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London | Tate Modern: Philip Guston Retrospektive | 2023/24

Veröffentlicht von ARTinWORDS.de Redaktion von 3. Oktober 2023
Philip Guston, Painting, Smoking. Eating 1973 (Stedeljik Museum, Amsterdam © The Estate of Philip Guston, courtesy Hauser & Wirth)

Philip Guston, Painting, Smoking. Eating 1973 (Stedeljik Museum, Amsterdam © The Estate of Philip Guston, courtesy Hauser & Wirth)

Die Tate Modern zeigt eine großangelegte Retrospektive eines der wichtigsten modernen Maler Amerikas: Philip Guston (1913–1980). In seinem 50-jährigen Schaffens verband Guston das Persönliche und das Politische, das Abstrakte und das Figurative, das Humorvolle und das Tragische. Mit dieser Methode schuf er einige der einflussreichsten Gemälde des späten 20. Jahrhunderts.

„Wahrscheinlich ist das Einzige, was man wirklich lernen kann, die einzige Technik, die man lernen kann, die Fähigkeit, sich verändern zu können.“ (Philip Guston)

Philip Guston

Großbritannien | London: Tate Modern, Eyal Ofer Galleries
3.10.2023 – 25.2.2024

Philip Guston in der Tate Modern

Anhand von etwa 125 Gemälden und 70 Zeichnungen aus etwa 40 privaten und öffentlichen Institutionen und Sammlungen zeichnet die Tate die Zusammenhänge zwischen allen Werkphasen der 50-jährigen Karriere Gustons und die Unterbrechungen seiner Karriere nach. Welche künstlerischen, philosophischen und sozialen Anliegen trieben den in den letzten Jahren durchaus umstrittenen Künstlers um? Wie reagierte Guston auf Kriege, Rassenungerechtigkeit, Gewalt sowie politische und soziale Umwälzungen seiner Zeit? Philip Guston empfand sich als Zeuge der „Brutalität der Welt“. Sein ganzes Leben lang dachte er über die Verantwortung des Künstlers nach. Der Maler veränderte seinen künstlerischen Ansatz mehrfach und versuchte, Werke zu schaffen, welche die Komplexität des Lebens, seine Schönheit, Absurdität, seinen Humor und sein Leid verkörpern.

Nach Jahren, in denen Philip Guston Wandgemälde und Gemälde schuf, die sich häufig mit Rassismus in Amerika und Kriegen im Ausland befassten, wurde er in den 1950er Jahren neben Mark Rothko und seinem Freund aus Kindertagen, Jackson Pollock, einer der berühmtesten abstrakten Expressionisten. Während der Turbulenzen der 1960er Jahre und des Vietnamkrieges änderte Guston seine Haltung der Abstraktion gegenüber. Er präsentierte 1970 eine Ausstellung mit Gemälden, die von Comicfiguren bevölkert waren. Obwohl diese Gemälde von Kritikern zu dieser Zeit negativ beurteilt wurden, etablierten sie Guston als einen der einflussreichsten Maler des späten 20. Jahrhunderts.

Auf dem Weg zum Künstler

Von frühester Kindheit an, nutzte Philip Guston Kunst, um mit erlittenen Traumata umgehen zu können. Der 1913 in Montreal als Phillip Goldstein geborene Künstler kam als jüngstes Kind jüdischer Einwanderer zur Welt. Sein Vater war vor antisemitischer Verfolgung in der heutigen Ukraine anfangs nach Kanada geflohen; 1922 übersiedelte die Familie nach Los Angeles. In armen Verhältnissen aufwachsend, musste Philip Guston mehrere Schicksalsschläge erleben: Sein Vater nahm sich selbst das Leben, als er noch ein Kind war, und sein Bruder starb einige Jahre später an den Folgen eines Autounfalls.

Schon früh interessierte sich Guston fürs Zeichnen von Cartoons und verbrachte Stunden in der Bibliothek. Dort lernte er in Kunstbüchern u.a. über die italienische Renaissance. Seine Jugendfreunde, darunter Jackson Pollock und Reuben Kadish (1913–1992), teilten sein Interesse an moderner Kunst aus Europa, insbesondere am Surrealismus und dem Werk von Pablo Picasso. Gustons frühe Gemälde wie „Mutter und Kind“ zeigen, wie er auf dieses breite Spektrum von Interessen reagierte.

Kampf und Solidarität

„Ich bin in den Dreißigerjahren politisch aufgewachsen und habe mich aktiv an militanten Bewegungen usw. beteiligt, wie es bei vielen Künstlern der Fall war. [...] Ich glaube, es gab das Gefühl, Teil einer Veränderung oder einer möglichen Veränderung zu sein.“ (Philip Guston)

Philip Guston begann sich bereits als Teenager in Los Angeles mit Politik zu beschäftigen. Die 1930er Jahre waren eine Zeit wachsender einwanderungsfeindlicher, antisemitischer und rassistischer Überzeugungen in den Vereinigten Staaten, die zum Aufstieg von Hassgruppen beitrugen. Vor allem der Ku-Klux-Klan erlebte in den 1920er und 1930er Jahren ein Wiederaufleben.
Guston und seine Freunde beschäftigten sich mit sozial engagierter Kunst und schufen großformatige, narrative Wandgemälde und Gemälde. Sie schlossen sich den Muralisten unter dem mexikanischen Wandmaler David Alfaro Siqueiros an.1 Mit ihrer Kunst wollte diese Gruppe die Arbeitnehmer:innenrechte unterstützen und gegen Rassenungerechtigkeit in den USA protestieren.

Von der Wand zur Staffelei

„Ich würde gerne denken, dass ein Bild fertig ist, wenn es sich nicht neu, sondern alt anfühlt. Als ob seine Formen schon lange in dir gelebt hätten. [...] Es ist der Betrachter, nicht der Schöpfer, der so hungrig nach dem Neuen ist. Das Neue kann für sich selbst sorgen.“ (Philip Guston)

Guston begann während der Weltwirtschaftskrise in den 1930er Jahren als Wandmaler zu arbeiten. Er ließ sich von Fresken der italienischen Renaissance aus dem 16. Jahrhundert inspirieren und versuchte, deren Monumentalität und Ikonografie aufzugreifen. 1934 erhielten er und seine Freunde Reuben Kadish und Jules Langsner ihren ersten großen Auftrag und schufen ein riesiges Fresko in Morelia, Mexiko. Unter dem Titel „Der Kampf gegen den Terrorismus“ zeigt es den Widerstand der Menschen gegen Verfolgung und Gewalt vom Mittelalter bis zum Ku-Klux-Klan in den USA und dem Aufstieg des Nationalsozialismus in ganz Europa.

Danach schuf Guston sein letztes Wandgemälde in LA, bevor er 1936 nach New York zog. Dort schloss sich ihm die Künstlerin Musa McKim (1908–1992) an, die er im folgenden Jahr heiratete. Er setzte seine Arbeit als Wandmaler im Rahmen staatlich finanzierter Programme fort. Zu diesem Zeitpunkt änderte er auch seinen Namen in Philip Guston, um seine jüdische Identität zu verschleiern – wie es viele andere in einer Zeit des wachsenden Antisemitismus taten.

In den 1940er Jahren veränderte sich Gustons Arbeit, da er an Universitäten in Lowa City und Saint Louis unterrichtete. Als er in einem Atelier arbeiteten konnte, wandte er sich von Kunst im öffentlichen Raum und Wandmalerei ab. Stattdessen konzentrierte er sich auf Staffelei- und Porträtmalerei. Guston malte allegorische Szenen, oft mit spielenden und kämpfenden Kindern. Tief betroffen vom Zweiten Weltkrieg und des Holocaust wandte sich der Maler zunehmend abstrakten Kompositionen zu. Als die Figuren auseinanderfielen, zerfiel auch Gustons Praxis, „alles schien erfolglos“, meinte Guston: „Ich konnte mit der Figuration nicht weitermachen.“

Neue Anfänge

„Ich hatte das Gefühl, dass ich wirklich lernen und nachforschen konnte, indem ich viel von dem verlor, was ich wusste.“ (Philip Guston)

In den späten 1940er Jahren begann Gustons seine künstlerische Praxis dramatisch zu verändern. Ein Stipendium an der American Academy in Rom ermöglichte Guston 1948 erstmals nach Europa zu reisen. Von der Reise sind nur einige kleine Skizzen erhalten, darunter „Zeichnung Nr. 2 (Ischia)“, die seinen weiteren Weg zur Abstraktion dokumentieren.
Guston befand sich in einer künstlerischen Krise. Zunehmend unzufrieden mit der figurativen Malerei, schwankte er zwischen Figuration und Abstraktion.

„Die Formen, die ich machen wollte, konnten nicht die Formen von Dingen und Figuren annehmen. […] Ich fühlte mich hin- und hergerissen […] zwischen widersprüchlichen Loyalitäten. […] der Loyalität gegenüber meiner eigenen Vergangenheit und der anderen Loyalität gegenüber dem, was man vielleicht tun könnte.“

Nach seiner Rückkehr nach New York tauchte Philip Guston in die wachsende Szene abstrakter Maler:innen ein. Er freundete sich mit den Künstlern Mark Rothko, Willen de Kooning und Franz Kline, dem Kritiker Harold Rosenberg sowie den Komponisten John Cage und Morton Feldman an. In seinen Gemälden aus dieser Zeit arbeitete er in langen Phasen intuitiv, ohne von der Leinwand zurückzutreten, um die Komposition zu analysieren.

„Wenn ich arbeite, geht es mir nicht darum, Bilder zu machen, sondern nur um den Prozess der Schöpfung. [...] Ich habe das Gefühl, dass ich nicht so sehr etwas erfunden habe, sondern auf verschlüsselte Weise etwas offenbart habe, das bereits existierte.“ (Philip Guston, 1957)

Farbe beschwören

Das New York der 1950er und 1960er Jahre war voller Kreativität. Musiker, bildende Künstler, Tänzer und Dichter trafen sich zum künstlerischen Austausch. Philip Guston empfand die intellektuelle Anregung dieser Dialoge als sehr produktiv, insbesondere sein Kontakt mit dem Komponisten Morton Feldman.

Im Laufe der 1950er Jahre wuchs Gustons Ruf als abstrakter Maler, bekannt für seinen schillernden Einsatz von Farben und ausdrucksstarken Pinselstrichen. Mit zunehmendem Erfolg wurde Guston 1960 ausgewählt, die USA auf der Biennale in Venedig zu vertreten. Zwei Jahre später organisierte das Guggenheim Museum in New York seine erste Retrospektive und festigte damit seinen Status als einer der führenden abstrakten Maler seiner Zeit.

Der Maler äußerste sich über die Herausforderungen des Schaffens und die Schwierigkeit, zu entscheiden, wann ein Gemälde fertig sein soll. Auf der Suche nach „einem solideren Gemälde“ enthalten seine Werke aus den späten 1950er Jahren größere Farbblöcke, die sich über die Leinwand verteilen.

„Die Leinwand ist ein Gericht, in dem der Künstler Staatsanwalt, Angeklagter, Geschworener und Richter ist. [...] Man kann sich nicht außergerichtlich einigen. Sie stehen vor einer scheinbaren Unmöglichkeit – ein Bild zu reparieren, das Sie tolerieren können.“

Bildermacher

„Ich hoffe, irgendwann an den Punkt zu kommen, an dem ich den Mut habe, mein eigenes Gesicht zu malen. [...] Das ist alles, was ein Maler ist, ein Bildermacher, nicht wahr?“ (Philip Guston)

Mitte der 1960er Jahre trat Guston in eine neue künstlerische Phase. Er entzog seinem Werk den größten Teil der Farbe und beschränkte sich weitgehend auf die Verwendung schwarzer und weißer Pigmente. Auf diesen Gemälden scheinen dunkle Gestalten, die üblicherweise als Köpfe identifiziert werden, aus grauen Hintergründen hervorzutreten. Guston sprach über das wundersame Gefühl, einen Punkt zu erreichen, „an dem sich die Farbe nicht mehr wie Farbe anfühlt, [...] und man das Gefühl hat, man hätte gerade etwas gemacht, als ob ein Lebewesen da wäre“.

Philip Guston kämpfte gegen den Drang, figurativ zu malen. Für ihn bestand das „Problem mit erkennbarer Kunst“ darin, „dass sie zu viel ausschließt“ (1965). Er wollte, dass seine Arbeit „mehr beinhaltet“. Das umfasst auch die Zweifel am Objekt sowie das Problem, das Dilemma, es zu erkennen.
Als er diese Werke 1966 im Jüdischen Museum in New York ausstellte, befand sich Guston in einer großen Krise in seinem kreativen Leben und seiner Ehe mit McKim. Er gab die Malerei für etwa 18 Monate auf und begann schließlich, einfache Zeichnungen anzufertigen. Bei einigen handelte es sich um abstrakte Formen oder einfache Linien, bei anderen handelte es sich um Objekte, oft um Bücher.

Die Guston-Ausstellung wird organisiert von der Tate Modern, der National Gallery of Art in Washington (2021), dem Museum of Fine Arts in Boston und dem Museum of Fine Arts in Houston (18.10.2020–18.1.2021)
Quelle: Tate Modern, London

 

Philip Guston in Tate Modern: Bilder

  • Philip Guston, Painting, Smoking. Eating 1973 (Stedeljik Museum, Amsterdam © The Estate of Philip Guston, courtesy Hauser & Wirth)

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