Yves Klein (1928–1962) zählt zu den bedeutendsten Künstlern der Nachkriegszeit. Sein nur sieben Jahre währendes künstlerische Schaffen ist geprägt von monochromen Gemälden, Körperabdrücken, Feuerbildern und einem Sprung in die Leere. Kleins Werk zielt auf die Sichtbarmachung und Erlebbarkeit der grenzenlosen Freiheit des unendlichen Raumes, auf sinnlich-erfahrungsmäßige Aufhebung materieller Gravität resp. Gesetzmäßigkeit. Dafür machte Yves Klein die Farbe zum Vehikel des Unbestimmbaren. Grund für seine bedeutende Stellung in der Geschichte der Kunst ist seine radikale Auffassung von Malerei: Farbe erscheint nicht länger als Bildmittel, sondern ist Bild.
„Heute muss der Maler des Raums tatsächlich in den Raum gehen, um zu malen, aber er muss dies ohne Tricks, ohne Betrug tun, und auch nicht mit einem Flugzeug, einem Fallschirm oder einer Rakete. Er muss aus eigener Kraft gehen. Kurz, er muss in der Lage sein, in die Luft aufzusteigen.“ (Yves Klein)
Am 28. April 1928 wurde Yves Klein als Sohn eins Künstlerehepaares in Nizza geboren: Sein Vater war der figurative Maler und Kunsthändler Fred Klein (1898–1990), ein Niederländer mit indonesischer Abstammung, und seine Mutter die erfolgreiche abstrakte Malerin Marie Raymond (1908–1989). Einige Monate nach der Geburt übersiedeln Yves Kleins Eltern nach Paris und lassen das Kind in der Obhut seiner Tante, Rose Marie Raymond (1902–1993). Mit ihr hatte Yves Klein daher ein sehr enges Verhältnis, sie unterstützte ihn auch finanziell immer wieder großzügig. Aufgrund finanzieller Schwierigkeiten aber auch während des Zweiten Weltkriegs lebte Yves Klein abwechselnd in Paris und Nizza bzw. zwischen 1939 und 1943 in der südfranzösischen Künstlergemeinde von Cagnes-sur-Mer, wo die Maler Hans Hartung (1904–1989) und Nicolas de Staël (1914–1955) zu den engen Freunden der Familie zählten. Früh spürte Klein ein intensives Farberleben und begann, sich mit der psychologischen Wirkung und Bedeutung einzelner Farben zu beschäftigen – als Künstler war er Autodidakt. Nach Kriegsende begann er sich mit Judo zu beschäftigen und lernte beim Training Arman, eigentlich Armand Pierre Fernandez (1928–2005), und Claude Pascal (1926–2017) kennen. An Judo schätzte Yves Klein besonders die Gleichwertigkeit von Körper und Geist, die er durch Zen-buddhistische Studien und Interesse für die Rosenkreuzer erweiterte.
Erste monochrome Bilder entstanden um 1950 während eines Aufenthalts in London mit seinem Jugendfreund Claude Pascal. Yves Klein arbeitete beim Rahmenmacher und Vergolder Robert Savage, der ihn in die Technik des Vergoldens einführte. Zwischen Herbst 1952 und Frühjahr 1954 lebte Yves Klein in Japan, um seine Kenntnis des Kōdōkan-Judo zu vertiefen und den Schwarzen Gürtel zu erhalten. Zur Meditation hängte er ein Dutzend Monochrome auf.
Nach seiner Rückkehr nach Frankreich musste Yves Klein feststellen, dass ihn der französische Verband nicht aufnahm. Deshalb zog er nach Madrid, wo er in einer Judo-Schule unterrichtete und im November 1954 sein erstes konzeptuelles Kunstwerk schuf: Er veröffentlichte eine Broschüre unter dem Titel „Yves: Peintures [Yves: Gemälde]“ (150 Exemplare). 1954 kehrte Klein nach Paris zurück und widmete sich sowohl dem Judo (Unterricht, Publikation eines Lehrbuches) wie auch ersten (konzeptuellen) Kunstwerken.
Mit der Architektin Bernadette Allain diskutierte Yves Klein Fragen zu Raum, Architektur und Farbe. Sie unterstützte ihn bei seinen Experimenten mit Farbe und Bindemitteln. Doch erst die Bekanntschaft mit dem Besitzer eines Künstlerbedarfsgeschäfts, Edouard Adam, konnte Yves Klein 1956 das Problem der Veränderung des Farbtons durch das Bindemittel beheben: Adam verwies Klein und Allain auf eine farblose Substanz des Chemiekonzerns Rhône Poulenc, das „Rhodopas M oder M60A“ (Ethylalkohol, Ethylacetat und Vinylchloridharz). Das giftige aber schnell trocknende Bindemittel ließ die Pigmente strahlen. Yves Klein arbeitete zudem mit Farbrollen, um jegliche Spur einer persönlichen Handschrift zu vermeiden. Am 19. Mai 1960 erhielt Yves Klein das Patent auf „International Klein Blue“.
Im Sommer 1955 trat Yves Klein mit einem Monochrom an die Öffentlichkeit. Er reichte das ungegenständliche Werke am Salon des Réalitès Nouvelles ein und wurde abgelehnt. Seine erste Einzelausstellung wurde am 15. Oktober 1955 im Club Solitaires, in den Privaträumen des Verlags Lacoste in Paris, eröffnet. Der Kunstkritiker Pierre Restany wurde auf die Ausstellung hingewiesen und entdeckte Yves Kleins Werk!
Im Jahr 1956 entdeckte Yves Klein mit Adams Hilfe eine Möglichkeit, sein Yves Klein Blue herzustellen. Schon im folgenden Jahr stellte der Maler die blauen Monochrome in der Mailänder Galleria Apollinaire aus, was von der italienischen Avantgarde – darunter Lucio Fontana und Piero Manzoni – begeistert aufgenommen wurde. Für den in Nizza geborenen Künstler war Blau nicht nur die Farbe des Meeres und des Himmels, es verkörperte auch „das Undefinierbare und die Unendlichkeit des Raumes“. Blau ermögliche „reines Gefühl und reines Sehen“ und stehe „außerhalb der Dimensionen, deren die anderen Farben teilhaftig sind“. In den unendlichen blauen Meeres- und Himmelsflächen sah Klein die Freiheit eines grenzenlosen Raums; daraus schlussfolgerte er, dass das Blau die Erfahrung einer fremden und zutiefst menschlichen und universellen Sensibilität ermöglichte. Den Himmel bezeichnete er als „erstes und größtes Monochrom“, als „immaterielles Gemälde, das Reisen ins Jenseits ermöglicht“, und beanspruchte ihn als sein erstes Kunstwerk. Künstler sollten nach Klein „über die Kunst hinausgehen und individuell an der Rückkehr zum wirklichen Leben arbeiten, in dem der denkende Mensch nicht länger der Mittelpunkt des Universums ist, sondern das Universum der Mittelpunkt des Menschen“.
Yves Klein entwickelte den Begriff der „Blauen Revolution“, zu der sich später große Werkkomplexe in Blattgold und intensivem Rosa gesellten. Ihn beschäftigten konkrete Handlungsvorschläge für die blaue Bewegung, die das Denken und Handeln der Menschheit verändern würde. Eine Bestätigung dafür fand er in Gaston Bachelards Buch „L’air et les songes: essai sur l’imagination du mouvement [Luft und Träume: ein Essay über die Imagination der Bewegung]“: „Zuerst ist das Nichts, dann ein tiefes Nichts, und schließlich eine blaue Tiefe.“
Im Mai 1957 präsentierte Yves Klein erstmals eine Schwammskulptur neben blauen Monochromen in Paris. Der Maler hatte Naturschwämme zum Auftragen der Farbe eingesetzt, da er jegliche subjektive Note in Form von Pinselstrichen vermeiden wollte. Nachdem sich die Schwämme mit blauer Farbe vollgesogen hatten, entdeckte Yves Klein deren einnehmende Wirkung. Für Klein war der Schwamm eine Metapher für das Durchdringen und Imprägnieren. Anfangs baute er Skulpturen aus seinem „Malerbedarf“, wenig später klebte er sie auf die blauen Leinwände und erzeugte so eine haptische Oberfläche, die sowohl an den Meeresboden wie an die Mondoberfläche erinnert.
Zwischen Ende 1957 und 1959 arbeitete Yves Klein an sechs Schwamm-Reliefs für das neue Musiktheater in Gelsenkirchen, an dessen Ausgestaltung er sich mit dem Architekten Werner Ruhnau (1922–2015) beteiligte. Zu seinem Team gehörten noch: Norbert Kricke, Paul Dierkes, Robert Adams.
„Kunst ist absolute Freiheit, sie ist Leben. Sobald sie durch irgendetwas eingesperrt wird, ist die Freiheit bedroht und das Leben wird zum Gefängnis.“ (Yves Klein)
Für Yves Klein war wichtig, sich nicht mit der Fülle, sondern mit der „Leere“ zu beschäftigen. Deshalb zeigte er noch im Mai 1957 in der Galerie Colette Allendy das erste immaterielle Werk und im Garten schuf er das erste Feuerbild.
In Europa wird Leere hauptsächlich als Absenz von Etwas verstanden, während in der asiatischen Philosophie, vor allem im Zen Buddhismus, die „Leere“ das Ziel des Seins darstellt. Yves Klein übte sich in Kōdōkan-Judo. Diese Form des Judo ist kein Kampfsport, sondern eine auf der Philosophie des Zen basierende Kunstform. Ziel ist, wie im Zen, die Erleuchtung durch das Beschreiten des Pfades der Stille. Es geht um „ein erweitertes Bewusstsein für die Macht des Nichts“. Die Lehren beeinflussten auch Kleins künstlerisches Schaffen.
„Wie es nämlich unmöglich ist, dass etwas leer ist, so kann man auch, was der Raum an sich ist, nicht erkennen. Denn wenn man von einem Raum spricht, ohne dazuzusagen, von wessen Raum, dann wird der Eindruck erweckt, es gäbe einen leeren Raum, den es meines Erachtens im Kosmos nicht gibt.“ (Yves Klein)
Anfang April 1958 präsentierte er die Einzelausstellung „La Spécialisation de la sensibilité à l’etat matière première en sensibilitè picturale stabilisée [Spezialisation der Sensibilität im Urzustand zu stabilisierter malerischer Sensibilität]“ in der Galerie Iris Clert. Sie wurde als die Ausstellung der „Leere“ bekannt und als Beginn der „pneumatischen Epoche“ bezeichnet. Mit dem Vortrag „Entwicklung der Kunst zum Immateriellen“ an der Sorbonne erklärte er das Nichts zum Ziel der Kunst (3. Juni 1959).
Mit dem „Sprung in die Leere“ beendete Yves Klein am 19. Oktober 1960 Yves seine Judopraxis. Er stürzte sich in der Rue Gentil-Bernard Nr. 3 in Fontenay-aux-Roses in die Leere – zumindest am Foto: Assistiert von kräftigen Freunden aus dem benachbarten Judo-Club, setzt er erst nach dem Spannen eines Sicherheitstuches zum kühnen Sprung in die zeitweilige Schwerelosigkeit an. Der „Saut dans le vide [Sprung in die Leere]“ wurde von den Fotografen Harry Shunk und John Kender aufgezeichnet. Am 27. November erschien die Fotomontage in der Zeitschrift „Dimache“.
Yves Kleins Werk ist zudem geprägt von der Überzeugung, dass Farbe für ihn alles Ausdruck und die Linie im Kontrast dazu nichts seien. Farbe – vor allem Ultramarinblau, Gold und Rosa – stehen für Klein für Freiheit und Lebendigkeit. Die Linie symbolisiert für ihn Beschränkung und Tod.
„Das, was man heute allgemein unter einem Gemälde versteht, ist für mich wie das Fenster einer Zelle, dessen Linien, Konturen, Formen und Kompositionen Barrieren errichten. Linien sind für mich die Konkretisierung unserer Sterblichkeit, unserer Sentimentalität, unseres Intellekts und sogar unserer Spiritualität. Es sind unsere psychologischen Grenzen, unser Erbe, unsere Erziehung, unser Skelett, unsere Laster, unser Streben, unsere Qualitäten, unsere Verschlagenheit! Farbe hingegen badet in kosmischer Sensibilität. Sensibilität hat für mich keine Nischen. Sie ist wie die Feuchtigkeit in der Luft. Farbe ist materialisierte Sensibilität. Farbe badet in allem und badet alles.“ (Yves Klein, Tagebuch 1957)
Am 14. März 1952 schrieb der Künstler in sein Tagebuch: „Der Tag ist blau, die Stille ist grün, das Leben ist gelb […]“. Eine solch festgefügte Farbsymbolik sollte sein reifes Werk jedoch nicht aufweisen. „Für die Farbe! Gegen Linie und Zeichnung!“, war hingegen Yves Kleins Schlachtruf als Künstler und Ordensbruder.
Am 5. Juni 1958 ließ Yves Klein erstmals sein mit blauer Farbe bemaltes Aktmodell Héléna – im Gegensatz zu den späteren Abdrucken von ruhenden oder sich bewegenden Körpern – sich über das am Boden liegende Papier wälzen, um mit ihrem blau eingefärbten Körper ein monochromes Gemälde zu schaffen. Ab Februar 1960 schuf Yves Klein Anthorpometrie-Gemälde, die Pierre Restany „Anthropometrie“ nannte. Am 2. März meldete er den „lebenden Pinsel“ als Patent an und in der Folge organisierte er Anthropometrie-Vorführungen.
Der Künstler umgab sich nach eigener Aussage zur Inspiration in seinem Atelier gerne mit Aktmodellen, da diese „ein sinnliches Klima schufen, das seine Monochrome stabilisierte“. Ursprünglich wollte er seine Modelle nur blau anmalen, dabei erkannte er, dass:
„die Zeit des Pinsels vorbei und mein Wissen über Judo schließlich doch noch von Nutzen war. Meine Modelle waren meine Pinsel. Ich ließ sie sich mit Farbe bemalen und ihren Körper auf einer Leinwand abdrücken […]. Aber das war nur der erste Schritt. Danach entwarf ich den Abdruck einer Art Mädchenballett auf einer großen Leinwand, die der weißen Matte der Judokämpfe glich“. (Yves Klein)
Mit dem Ausspruch – „Meine Modelle waren meine Pinsel“ – verkehrte Yves Klein das Verhältnis von Modell, Bild und Abbild. Die Rolle des Künstlers fasste er wie die Personalunion aus einem Dirigenten und einem Komponisten auf. Er wählte die Modelle, die sich selbst mit blauer Farbe bemalten. Nach Kleins Anweisungen drückten sie sich auf horizontal oder vertikal befestigte Papiere ab. Die Mal-Performances geschahen vor Publikum, wodurch die Einsamkeit des Ateliers durch die Öffentlichkeit im Galerieraum abgelöst wurde. Zudem geriet die Galerieausstellung (zumindest am Tag der Eröffnung) zum Happening. Mit dem Verweis auf die Höhlenmalereien von Lascaux oder Altamira schuf Yves Klein die Verbindung zum „Erwachen des Menschen zum Bewusstsein seiner selbst und der Welt“, wie auf der Einladungskarte zur exklusiven Abendveranstaltung in der Galerie internationale d’art contemporain zu lesen stand.
„Mir fiel sehr schnell auf, dass es der Block des Körpers war, also der Rumpf und noch ein Teil der Schenkel, was mich faszinierte. Die Hände, die Arme, der Kopf und die Beine waren nicht von Bedeutung. Nur der Körper lebt, ist allmächtig und denkt nicht. Der Kopf, die Arme und Hände sind nur intellektuelle Verlautbarungen rings um das Fleisch des Körpers! […] Gewiss, der ganze Körper besteht aus Fleisch, aber die eigentliche Masse sind Rumpf und Schenkel. Genau hier befindet sich das wirkliche Universum der verborgenen Schöpfung.“
Am 6. Juni 1962 starb Yves Klein unerwartet im Alter von nur 34 Jahren an den Folgen seines dritten Herzinfarktes. Er hinterließ die im sechsten Monat schwangere Rotraud.
„Der einzige Weg, im Leben zu kämpfen, besteht darin, ein wenig dieses Unendlichen zu ergreifen und es zu nutzen.“ (Yves Klein)