Der Badische Kunstverein freut sich, die Künstlerin Lubaina Himid (*1954) in einer ersten institutionellen Einzelausstellung in Deutschland zu präsentieren. Als Künstlerin, Autorin und Professorin widmet sich Himid dem Diskurs um Migration, Rassismus, Sklaverei und Repräsentation des Schwarzen Körpers in der Kunst und bringt westliche Stereotype und Klassifikationen ins Wanken. Himid spielte eine aktive Rolle in der Black Arts Bewegung in den 1980er und 90er Jahren und kuratierte eine Anzahl signifikanter Ausstellungen von Schwarzen Künstlerinnen. Lubaina Himid wurde in diesem Jahr für den Turner Prize nominiert.
Deutschland | Karlsruhe: Badischer Kunstverein
8.9. – 26.11.2017
Himid setzt die Malerei als zentrales Medium ein, um den westlichen Mythos von „Afrika” zu dekonstruieren. In ihren Gemälden vereint sie Genres, Stile und Muster aus unterschiedlichen kulturellen Hintergründen und stellt so klischeehafte Vorstellungen von Zugehörigkeit in Frage. Die „Schwarze Präsenz sichtbar zu machen” ist ein zentrales Motiv. Malerei wird von Himid dabei nicht nur zweidimensional umgesetzt, sondern reicht über bemalte gefundene Holzobjekte oder aus Holz produzierte und kolorierte Cut-Outs in den Ausstellungsraum hinein.
„The Truth is Never Watertight“ vereint zahlreiche Gemälde aus den 1980er Jahren bis heute sowie so genannte Cut-Outs, bemalte Holzobjekte und Arbeiten auf Papier. Einige weibliche Figuren aus der Cut-Out-Serie „Vernets Studio“ (1994) werden im Kunstverein erstmals wieder zu sehen sein und fordern das kollektive Gedächtnis sowie die Festschreibung kunstgeschichtlicher Tatsachen heraus. Himid studierte in den 1970er Jahren zunächst Theaterdesign, und ihr Interesse an räumlichen Inszenierungen führt zu bühnenartigen Kompositionen in und außerhalb ihrer Bilder oder, wie die Künstlerin selbst einmal erklärte: „Es kanalisiert den Wunsch, Kunst im Raum zu haben, präsent, in diesem Augenblick, und nicht entfernt und gerahmt innerhalb eines Rechtecks”. Das Theater eröffnete zudem die Möglichkeit eines politischen Denkens und Agierens, zunächst ganz real auf der Straße und dann auch in den imaginären Räumen ihrer Werke.
Himids Malereien verführen und provozieren zugleich. Ihre Bilder sind größtenteils figürlich, mit kräftigen Farben ausgeführt und unmittelbar präsent. Flucht und Migration sind zentrale Themen, ebenso wie Fragen zur Identität und Herkunft sowie zum Verlust von kollektivem Wissen. Auffällige Muster auf Textilien, Wänden und Fliesen finden sich in vielen Darstellungen, sie gehen auf den Einfluss afrikanischer, europäischer oder islamischer Ornamentik zurück und entwickeln eine eigene Sprache („speaking clothes“). Eine Serie auf Papier gemalter Kangas (2008–2012) bezieht sich beispielsweise auf die traditionellen Muster und Motive eines ostafrikanischen Kleidungsstücks, erweitert es aber um eigene Texte, die von Gefahr und Überlebenswillen handeln. Diese Atmosphäre zwischen Harmonie und Dissonanz ist charakteristisch für die Werke Lubaina Himids, die oftmals erst auf den zweiten Blick eine von geschlechtlicher und rassistischer Unterdrückung oder kolonialem Trauma gezeichnete Wirklichkeit visualisieren. So beispielsweise in der aktuellen Serie „Le Rodeur“ (2016/17), in der zum Teil recht elegant gekleidete Personen in bunten, aber surrealen Räumen aufeinandertreffen und ihre starren Körperhaltung bereits auf eine Form der Entfremdung und des Unbehagens deuten. Tatsächlich beziehen sich Details in den Bildern und der Titel auf ein Ereignis im Jahr 1819, als auf einem Sklavenschiff alle Sklav:innen an Bord und die Besatzung an einer Augenentzündung erkrankten und erblindeten. In den Bildern aus der Serie „Plan B“ (1999/2000) wiederum sind die gemalten, leeren Räume seltsam unbestimmt, könnten Orte der Zuflucht oder auch der Gefangenschaft sein. In der eindrucksvollen Installation „Drowned Orchard: Secret Boatyard“ (2015) schließlich fächern sich sechzehn an die Wand gelehnte, bemalte Holzlatten in immer größer werdenden Winkeln in den Raum hinein. Die gemalten Muscheln, Fischen, Flaggen oder Booten umfassen die verschiedensten Orte und Kulturen. Die Symbolik des Meeres – ein häufig wiederkehrendes Motiv – assoziiert die Mobilität von Menschen, aber auch verlorene Orte und die Gefahren in den Tiefen des Ozeans.
Seit 2007 malt Lubaina Himid auf den Seiten der liberalen britischen Tageszeitung „The Guardian“. Die Künstlerin, die diese Zeitung schon fast ihr ganzes Leben liest, hat eine Veränderung in der Darstellung Schwarzer Personen festgestellt: Während sie früher nahezu nicht präsent waren, wird das Leben Schwarzer jetzt meist negativ dargestellt. Eine Betrachtung des Verhältnisses zwischen Bild und Text zeigt die kontinuierliche Gegenüberstellung von Berichten über Gewalt, Verbrechen und andere Krisen mit Bildern Schwarzer Menschen. Um auf die Brutalität dieser durchgängig negativen Darstellung hinzuweisen, übermalt Lubaina Himid die visuellen Informationen auf der jeweiligen Seite. Die Ausstellung präsentiert einen umfangreichen Auszug aus dieser fortlaufenden Werkserie mit dem Titel „Negative Positives“ (2007–2016).
„The Truth is Never Watertight“ bezieht sich auf ein Zitat von Walter Benjamin und spricht von der Tatsache, dass vieles von dem, was wir von der Wahrheit erwarten, tatsächlich durch das Netz entgleitet. Himids Interesse gilt genau diesen undichten Stellen in der Überlieferung vermeintlicher Wirklichkeiten. Ihr Werk widmet sich der kritischen Befragung festgeschriebener Formen und öffnet so den Blick für ein Vokabular jenseits westlicher Historiografie.
Kuratiert von Anja Casser.
Im Kontext der Ausstellung erscheint eine erste umfangreiche Publikation in Zusammenarbeit mit Modern Art Oxford, Spike Island (Bristol) und Nottingham Contemporary.
Quelle: Badischer Kunstverein