Marina Abramović, Me and Me II, Detail, Ausstellungsansicht Galerie Krinzinger, Wien, Foto: Alexandra Matzner, ARTinWORDS.
Marina Abramović hat zwei Herzen, sagt sie. Wenn sie auch ihre zentral präsentierte Video-Arbeit „Dragon Heads“ (1990–1992, 2018), also Köpfe, getauft hat, so bedarf es wohl des Herzes mindestens eines Drachens, um die beiden langsam sich über Körper und Gesicht der Performance-Künstlerin schlängelnde Tigerpythons so stoisch zu ertragen. Die Nahaufnahme ihres Gesichts, ihr Blick verrät das Unwohlsein, wenn sich ein Tier über Abramovićs Gesicht bewegt, seinen Schwanz gegen ihr Auge schlägt, sich schwer auf ihrem Haupt niederlässt. Mut oder Leichtsinn? Die eigenen Grenzen ausloten? Archetypische Ängste bekämpfen? Was sie antreibt, so Abramović, wäre, selbst etwas zu durchleben, sich einer außergewöhnlichen, manchmal auch gefährlichen Situation auszusetzen, um Erfahrungsräume für das Publikum zu eröffnen.
Österreich / Wien: Galerie Krinzinger
27.4. – 9.6.2018
verlängert bis 22.6.2018
Schmerz zu fühlen und ihn auch auszuhalten, das Ich und das alter ego, das Ich als Ikone und Denkmal als neues Thema, Körper und Geist, Ekel und Reinheit – all diese Dualitäten verhandelt Marina Abramović in der sehr locker und stimmungsvoll gehängten Personale. Unverhohlen arbeitet die Künstlerin schon seit Jahrzehnten mit religiöser Ikonografie. In der Schau bei Krinzinger wird dies einmal mehr deutlich, wenn sie als mariengleiche Leidensfigur eine Frau – Elvira – auf Stromboli trägt. Oder der Muttergottes gleich mit langem Zeigefinger auf das weibliche Genital des Babys mit Segensgestus auf ihren Knien verweist („Vladkka“, 2007). Leise Erinnerungen an unzählige Madonnenbilder des Früh- und Hochrenaissance - man denke an Gentile da Fabriano (1424/25, Yale), Giovanni Bellinis „Madonna mit dem segnenden Kind“ (1475-1480, Accademia), Garofalo, uvm. Aby Warburgs Pathosformeln oder auch dem kulturellen Bildgedächtnis sei Dank. Fleischgewordene Göttin und ihre Schöpferin in einem Bild.
„Wir können so viele Herzen in uns tragen. Während meines Lebens habe ich zwei Herzen entdeckt. Diese Ausstellung ist über meine Reflexionen über Dualität, die Stärke weiblicher Energie und Zeitlichkeit“. (Marina Abramović)
Medium wie Leitmotiv in Abramovićs Werk ist der Körper – zumeist ihr eigener Körper, den sie malträtieren ließ, den sie forderte, mit dem sie still verharren kann. Seit vielen Jahren beschäftigt sich die Performerin zusätzlich mit spiritueller Reinigung. Sie nutzt dafür meditative Techniken, die sie für stunden, ja wochenlange Performances mit Schlangen und Menschen befähigen. Immer wieder arbeitet sie mit Minaeralien, denen seit Alters her reinigende Kräfte zugeschrieben werden. Bei Krinzinger zeigt die Künstlerin einen Kopf - natürlich sie selbst - aus Salz. Fragilität und Stärke in einem Stück auszudrücken, entspricht ihrer Vorstellung von Leben und vom Performen. Marina Abramović schlüpft für ihre aktuelle Ausstellung in die Rolle des männlichen „Cleaner“ und tritt mit Overall und Schaufeln auf. Chaos und Unordnung zu beseitigen, führt auch zu einer psychologischen Veränderung, zeigt sie sich überzeugt.
Wie eine Schamanin oder Heilerin tritt sie dem Publikum in ihren jüngsten Leuchtkästen entgegen, vor sich eine liegende Frau mit Gedärm, Innereien, einer Speiseröhre, fein säuberlich aufgeschichtet. Nichts erinnert dabei allerdings an die Blutorgien eines Hermann Nitsch. Alles wirkt sauber, nahezu clean im perfekten Weiß von Raum, Kleidung und Symmetrie. Im Kontrast dazu der blutig verschmierte Ziegenschädel, den sie sich in einem Porträt von 2018 vor ihr Gesicht hält. Die starren Augen, der Nasenknochen, die Reste von Fell erinnern nur noch entfernt an etwas Lebendiges. Totemtier oder Opfergabe? Das bleibt offen!
Marina Abramović zeigt sich in der Galerie Krinzinger in unterschiedlichsten Rollen, mal als jungfräuliche Kriegerin oder subversive Gottesmutter, mal als Reinigungskraft, mal als Schamanin. Immer ist das Kameraauge auf sie gerichtet und durchdringt ihre private Sphäre, um einen teils schonungslosen, teils hyperinszenierten Blick auf ihre Persona(e) freizugeben.
Marina Abramović zeigt bei Ursula Krinzinger großformatige Fotoarbeiten und erstmals auch Leuchtkästen: „Miracle“ und die auf Stromboli entstandenen Arbeiten „Carry Elvira“ (2006), „Virgin Warrior“ (2006), „Portrait with Maracas“ (2006), eine Reihe von Fotoarbeiten wie „Me and Me II“ (2008) und „Study for a Monument“, die aus Salzkristallen bestehende Skulptur „Self Portrait with Quartz Crystal“, sowie die aktualisierte Video-Arbeit „Dragon Heads“ (1990–1992, 2018). Fünf neue Lichtboxen mit dem Titel „Untitled“ (2018) sowie dem „Selbstporträt mit Quarz Kristall“ (2018), einer Skulptur aus der Serie „Communicator“ (2012–2018), zeigen das aktuelle Arbeiten der serbischen Künstlerin mit Sitz in New York.
Marina Abramović wird 2019 zu den Wiener Festwochen eingeladen sein.
2020 bringt sie ihre Oper "7 Deaths" an der Staatsoper zur Aufführung: Hierbei beandelt sie Leben und Wirken von Maria Callas, die sechs tragische Operntode erleidet und am Ende, von Marina Abramović selbst verkörpert, an gebrochenem Herzen stirbt.