„Abenteuer der Vernunft“ Goethe und die Naturwissenschaften um 1800 im Weimarer Schiller-Museum ist die erste umfassende Ausstellung zu Goethes naturwissenschaftlichen Forschungen. Obwohl er heute vor allem als Dichter und Staatsmann berühmt ist, widmete sich Johann Wolfgang von Goethe ebenso intensiv den Naturwissenschaften. Mit nahezu allen zu seiner Zeit bekannten Gebieten beschäftigte er sich, stand in regem Austausch mit deren führenden Köpfen und trug in über 50 Jahren 23.000 naturwissenschaftliche Objekte – Gesteine, Mineralien und Fossilien, Pflanzen- und Tierpräparate, physikalische und chemische Experimentiervorrichtungen sowie Zeichnungen – aus aller Welt zusammen. Diese herausragende Sammlung ist fast vollständig an ihrem ursprünglichen Standort erhalten geblieben.
Deutschland / Weimar: Schiller-Museum
28.8.2019 – 5.1.2020
Mit über 400 Exponaten geht die Schau – anlässlich von Goethes 270. Geburtstag – im Weimarer Schiller-Museum den großen naturwissenschaftlichen Fragestellungen der Goethezeit nach:
Diese drei Teile der Ausstellung stehen Goethes Studien zeitgenössischen Forschungen gegenüber. Wissenschaftler wie Alexander von Humboldt (1769–1859), Georges Cuvier (1769–1832) oder Joseph Fraunhofer (1787–1826) und viele andere legten mit ihren Arbeiten um 1800 die Grundlagen für die modernen Naturwissenschaften.
Goethes professionelle Auseinandersetzung mit den Naturwissenschaften begann 1776, als Herzog Carl August ihn mit der – letztlich erfolglosen – Wiederbelebung des Ilmenauer Bergbaus beauftragte. Goethe beschäftigte sich daraufhin intensiv mit Gesteinen, Mineralien und Erzen und legte eine Sammlung an, die den Grundstock seines naturwissenschaftlichen Bestandes bildete. Diesen Anfängen nachspürend, betritt man die Ausstellung über einen nachgebauten Bergwerksstollen. Zurück über Tage findet man sich in der damals emotional geführten Auseinandersetzung über den Ursprung der Erde wieder (sog. „Neptunistenstreit“) und erlebt, wie die Vorzeit erstmals wissenschaftlich im Bild dargestellt wurde.
Das zuvor noch nie ausgestellte Aquarell „Vorweltliche Landschaften“ von Leander Russ (Albertina, Wien) beispielsweise zeigt nach Fossilfunden rekonstruierte Dinosaurier. Außerdem begegnet der Besucher einem elefantengroßen, 3D-animierten „Riesen-Faulthier“ (nach Pander und d’Alton, 1821), das virtuell durch die Ausstellung wandert. Einst für das älteste Tier der Welt gehalten, verweist es auch auf Charles Darwin und die Evolutionstheorie.
Ausgehend von Goethes botanischen und Mikroskop-Studien begibt sich der Besucher im zweiten Teil der Ausstellung auf eine – mitunter pikante – Suche nach der Definition von Leben und dem Grund für seine Formenvielfalt. So schuf Carl von Linné (1707–1778) ein Pflanzensystem auf Grundlage der Sexualität und kennzeichnete beispielsweise die Pflanzenklasse der Diandria als diejenige, in der „zwei Männer mit einer Frau im Bett liegen“. Goethes „Kunstfreund“ Heinrich Meyer setzte solche Vorstellungen im Bild dezidiert nicht jugendfrei, aber wissenschaftlich korrekt um.
Lebhaft diskutiert war auch Franz Joseph Galls Schädellehre, nach der Charaktereigenschaften und Fähigkeiten sich am Kopf des Menschen ertasten lassen sollten. Humboldts berühmter Druck zur „Geographie der Pflanzen in den Tropenländern“ (1805, gezeigt wird das Original aus Goethes Besitz) regte Goethe zu einer eigenen Interpretation der „Höhen der alten und neuen Welt“ an. Ebenso zu sehen sind Goethes Mikroskop und die erste geologische Karte der Welt. Die „Füchselkarte“ von 1761 zeigt Thüringen aus Vogelperspektive, sodass sich geologische Formationen plastisch hervorheben.
Moderne Astrophysik und Kosmologie sind nicht denkbar ohne den Nachweis über die Wellennatur des Lichts 1802 durch Thomas Young und etwas später die Entdeckung der dunklen Linien im Sonnenspektrum um 1814 durch Joseph Fraunhofer.
Einem von nur drei weltweit erhaltenen Sonnenspektren Fraunhofers aus Goethes Besitz begegnet der Besuchende im dritten Teil der Ausstellung. Es zu verstehen hilft Prof. Dr. Harald Lesch, der virtuell mehrmals auftritt. So erläutert Prof. Lesch auch das „erste Farbfoto“ aus Goethes Sammlung: einen Silberchloridaufstrich, mit dem Thomas Johann Seebeck – auch unsichtbares – Licht fixieren konnte. Die Arbeit Seebecks war eine entscheidende Vorstufe der erst ein Jahrhundert später entdeckten Farbfotographie. Goethe nahm an diesen Versuchen regen Anteil und unternahm bekanntermaßen selbst umfangreiche Versuchsreihen zur Farbenlehre. Auch die Planung der Jenaer Sternwarte geht auf ihn und Carl August zurück, weshalb der Besucher die Ausstellung mit einem Blick in den Kosmos verlässt.
Kuratiert von Kristin Knebel, Gisela Maul, Thomas Schmuck
Die Klassik Stiftung Weimar lädt am 2. Oktober 2019 zur Vortrags- und Diskussionsveranstaltung mit dem Astrophysiker, Naturphilosophen und Wissenschaftsjournalisten Prof. Dr. Harald Lesch.
Im Rahmen der Festveranstaltungen für Goethes 270. Geburtstag „Wir feiern rein“ ist die Ausstellung bereits am 27. August von 20.30 Uhr bis 1 Uhr bei freiem Eintritt geöffnet.
Während der Laufzeit der Ausstellung bietet die Klassik Stiftung wegen des engen inhaltlichen Bezuges zudem ein Kombiticket für „Abenteuer der Vernunft“ und die Parkhöhle im Park an der Ilm an.
Kristin Knebel, Gisela Maul und Thomas Schmuck (Hg.)
420 Seiten | Hardcover
ISBN 978-3-95498-486-2
Sandstein Verlag 2019