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Basel | Kunstmuseum: Jawlensky und Soutine Zeugen eines zerrissenen Jahrhunderts

Chaim Soutine, Le faisan mort, um 1926/27 (Kunstmuseum Basel, Sammlung Im Obersteg)

Chaim Soutine, Le faisan mort, um 1926/27 (Kunstmuseum Basel, Sammlung Im Obersteg)

Gesellschaftliche Verwerfungen führten zu Brüchen in den Biografien Alexej von Jawlenskys und Chaim Soutines. Beide verließen ihre russische bzw. weißrussische Heimat und kamen in den Westen: Jawlensky 1906 nach München, Soutine 1913 nach Paris. Das Kunstmuseum Basel zeigt ihre Werke aus der Sammlung Im Obersteg in einer intimen Kabinettausstellung.

Jawlensky und Im Obersteg

Jawlensky fasste schnell Fuß in der bayrischen Hauptstadt. Doch der Krieg setzte seinem erfolgreichen Künstlerdasein in München ein jähes Ende: Er fand Exil in der Schweiz in einem kleinen Fischerdorf am Genfersee, wo er mehrere Jahre in Abgeschiedenheit arbeitete. Sein Leben blieb schwierig, wurde gezeichnet von der ungewissen Situation als Exilkünstler, von gesundheitlichen Problemen und in den 1930er Jahren von den Repressionen der Nazis in Deutschland, wo er seit 1921 wieder lebte. Jawlenskys Weg in eine vermehrt von geistigen Inhalten geprägte künstlerische Sprache, die Präferenz für ein Arbeiten in geschlossenen Serien, die ihm eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Thema der Landschaft und des menschlichen Gesichts erlaubte, war für das Publikum neu und fremd. Der Maler lehnte das Angebot ab, als Lehrer am Bauhaus tätig zu sein, weil er als freier Künstler wirken wollte.

Der Basler Sammler Karl Im Obersteg war mit Alexej von Jawlensky befreundet und unterstütze ihn bei der Vermittlung von Ausstellungen in der Schweiz. 1958 skizzierte Im Obersteg in einem Brief an eine Freundin Jawlenskys Rezeption folgendermaßen:

„Jawlensky ist noch nicht genug anerkannt; er ist schwer zu verstehen, die Leute wollen Abstraktionen oder Ikonen finden. Dabei sind seine Bilder doch ganz einfach der Ausdruck von unterbewussten, tiefen Gefühlen in einfacher, lesbarer Form (beinahe Zeichen).“

 

Soutine und Im Obersteg

Chaïm Soutine entfloh seinem kunstfeindlichen jüdischen Umfeld in Minsk, um sich in Paris der Malerei zu widmen. Im Louvre studierte er intensiv die Kunst der Alten Meister. Noch sprach er kein Französisch, sondern war nur seiner jiddische Muttersprache und des Russischen kundig. Ein schweres Magenleiden, das Jahre später zu seinem Tod führte, überschattete sein Leben ebenso wie der immerwährende Mangel eines gesunden Selbstwerts. Soutine lebte in prekären Verhältnissen, auch als er vom polnischen Kunsthändler Léopold Zborowski gegen ein äußerst bescheidenes monatliches Entgelt unter Vertrag genommen wurde.

1922 aber erlangte der Einzelgänger aus Weißrussland in Paris schlagartig Bekanntheit – dank des spektakulären Verkaufs von 54 seiner Werke an den amerikanischen Pharmazeuten und Kunstsammler Albert C. Barnes, der in den USA mit der Erfindung des Desinfektionsmittels Argyrol ein Vermögen gemacht hatte. Der Verkauf kam über Barnes‘ jungen Kunstberater Paul Guillaume zustande. Guillaume handelte anfänglich mit afrikanischer Stammeskunst, die von progressiven Künstlern wie Pablo Picasso gesammelt wurde. Er etablierte sich dann als wichtigster Vertreter der sogenannte École de Paris, zu der auch Soutine zählt. Das Interesse an außereuropäischer Kunst teilten bald auch Kunstsammler wie Albert C. Barnes oder Karl Im Obersteg. Parallel dazu gewann die europäische Volkskunst durch die Münchner Avantgarde (Blauer Reiter) an Beachtung und Ansehen.

Chaïm Soutine griff verschiedentlich Sujets der Alten Meistern auf (Chorknabenportraits, Stillleben mit toten Tieren, geschlachtete Rinder), doch führten seine sehr direkte Herangehensweise, die beunruhigend kurze Distanz, aus der er seine Modelle malte, und die Kompromisslosigkeit und Vehemenz seines pastosen Farbauftrags zu ganz anderen Lösungen. So sind Soutines Porträts nicht vom üblichen distanzierten Verhältnis von Maler und Modell beziehungsweise Sujet geprägt, sondern zu einem wechselseitigen Energieaustausch offenen Ausgangs erklärt. Soutine fokussierte ausschließlich auf seine Modelle, die er an die vordere Bildgrenze platzierte und in fesselnder Frontalität schonungslos erfasste.

Auch das Leben des Basler Spediteurs und Kunstsammlers Karl Im Obersteg verlief nicht immer in ruhigen Bahnen. Bereits in jungen Jahren erkrankte er an Tuberkulose, die seinen allgemeinen Gesundheitszustand nachhaltig prägte. Im Ersten Weltkrieg konnte er deshalb keinen Wehrdienst leisten. Stattdessen setzte er sich in Basel für Flüchtlinge und verletzte Soldaten ein. Der frühe Verlust der geliebten Ehefrau Marianne Im Obersteg-Buess 1935 traf ihn hart, wenn auch nicht ganz unvorbereitet: Die junge Frau war viele Jahre lang immer wieder krank gewesen. Den Zweiten Weltkrieg verbrachte Im Obersteg in Genf. Er stellte sein Fachwissen und Netzwerk der Logistik und des Transportwesens sowie sein diplomatisches Flair den Engländern zur Verfügung. So kann man davon ausgehen, dass dem Basler die Schwierigkeiten, mit denen sich Künstler wie Alexej von Jawlensky und der Jude Chaïm Soutine konfrontiert sahen, ihre Ausgrenzung, Verfolgung und gesundheitlichen Probleme, bestens bekannt waren. Ein Blick auf seine Kunstsammlung, die auch jüdische und als entartet verunglimpfte Künstler beinhaltet und das Bild des Menschen als zentrales Sujet zu erkennen gibt, lässt vermuten, dass Im Obersteg bewusst nach künstlerischem Ausdruck suchte, der die Konflikte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts spiegelte. Die Werke von Jawlensky und Soutine nehmen jedenfalls auf ganz unterschiedliche Art und Weise Bezug auf zutiefst existenzielle Fragen des Lebens.

Kuratiert von Henriette Mentha.
Quelle: Kunstmuseum Basel

Ausstellungen zu Alexej von Jawlensky

31. Oktober 2024
Alexej von Jawlensky, Heilandsgesicht — Erwartung, Detail, 1912 (Museum Wiesbaden, Foto: Museum Wiesbaden / Bernd Fickert)

Wiesbaden | Museum Wiesbaden: Feininger, Münter, Modersohn-Becker Wiesbadener Sammlung | 2025/26

In der Ausstellung wird die bewegte Geschichte der in über einhundert Jahren aufgebauten „Abteilung Klassische Moderne“ des Museums Wiesbaden reflektiert, zu deren Umfang und Qualität Schenkungen und Stiftungen beigetragen haben.
25. April 2024
Gabriele Münter, Bildnis von Marianne von Werefkin, Detail, 1909 (Foto: Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau, München, Gabriele Münter- und Johannes Eichner-Stiftung © VG Bild-Kunst, Bonn 2017)

London | Tate Modern: Kandinsky, Münter und Der Blaue Reiter Freundschaften, Netzwerk und Künstlerinnen | 2024

Im Frühjahr 2024 sind bahnbrechende Kunstwerke eines Freundeskreises zu Gast, die unter dem Namen „Der Blaue Reiter“ 1911/12 erstmals in London ausstellten.
12. März 2024
Wassily Kandinsky, Mit Sonne, Detail, 1911, Tusche, Öl hinter Ornamentglas, in bemaltem, originalem Rahmen, 30,6 cm x 40,3 cm (Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München, Gabriele Münter Stiftung 1957)

München | Lenbachhaus: Der Blaue Reiter. Eine neue Sprache Vorgeschichte bis Nachwirkungen | 2024

Sammlungshighlights des "Blauen Reiter" werden mit bisher selten gezeigten Arbeiten präsentiert und das Schaffen dieser Künstler:innen in einen größeren zeitgeschichtlichen Kontext gesetzt.

Ausstellungen zu Chaim Soutine

8. Oktober 2024
Georges Kars, Frau mit Papagei, 1926, Öl auf Leinwand, 100 x 80 cm (Stadtmuseum Velvary)

Prag | Waldstein Reithalle: Böhmische Künstler im Paris der Zwischenkriegszeit École de Paris aus Tschechien | 2024/25

Das Ausstellung untersucht Georges Kars (Jiří Karpeles), Othon Coubines (Otakar Coubine) und François Maurice Eberls (Frantisek Zdenek) Position in der Pariser Kunstszene der 1920er und 1930er Jahre - im Vergleich mit berühmten vertrwter:innen der École de Paris wie Modigliani, Orloff, Soutine.
9. Februar 2024
Chaim Soutine, Selbstbildnis, Detail, um 1918, Öl auf Leinwand, 54,6 × 45,7 cm (Princeton University Art Museum, Princeton, The Henry and Rose Pearlman Foundation, on loan since 1976 to the Princeton University Art Museum)

Humlebæk | Louisiana Museum: Chaim Soutine Gegen den Strom | 2024

Dem Louisiana Museum of Modern Art gelingt eine veritable Überblicksausstellung zu Chaim Soutine, die mit einer selten ausgestellten Zimelie einsetzt: Chaim Soutines „Selbstbildnis“, entstanden um 1918, aus dem Princeton University Art Museum. Es ist eines von nur drei Selbstbildnissen.
2. September 2023
Chaim Soutine

Chaim Soutine: Biografie Lebenslauf des Malers der Moderne & Protagonist der Ecole de Paris

Chaim Soutine (1893–1943): Kindheit, Lebenslauf, Umzug nach Paris, Soutine und die Avantgarde der 1910er, Céret, internationaler Durchbruch: Albert C. Barnes, Werke: Stillleben, Landschaften Porträts, Tod
Alexandra Matzner
Gründerin von ARTinWORDS * 1974 in Linz, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Romanistik in Wien und Rom. Seit 1999 Kunstvermittlerin in Wien, seit 2004 Autorin für verschiedene Kunstzeitschriften. Jüngste Publiktionen entstanden für das Kunsthaus Zürich, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Albertina und Belvedere in Wien.