Der aus Frankreich stammende und beinahe sein ganzes Leben lang in Rom lebende und arbeitende Maler und Zeichner Claude Gellée, gen. Claude Lorrain (1604/05–1682) gehört zu den bedeutendsten Landschaftskünstlern des 17. Jahrhunderts. Zweifellos war er der erfolgreichste Landschafsmaler des 17. Jahrhunderts in Rom, was sich in Aufträgen für die spanische Krone niederschlug. Während fünf Jahrzehnte seines Malens und Zeichnens in Rom – von 1627 bis zu seinem Tod im Jahr 1682 – widmete er sich der pastoralen Idylle bzw. der Ideallandschaft mit mythologischer oder historischer Staffage. Die von ihm entwickelte Ideallandschaft prägte die internationale Landschaftsmalerei bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts und wurde erst durch die Pleinairmalerei der Schule von Barbizon grundlegend erneuert.
Deutschland / Hamburg: Hamburger Kunsthalle, Hubertus Wald Forum
13.10.2017 – 14.1.2018
Als zentrale Errungenschaft gilt jedoch nicht das antiquarische Interesse der humanistisch interessierten Maler, sondern ihre beginnende Beobachtung der Tageslichtstimmung, deren unterschiedliche Färbung wie auch deren Auswirkung der Lichtsituation auf die Farben und Formen der Natur. Wegweisend dafür waren die Landschaftsbilder des Franzosen Claude Gellée, genannt Claude Lorrain, der ab etwa 1630 mit Gegenlichtdarstellungen für Aufsehen sorgte: Er beobachtete, wie sich beim gegen das Licht Schauen die Konturen aufweichen und der Eindruck von Dreidimensionalität verschwindet. Dennoch gab Claude Lorrain die Tiefenwirkung der Landschaft nicht auf – im Gegenteil: Durch strenge perspektivische Fluchtpunkt-Konstruktion (Architektur, Wolkenformationen) und das „Malen mit Licht“ lassen seine Landschaften räumlich wirken.
Zu den unmittelbarsten Umsetzungen der Landschaft Roms, der Campagna zählen seine Tuschelavierungen. Damit – wie auch den danach umgesetzten Landschaftsbildern – hatte er durchschlagenden Erfolg. Die von Lorrain mitbegründete Landschaftsmalerei des 17. Jahrhunderts (neben Lorrain wäre noch der heroischere Nicolas Poussin zu nennen) wurde von französischen und niederländisch-italianisanten Künstlern begierig aufgenommen (→ Niederländische Landschaftsmalerei in Italien). Auf die italienische Schule hatte der Landschafter interessanterweise hingegen keinen Einfluss. So verwundert es kaum, dass der umfangreichste und prestigeträchtigste Auftrag, der je an ausländische Künstler in Rom vergeben wurde, unter Claude Lorrains Federführung ausgeführt wurde: Neben Claude arbeiteten noch Nicolas Poussin, Jean Lemaire sowie die Niederländer Herman van Swaneveldt und Jan Both an den Ausstattungen für den Buon Retiro Palast in Madrid. Der als Sommerresidenz geplante Komplex sollte auch die zeitgenössische Malerei abbilden und die bedeutendsten Künstler der Zeit versammeln: Peter Paul Rubens, Diego Velázquez und eben die Landschaftsmaler Roms.
Ab 1635 legte Claude Lorrain ein penibel geführtes Konvolut von Nachzeichnungen nach allen entstandenen und verkauften Gemälden an, um sich vor Fälschungen zu schützen. Von den 1720ern bis 1957 war das „Liber veritatis“ in Besitz des Duke of Devonshire, seither befindet es sich im British Museum.
Zeichnen spielte also im Werk und im Denken von Claude Lorrain eine außergewöhnliche Rolle. Sie war Erinnerung (vergleichbar einem ricordo) wie Studienmaterial. Der deutsche Künstlerbiograf Joachim von Sandrart (1606–1688) weiß zu berichten, dass Claude Lorrain Lichtstimmungen im Freien, in der Natur gemalt hätte. Dieses „Malen nach der Natur“ wäre von Sandrart erfunden und von Claude begeistert aufgenommen worden. Dis zu diesem Zeitpunkt hätte der Franzose nämlich die Lichtstimmungen studiert und sich dabei die Farbmischungen angerührt. Mit diesen wäre er nach Hause geeilt, um im Atelier damit seine Bilder zu malen. Es muss also nach der Natur gemalte Landschaften im Œuvre Claude Lorrains gegeben haben, allerdings sind diese Bilder nicht mehr identifizierbar.
Die Antwort auf die Frage wie revolutionär Claude Lorrains Zugang zur Freilichtmalerei gewesen sein könnte, muss aus dem erhaltenen Bestand an Zeichnungen und Aquarellen abgeleitet werden. Zwischen 1630 und 1645 malte er Naturstudien in der Gegend rund um Tivoli, im Tal des Tiber und in der Gegend von Sasso (nordwestlich von Rom). Diese autonomen Naturaufnahmen gestaltete er mit der Feder und einem aquarellierenden, großzügig aufgetragenen Lavis. Neben Landschaftsformationen und Bäumen studierte Lorrain auch Nutztiere wie Ziegen, Schafe, vorwiegend Rinder und nur gelegentlich Maultiere, nur ein einziges Mal ein Schwein.
Die Ausstellung präsentiert 90 Feder- und Pinselzeichnungen aus dem Department of Prints and Drawings des British Museum in London, die größtenteils aus den berühmten Sammlungen von Sir Richard Payne Knight und der Herzöge von Devonshire stammen. Der Bogen der ausgewählten Blätter spannt sich von den äußert frei gestalteten, in der Natur der römischen Campagna vor dem Motiv entstandenen Zeichnungen über Entwurfsstudien zu Gemälden bis hin zu einer Auswahl von Claudes Zeichnungen aus seinem Liber Veritatis.
Ergänzt wird die Ausstellung durch zwanzig Radierungen des Künstlers aus dem Bestand des Hamburger Kupferstichkabinetts sowie einer Auswahl aus den 200 Mezzotinto-Radierungen, die der Engländer Richard Earlom (1743–1822) im späten 18. Jahrhundert nach Zeichnungen Claudes angefertigt hat. Der Auftrag des Verlegers Alderman Boydell wurde zwischen 1774 und 1777 unter dem Titel „Liber Veritatis. Or, A Collection of Two Hundred Prints, After the Original Designs of Claude le Lorrain, in the Collection of His Grace the Duke of Devonshire, Executed by Richard Earlom, in the Manner and Taste of the Drawings....” veröffentlicht (→ Barocke Gemäldegalerien und ihre Kataloge).
Kuratiert von Andreas Stolzenburg und David Klemm