Lucia Moholy: Fotopionierin und Partnerin von László Moholy-Nagy | AiW

Lucia Moholy

Wer war Lucia Moholy?

Lucia Moholy (geb. Schulz, Prag 18.1.1894–17.5.1989 Zürich) war eine deutsch-Schweizer Fotografin des Neuen Sehens (→ Neues Sehen). Sie gehörte zum inneren Kreis des Bauhaus, muss als ernstzunehmende Fotografin zunehmend entdeckt werden und gilt als eine Pionierin der Produktfotografie. Von 1921 bis 1929 war sie mit dem Künstler und Bauhaus-Lehrer László Moholy-Nagy verheiratet. Besonders bekannt wurde Lucia Moholy mit Aufnahmen vom Bauhaus, die größtenteils die Architektur des Bauhausgebäudes in Dessau und Produkte der Werkstätte zeigen.

Ausbildung

Die gebürtige Tschechin aus gutbürgerlichem Elternhaus und assimilierte Jüdin Lucia Moholy arbeitete als Fotografin, Publizistin und Dokumentarin. Nach dem sie die Matura mit Auszeichnung bestanden hatte, absolvierte sie das Lehrerinnenexamen für Deutsch und Englisch und studierte im Anschluss Kunstgeschichte, Philologie und Philosophie in Prag (1910–1912). Es ist nicht bekannt, ob sie einen Abschluss machte. 1915 äußerte sie sich über ihr Verhältnis zur Fotografie:

„Es erwacht in mir ein Interesse für die Fotografie. Ich bin passive Künstlerin; ich kann Eindrücke aufnehmen und wäre sicherlich fähig, alle von der schönsten Seite aufzunehmen und sie durch angelernte chemische Prozesse durchgehen und dann so erscheinen zu lassen, wie sie auf mich wirken. Ich bin nicht schöpferisch, nicht produktiv aus mir selbst, wohl aber von sehr feiner Aufnahmefähigkeit, rezeptiv.“1

Verlagslektorin in Wiesbaden, Leipzig und Berlin

Im Alter von 21 Jahren zog sie nach Wiesbaden (1915), wo Lucia Moholy bei verschiedenen Zeitungen und Verlagen arbeitete. Um 1915 leitete sie das Redaktionssekretariat der „Wiesbadener Zeitung“ und veröffentlichte Kunstbesprechungen. Von 1917 bis 1918 führte sie die Leipziger Geschäftsstelle des Berliner Hyperion Verlags. Eines ihrer Gedichte wurde unter dem Pseudonym Ulrich Steffen im Buch „Revolutionsdenkmale für die während der Bremer Februarkämpfe gefallenen Proletarier“ publiziert. Danach übersiedelte Lucia Schulz nach Hamburg, wo sie als Buchhändlerin arbeitete und der Lebensreformbewegung nahestand. Mehrmals besuchte Lucia den Barkenhof von Heinrich Vogeler in Worpswede.

1920 kam Lucia Schulz nach Berlin und lernte dort bei Freunden den ungarischen Künstler László Moholy-Nagy kennen, welcher der „MA“-Gruppe zuzuordnen ist. Als Berlin-Korrespondenz der Zeitschrift „MA“ von Lajos Kassák beteiligte er sich rege „an den damaligen Theoriediskussionen um Fragen der politisch-sozialen Zielsetzung des Konstruktivismus“2. In dieser Zeit könnte sie mit den Konzepten der De Stijl-Gruppe in Kontakt gekommen sein. Zu ihren Berliner Freunden und Kollegen im dadaistischen „Kampf gegen den Stil“ gehörten Ende 1920/21 Hans Richter, Ludwig Mies van der Rohe und El Lissitzky. Das Paar heiratete am 18. Januar 1921, ihrem 27. Geburtstag. Ihre Anstellung als Lektorin im Rowohlt Verlag erwirtschaftet das Familieneinkommen. László Moholy-Nagy war zu Beginn der 1920er Jahre ein noch gänzlich unbekannter Künstler, der über kaum Einkommen verfügte. Das Paar nahm im September 1922 am Internationalen Konstruktivisten- und Dadaisten-Kongress teil, den Theo van Doesburg in Weimar organisierte.

Lucia Moholy am Bauhaus

Im April 1923 wurde László Moholy-Nagy als Meister an das Bauhaus berufen, wo er Johannes Itten nachfolgte. Lucia Moholy zog mit ihm nach Weimar. Damit war Lucia Moholy erstmals seit vielen Jahren ohne Anstellung und ohne Verdienst, was für die arbeitsame und strebsame Frau eine gewaltige Umstellung bedeutet haben muss. In dieser Phase des Bauhaus gab Walter Gropius eine neue Richtung vor: „Kunst und Technik – eine neue Einheit“. Technikorientierung und Konstruktivismus ersetzten den romantischen, lebensreformerischen Expressionismus. Das Ehepaar Moholy-Nagy trug Wesentliches dazu bei, dass auch die Fotografie zum wichtigen Medium am Bauhaus wurde, denn sie arbeiteten an experimentellen Fotografieprojekten und fototheoretischen Schriften zusammen. Bis dato beschäftigte sich Lászlo Moholy-Nagy mit Fotogrammen und ab 1925 auch mit Fotografie. Bald machte er sich einen Namen als Theoretiker des „Neuen Sehens“.

1923/24 begann Lucia Moholy eine Lehre im Weimarer Fotoatelier Eckner. An der Akademie für Grafische Künste und Buchgewerbe in Leipzig, den sog. Prinzipalkursen in Reproduktionstechnik, vertiefte sich Lucia Moholy 1925 und 1926 ihre fotografischen und drucktechnischen Kenntnisse. Ihre Tätigkeit am Bauhaus kreisten vor allem um technische Fragen der Fotografie (und wenig um die Theorie). Rasch wurde sie zur Anlaufstelle für alle möglichen fotografischen Belange. Ab 1926 arbeitete sie als „offizielle Bilddokumentaristin“ am Bauhaus Dessau mit Vertrieb der Fotografien in Form von Postkarten und Veröffentlichungen in Zeitschriften. Da Lucia Moholy nicht für ihre Arbeit bezahlt wurde, blieben die Negative in ihrem Besitz. Sie konnte für die Veröffentlichung ein kleines Honorar verlangen.

Laszlo Moholy-Nagy bezeichnete seine fotografische Arbeit als „Lichtgestaltung“, womit er sie der Kunst zurechnete. Lucia Moholy hingegen lehnte einen künstlerischen Anspruch für ihre Fotografien ab. Anja Baumhoff sieht darin unter anderem eine „sinnvolle private Grenzziehung, die die Arbeitsgebiete zwischen dem Paar aufteilte“, da Moholy-Nagy vermutlich künstlerische Arbeit als Konkurrenz durch seine Ehefrau empfunden hätte.3

„Zwischen Moholy-Nagy und mir hatte sich bald eine Art symbiotischer Arbeitsgemeinschaft herausgebildet, die dem Reichtum seiner sprießenden Ideen einen fruchtbaren Boden bereiten half. Das Zusammenwirken von kühner Phantasie und leidenschaftlichem Realisierungsdrang einerseits sowie abwägender Grundhaltung andererseits trug in sich die Keime eines Kollektivs, aus dem, von des Künstlers ureigenster Begabung getragen, gemeinsames Denken fruchtbar werden und sich ausweiten konnte. Die sprachliche Formulierung blieb dann meist mir vorbehalten.“4 (Luciy Moholy über ihre Zusammenarbeit mit Lászo Moholy-Nagy)

Bis zur Trennung des Ehepaares im Frühjahr 1929 unterstützte Lucia Moholy ihren Mann bei seiner Arbeit und lektorierte beispielsweise die „Bauhausbücher“. Zwischen 1930 und 1932 unterrichtete sie Fotografie an der Kunstschule des früheren Bauhaus-Meisters Johannes Itten in Berlin, wo sie die Nachfolge des Bauhäuslers Otto Umbehr, genannt Umbo, antrat. Bis ins englische Exil 1933 hinein, wohin beide getrennt voneinander emigriert waren, entwickelte Lucia Moholy alle Fotografien ihres Mannes und bearbeitete sie technisch.

Exil

Lucia Moholy ging 1929 eine Beziehung mit Theodor Neubauer ein, einem kommunistischen Abgeordneten und Aktivisten. Am 3. August 1933 wurde Neubauer in ihrer Wohnung verhaftet. Sie sollte ihn nie wiedersehen; er wurde in verschiedenen Zuchthäusern sowie Konzentrationslagern inhaftiert und im Februar 1945 hingerichtet. Das Paar hatte bereits zuvor ihre Flucht nach London geplant: Allerdings konnte Lucia Moholy praktisch nichts mitnehmen! Die Flucht führte sie über Prag nach Wien und weiter über Paris nach London, wo sie im Juni 1934 eintraf. In ihrer Eile war Moholy gezwungen, die 500 bis 600 Glasnegative in der Obhut ihres Ex-Mannes László Moholy-Nagy zurückzulassen.

In London arbeitete die nun mittellose Lucia Moholy als Porträtfotografin und als Journalistin. Sie inszenierte Barone, Lords, Gräfinnen, Akademikerinnen und Akademiker, Literatinnen und Literaten, Politikerinnen und Politiker (1935 bis 1938):

„Ich finde Ihre Fotografien ganz wunderbar und alle meine Freunde auch. Sie unterscheiden sich von der modernen Fotografie, die sozusagen ,Schönheitssalons‘ anstrebt. Ihre Fotografien zeigen echte Männer und Frauen und werden in Zukunft Beiträge zur Biografie großer und berühmter Menschen sein.“5

In dieser Zeit bereitete Moholy auch das Buch „A Hundred Years of Photography: 1839–1939“, veröffentlicht 1939 von Penguin Books. In den ersten zwei Jahren wurden etwa 40 000 Exemplare des Buches verkauft, so die Autorin selbst.6 Moholy konnte damit sowohl einen kommerziellen als auch einen Kritikererfolg für sich verbuchen. Dennoch war es ihr nicht vergönnt zu ihren Freunden und ehemaligen Kollegen in die USA zu emigrieren, da sie der US-Einwanderungsbehörde sie nicht nachweisen konnte, dass sie in der Vergangenheit hauptsächlich als Professorin für Fotografie tätig gewesen war.

Lucia Moholy vertraute ihr Negativarchiv bei der Flucht aus Deutschland 1933 ihrem Ex-Mann László Moholy-Nagy an, der es an Gropius weiterreichte, was diesem die uneingeschränkte Vermarktung der Bilder für seine PR-Zwecke ermöglichte. Allerdings unterdrückte er weitestgehend den Namen der Fotografin! Damit prägte Lucia Moholy mit ihren Aufnahmen das Bild der Designschule in den USA - längst nachdem das Bauhaus in Deutschland aufgehört hatte zu existieren. Ihren Bildern ist es zu verdanken, dass die in Einzelstücken bzw. in Kleinstserien angefertigten Designobjekte überhaupt überliefert sind.

Werk

Wichtig ist Lucia Moholy, weil sie in ihren Fotografien das Schaffen der Künstlerinnen und Künstler am Bauhaus dokumentierte. Mit ihrer Plattenkamera hielt sie Gemälde, Bilder und Entwürfe aller Art fest. 1926 fotografiert sie die neuen Dessauer Bauten von Walter Gropius und vermittelte so den Eindruck eines schwebenden, fast schwerelosen neuen Baustils aus Eisen, Glas und Beton. Dabei nutzte die Fotografin Kompositionsmethoden des Konstruktivismus, über die sie mit ihrem Mann leidenschaftlich debattierte und im Bauhausbuch „Malerei Fotografie Film“ publizierte. Daran anschließend lässt sich feststellen, dass Lucia Moholy zum einen sachlich und funktional wirken, die Anordnung der Flächen allerdings künstlerisch angelegt ist.7

Neben der Redaktion der „Bauhausbücher“ übernahm sie auch das Lektorat und die Verlagsbetreuung. Abbildungen, Reproduktionen und Sachaufnahmen von Lucia Moholy sind in allen Veröffentlichungen des Bauhaus, allen voran den „Bauhaus-Büchern“ und der Zeitschrift „bauhaus“ zu finden.8 Lucia Moholy, so lässt sich leicht urteilen, prägte maßgeblich bis heute die Rezeption der Kunstschule. Allerdings wurde sie dafür – soweit bekannt – nie bezahlt, erhielt keinen offiziellen Posten9 und kaum Anerkennung!

Lucia Moholy-Nagy fotografierte das Bauhaus früh mit Stilmerkmalen des „Neuen Sehens“. Struktur, Ausschnitt und Perspektive der Aufnahmen deuten ihren Wunsch an, über das reine Ablichten und Darstellen hinauszugehen. Sie experimentierte mit der Integration serieller Elemente im Bild. Ihre Bilder atmen Spannung und spielen mit Asymmetrie. Sie führte Schneisen und diagonale Sichtlinien in ihre Bilder ein. Weiteres Charakteristikum sowohl ihrer stark durchkomponierten Fotografie wie auch der Bauhaus-Architektur ist das Moment des Seriellen. Viele ihrer Fotografien sind allerdings in den Wirren ihrer Emigration verschwunden.

Unter dem Begriff „Neues Sehen“: durchgehende Schärfentiefe, unvermittelte Koexistenz der rasanten Verkürzung des Tiefenstoßes und des Flächenmusters, Schlagschatten vermitteln die Tiefe der Räume nicht mehr, sondern verschleiern sie, Ziel ist ein feinteiliges Ornament Es wird die sichtbare Welt als Konstruktion enttarnt.10

Literatur zu Lucia Moholy

  • Lucia Moholy – Das Bild der Moderne, hg. v. Tobias Hoffmann, Thomas Derda und Fabian Reifferscheidt (Ausst.-Kat. Bröhan-Museum, Berlin, 1.10.2022–22.1.2023), Berlin 2022.
  • Anja Baumhoff, Zwischen Kunst und Technik. Lucia Moholy und die Entwicklung der modernen Produktfotografie, in: Hellmut Th. Seemann, Thorsten Valk (Hg.), Klassik und Avantgarde. Das Bauhaus in Weimar 1919–1925, Weimar 2009, S. 169–184.
  • Lucia Moholy, Marginalien zu Moholy-Nagy. Dokumentarische Ungereimtheiten, Krefeld 1972.
  1. Lucia Schulz, 1915, zit. n. Anja Baumhoff, Zwischen Kunst und Technik. Lucia Moholy und die Entwicklung der modernen Produktfotografie, in: Hellmut Th. Seemann, Thorsten Valk (Hg.), Klassik und Avantgarde. Das Bauhaus in Weimar 1919–1925, Weimar 2009, S. 169–184, hier S. 181.
  2. Rainer K. Wick, Bauhaus. Kunstschule der Moderne, Ostfildern 2000, S. 143.
  3. Anja Baumhoff, Zwischen Kunst und Technik. Lucia Moholy und die Entwicklung der modernen Produktfotografie, in: Hellmut Th. Seemann, Thorsten Valk (Hg.), Klassik und Avantgarde. Das Bauhaus in Weimar 1919–1925, Göttingen 2009, S. 183.
  4. Lucia Moholy, Marginalien zu Moholy-Nagy. Krefeld 1972, S. 11.
  5. Margot Oxford and Asquith an Moholy, 6.3.1936, BHA, LMArchiv, Ordner 56. Zit. n. S. 124.
  6. Ebenda, S. 125.
  7. Bauhausdirektor Hannes Meyer wird den Funktionalismus wirklich einführen. Er etabliert Gestaltung als eine von der Kunst völlig unabhängige und eigenständige Disziplin. Siehe: Tobias Hoffmann, Kunst und Fotografie, in: ebenda, 62-69, hier S. 67.
  8. Rolf Sachsse, Lucia Moholy, Düsseldorf 1985.
  9. Die Leitung der Bauhaus-Werkstatt für Fotografie wurde 1929 an den heute wenig bekannten Walter Peterhans übergeben.
  10. Klaus Honnef