibt? Wie diese Utopie, dieser Wunsch nach einem Nicht-Ort (die wörtliche Übersetzung von Utopie), in Szene setzen, wo sie einmal aufgespürt wurde?

Die Kuratoren haben – auch in Zukunft – die schwierige Aufgabe einen Glaskubus zu bespielen, dessen architektonische Qualität u.a. in seiner durchscheinenden Raumhülle liegt. Diese optische Verbindung von Innen und Außen, diese Lichtqualität erschwert jedoch das Ausstellen von Video- und Filmarbeiten. Mit der Beauftragung von Esther Stocker für die Ausstellungsarchitektur gelangt der Kunstgriff, aktuelle Raumkunst für die Ausstellung zu schaffen. Stocker baut ein System von schwarzen Boxen und Rahmenstrukturen, in denen wiederum ausgewählte Kunstwerke ihre Plätze finden. Jedes erhält auf diese Weise auch einen eigenen Raum, in dem es sich als Einzelnes unter Vielen entfalten kann. Dies scheint auch wichtig, ist der Ausstellungsrundgang mit 54 künstlerischen Positionen so dicht angelegt, dass man mehr als einen Besuch braucht, um mit der Menge des Gezeigten fertig zu werden.

Undefinierbares Gesamtkunstwerk ausstellen

Eines der argumentativen Experimente von Bettina Steinbrügge, das sich in einer Ausstellung nicht adäquat umsetzen lässt, scheint mir, die Undefinierbarkeit des Gesamtkunstwerks zu sein. Einerseits sucht die Kuratorin den utopischen Charakter des Gesamtkunstwerks theoretisch zu untermauern und dann dennoch mit jenen Kunstwerken „aufzufüllen“, in denen sie Anklänge an das Gesamtkunstwerk verortet. Diese müssen allein schon wegen der Definition des Gesamtkunstwerks Fragmente bleiben und erinnern in diesem Status mehr an archäologische Fundstücke, herausgerissen aus dem jeweiligen Kontext, und dadurch nur schwer verständlich. Erschwert wird die Auseinandersetzung zudem durch die Suche nach so mancher Beschriftungstafel, sollen doch die Objekte im Raum nicht durch Texte in ihrer Integrität gestört werden. Allen ist ihnen aber gemein, dass sie in ihrer Bruchstückhaftigkeit nur mehr Fingerzeige auf Gedankengebäude ihrer SchöpferInnen sind, dass, um sie in ihrer Komplexität verstehen zu können, ihnen ganze Bücher gewidmet werden müssten. Mutig ist daher der Entschluss der Kuratoren, sich dem Thema überhaupt anzunähern, wenig erhellend jedoch die Kriterien der Auswahl der künstlerischen Positionen. Hermann Nitsch reiht sich an Joseph Beuys, Thomas Hirschhorn, WochenKlausur, Isa Genzken, Tom Burr, Ralo Mayer und VALIE EXPORT, um nur einige zu nennen. Wenn das Gesamtkunstwerk so vielfältige Formen annimmt, wie in dieser Ausstellung gezeigt, wozu dient dann der Begriff noch? Oder anders gefragt: Wäre es nicht ehrlicher, vom Gesamtkunstwerk nur mehr als einer historischen Utopie zu sprechen, da deren Dekonstruktion schon vor Jahren stattgefunden hat?

Szeemann re-visited

Die Kuratoren knüpfen mit ihrer Themenwahl bewusst an die eigene Geschichte des 20er/21er Hauses an, da vor 29 Jahren Harald Szeemann hier in einer legendären Ausstellung bereits vorsichtig von einem „Hang zum Gesamtkunstwerk“ und von „Europäischen Utopien seit 1800“ zu berichten wusste. Szeemann war es aber auch, der konstatierte, dass es das Gesamtkunstwerk nicht gebe. Das Scheitern, oder zumindest das Nichterfüllen der traditionellen Besuchererwartungen, ist in diesem Fall also bewusst in Kauf genommen, das Wort „Utopie“ im Titel verweist darauf. Scheitern verwandelt sich dann in Erfolg, wenn man das Wagnis des Experiments als Horizonterweiterung und Erfahrungsgewinn sieht. Dass beides aber nur mit viel Kopfzerbrechen und aktiver Teilhabe zu bewerkstelligen ist, klingt nicht nur wie eine Plattitüde, sondern ist eine der Voraussetzungen für die Beschäftigung mit dieser Ausstellung.

Alexandra Matzner
Gründerin von ARTinWORDS * 1974 in Linz, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Romanistik in Wien und Rom. Seit 1999 Kunstvermittlerin in Wien, seit 2004 Autorin für verschiedene Kunstzeitschriften. Jüngste Publiktionen entstanden für das Kunsthaus Zürich, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Albertina und Belvedere in Wien.