„Herrreinspaziert, herrreinspaziert! Manege frei für Menschen, Tiere, Sensationen!“ Dass der Zirkus eine Welt der Superlative, des Geheimnisvollen und des Abenteuers ist, die die Besucher in ihren Bann zu ziehen vermag, scheint eine Plattitüde und kaum der Rede wert. Diesen Mythos einer Parallelwelt mit eigenen Regeln und Gesetzen kritisch zu hinterfragen, ist das Ziel der Ausstellung und in ihr von unterschiedlichsten künstlerischen Strategien. Angesichts der gezeigten Werke wird schnell deutlich, mit welchen Mitteln diese „Parallelwelt Zirkus“ operiert.
Österreich | Wien: Kunsthalle Wien
4.5. – 2.9.2012
Im Stiegenhaus verweist die Ko-Kuratorin Verena Konrad auf den Zirkus als Inspirationsquelle für Filme wie Charly Chaplins „The Circus“ (1929) und Federico Fellinis „La strada“ (1954). Dann präsentiert sie einige ausgewählte Stücke aus der umfassenden Zirkus-Sammlung des englischen Künstlers Sir Peter Blake und stellt diese Blakes eigenen Werken gegenüber. Der heuer 80 Jahre alt gewordene Maler war in den 1950er Jahren nicht nur einer der Begründer der Pop Art, sondern beschäftigt sich seither als Künstler und Sammler mit dem Zirkus. Für den Zyklus „Marcel Duchamp`s World Tour“ führt er den berühmten Dada-Künstler in einer fiktiven Busreise etwa zu den „Ringling Brothers and Bailey“. Die besonderen Menschen dieses traditionsreichen, amerikanischen Zirkusunternehmens gehören zu den so genannten „Side shows“, in denen u.a. Klein- und Großwüchsige, Schlangenmenschen, Entfesselungskünstler oder bärtige Frauen ihre Körper präsentierten.
Magie und Entmythisierung des Zirkus offenbaren hingegen die Arbeiten von Alexander Calder und Clifton Childree. Alexander Calder beschäftigte sich 1925 bis 1931 mit dem Zirkus als Ort der kindlichen Spiellust. Im Jahr 1925 hielt er sich zwei Wochen bei den „Ringling Bros. and Barnum and Bailey“ auf, um Zeichnungen für ein Magazin zu fertigen. Fasziniert von den akrobatischen Kunststücken der Artisten und den Tierdressuren, fertigte Calder Figuren aus Draht, die er seinen Freunden in Zirkusvorführungen präsentierte. Dabei nahm der Künstler selbst stolz die Rolle des Zirkusdirektors ein. Die miniaturhaften Figuren – irgendwo zwischen Spielzeug und Skulpturen angesiedelt – sind in dem gezeigten Film „Le Cirque de Calder“ aus dem Jahr 1961 von ihrem Schöpfer selbst in Szene gesetzt und vollführen noch immer atemberaubende Kunststücke, in denen auch die Ingenieursausbildung des amerikanischen Bildhauers deutlich zutage tritt. Nur wenige Schritte weiter zeigt Clifton Childree die Realität des sterbenden Zirkuslebens fernab jeglicher Idealisierung: Die Drehorgel hat nur noch drei Räder und Werkzeuge liegen achtlos herum, während der Clown – Clifton Childree selbst – in einer künstlich gealterten Filmvorführung noch immer die gleichen, schon abgedroschenen Späße macht und sich dabei selbst eine Torte ins Gesicht schmeißt.
Sicher das spektakulärste Kunstwerk der Ausstellung ist Daniel Firmans schwebender Elefant. Das Tier balanciert mit seinem Rüssel nicht einfach über dem Boden, sondern vollführt das Kunststück in der Horizontalen, alle Viere in die Luft gestreckt. Wahrlich eine Meisterleistung mit Witz, Ironie und als deutlicher Hinweis auf die permanente Steigerung der Sensationen zu verstehen! Daneben stellt sich Cindy Sherman in der Rolle eines traurigen Clowns dar, und Olaf Breuning führt einen „Impossible Balance Act“ (2008) aus, der an die unmöglich scheinenden akrobatischen Übungen des chinesischen Nationalzirkusses erinnern soll. Erwin Wurm lässt in einer One-Minute-Sculpture die Besucherinnen und Besucher mit Hilfe von Kübeln und Besen aus den Wiener Parteizentralen selbst aktiv werden, und Jeppe Heins Werk einer sich öffnenden und schließenden Lampenkonstruktion in Form eines Zirkuszeltes bedarf echter körperlicher Anstrengung an einem Rad. Dass der Körper und seine ständige Ertüchtigung nicht nur für Zirkusartisten von großer Bedeutung ist, sondern auch im täglichen Leben eine Rolle spielt, darauf weisen die Arbeiten von Zilla Leutenegger und Ulrike Lienbachers aus Mädchenhaar geflochtene Hula-Hup-Reifen.
Der ambivalenten Figur des Clowns widmen sich eine Reihe von Künstlerinnen und Künstlern der Ausstellung, wobei die Schwerpunkte von der Verwandlung bei Charles und Ray Eames bis zur Nichtfassbarkeit bei Roni Horn, der Verkleidung bei Cindy Sherman, dem Unterlaufen der gespielten Charaktere durch einen gequälten Clown im Werk von Bruce Nauman oder der betrunken am Fußboden schlafende Clown des Ugo Rondinone reichen. Der Tierdressur zollen vor allem die Werke von Deborah Sengl und Nives Widauer Respekt. Sengls „Die Löwin – als Raubtier – ertarnt sich die begehrte Beute“ verweist innerhalb der Schau auf die Gefährlichkeit von Raubtierdressuren und ist gleichzeitig Metapher für Mimikri innerhalb der Gesellschaft (→ Deborah Sengl). Widauers Slow-Motion Wiedergabe einer Aufnahme aus der Spanischen Reitschule bringt die Möglichkeit des Scheiterns und die unbändige Kraft der Pferde zum Ausdruck.
Außergewöhnliche Tiere und Menschen – vor allem aber die von ihnen vollbrachten Leistungen – sind die Ingredienzien für eine gute Zirkusvorstellung. Dass sich Künstlerinnen und Künstler aber nicht mit diesem Image des Zirkus zufriedengeben, belegt eine Vielzahl der gezeigten Werke. Eine gut kuratierte Schau voller enthüllender und teils witziger Kunststücke!