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Tintoretto und die zeitgenössische Kunst Teil 3 der 54. Biennale von Venedig: ILLUMInazioni | 2011

Eingang der Giardini, Biennale 2011; Foto: Alexandra Matzner

Eingang der Giardini, Biennale 2011; Foto: Alexandra Matzner

„Nationen“ erhellen in Form der Dekonstruktion

Für die 54. Biennale wählte Kuratorin Bice Curiger den Titel “ILLUMInazioni” – ein Wortspiel aus “illuminazione” und “nazioni”. Es geht der Schweizerin darum, die Biennale, deren primäre Funktion die „Erhellung“ internationaler Kunstentwicklung sei, also diese Mutter aller Biennalen in Venedig mit ihren Nationenpavillons innerhalb eines weltumspannenden Kunstnetzes zu verstehen. Darüber hinaus interessiert sie sich besonders für Künstler, die einen „intensiven Dialog mit den Betrachter und Betrachterinnen suchen“ und dadurch „die Konventionen des Kunstbetrachtens herausfordern“. Diese Einstellung sieht Curiger bereits in den späten Gemälden von Jacopo Tintoretto verwirklicht, in denen der Manierist Licht auf eine sehr „ekstatische und unrationelle Weise“ einsetzte. Dieses Hereinholen traditionsreicher, venezianischer Malerei in den Kontext einer, wenn nicht sogar der Ausstellung für internationale, zeitgenössische Kunst eröffnet Vergleichsmöglichkeiten auf zeitlicher wie nationaler Ebene.

Das Konzept „Nation“ wird im Katalog thematisiert, denn den Künstlern wurde wohl ein Fragebogen zugesandt, dessen Beantwortungen kaum sichtbar in Silber (!) am Ende jeder Doppelseite abgedruckt wurde. Die bedeutungsschwangeren Fragen lauten: 1) Is the art community  nation? 2) How many nations are inside you? 3) Where do you feel at home? 4) Which language will the future speak? 5) If art were a state, what would its constitution say? Müßig zu sagen, dass kaum einer diese Fragen „ernst“ genommen hat, denn die Antworten reichen von völliger Verweigerung (5x „No!“) bis zu slapstickartigen, surrealen Fantasien.

Das Licht Tintorettos unter den Zeitgenossen

So hochtrabend die Vorhaben auch am Beginn der Biennale klangen, so wenig konnte die Kuratorin die Erwartungen erfüllen. Drei Gemälde von Jacopo Tintoretto hängen im zentralen Raum des Großen Pavillons in den Giardini, streng bewacht, vor zu weißen Wänden und schlecht beleuchtet, so dass die nahezu unsichtbaren Engel, die nur mit weißen Umrisslinien angedeutet sind, kaum entdeckt werden. Schade ist nur, dass die sie umgebende, zeitgenössische Kunst nur schwer in direkten Zusammenhang mit den Werken des Manieristen gebracht werden (können). Einzig die neuen Arbeiten von Monica Bonvicini mit dem Titel „Untitled (15 Steps to Virgin)“ und Nicholas Hlobos (* 1975) „limpundulu Zonke Ziyandilandela“ (2011) im Arsenale nahmen direkt Bezug auf Traditionen Venedigs. So bleiben Tintorettos Gemälde nur Einschübe, irgendeiner Form der Erleuchtung dienen sie mitnichten.

Giardini

Maurizio Cattelans (* 1960) „Turisti (Touristen)“, bereits aus dem Jahr 1997, sitzen zweitausendfach auf Stangen und scheinen das Treiben der Biennale auf witzige Weise zu kommentieren. DAS INSTITUT, bestehend aus Kerstin Brätsch (* 1979) und Adele Röder (* 1980), ist mit riesigen, abstrakten Gemälden und farbiges Plexiglas vertreten. Hier lässt sich zumindest vortrefflich mit der eigenen Wahrnehmung in den raumstrukturierenden Farbfeldern spielen. Dabei nehmen die beiden Künstlerinnen aber auch den Kunstmarkt und seine ökonomischen Bedingungen mit ihren Produkten aufs Korn. Cindy Sherman (* 1954) tritt wieder einmal in verschiedenen Rollen auf, und Peter Fischli & David Weiss setzen den magisch leuchtenden Mond über eine Serie von streng geometrischen Figurationen.

Arsenale

Die Auswahl der 83 Künstler und Künstlerinnen im kuratierten Teil der Biennale wirft bereits ein beredtes Licht auf die „Problematik“ der Biennale 2011: Niemand ist mehr in  der Lage den berühmten „Überblick“ oder den genauso gewünschten „Durchblick“ zu haben. Eines der witzigsten Kunstwerke der Biennale ist daher Urs Fischers (* 1973) Beitrag – drei Wachskerzenfiguren, die langsam herunterbrennen, eine davon eine Reproduktion von Giambolognas „Der Raub der Sabinerinnen“ (1583). Dem Bildnis des befreundeten Künstlers Rudolf Stingel ist dabei schon ein Licht aufgegangen, könnte man meinen.

James Turrells (* 1943) Lichtinstallation „The Ganzfeld Piece“  ist mystisch-ätherisch wie immer (wenn auch wenig überraschend), Rosemarie Trockels  (* 1952) Beitrag wirkt hingegen etwas trocken. Der Südafrikaner Nicholas Hlobo (*1975) hängt mit „limpundulu Zonke Ziyandilandela“ (2011) einen mythischen Vampirvogel aus den traditionellen Gesängen der Xhosa mitten in den Gang der Hallen des ehemaligen Marine-Hauptquartiers – als Reminiszenz an „Die Erschaffung der Tiere“ von Tintoretto. Die Absenz von Licht thematisiert Roman Ondák (* 1966) mit seiner „Time Capsule“, dem Nachbau der Rettungskapsel aus Chile, mit der 33 Minenarbeiter nach zwei Monaten in Dunkelheit wieder ans Tageslicht befördert wurden.

Wo ist die Malerei geblieben?

Sonst bietet die diesjährige Biennale als wichtigstes Statement das Fehlen der Malerei, die Vorherrschaft von Objektkunst und skulpturaler Installation sowie ein stärkeres Interesse der Kuratorin an Fotografie und Videokunst. Eine der malenden „Ausnahmen“ ist Corinne Wasmuht, deren komplexe Raumgebilde, Orte von ineinander verschachtelten Begegnungen und Handlungen sind. Jean-Luc Mylaynes Fotografien wirken zwar wie Momentaufnahmen, sie sind jedoch genauso komplex in ihrer Entstehung wie vielleicht Wasmuhts von Farbschichten durchdrungene Gemälde: Der Fotograf mit lebenslangem ornithologischem Interesse, seit 30 Jahren nimmt er nur Vögel auf (!), führt in seinen Bildtiteln immer die Dauer der Bildentstehung an. Folglich bedeutet „Avril Mai 2005“, dass er insgesamt zwei Monate benötigte, von der Wahl des Ortes über den Aufbau des Apparates bis zum Warten auf den tierischen Protagonisten, um diese Aufnahme zu machen.

Eine neue Idee ist jedenfalls das Einführen von sog. Para-Pavillons, für die vier Künstler Räume schufen, in denen wiederum Werke von anderen Künstlern ausgestellt werden. Damit ist der jüngsten Entwicklung Rechnung getragen, in der KünstlerInnen zu KuratorInnen und v.a. RaumschöpferInnen wurden. Monika Sosnowska, Franz West, Song Dong und Oscar Tuazon wurden eingeladen, Konzepte zu entwickeln. Franz West kopierte seine Küche und Song Dong brachte sein sein ca. 100-jähriges Elternhaus nach Venedig.

Und dann wären da noch die Auszeichnungen…

Goldene Löwen für ihre Lebenswerke erhalten heuer Elaine Sturtevant und Franz West.

Der Goldene Löwe für den besten Künstler geht an Christian Marclay (* 1955) für die Arbeit „The Clock“ (2010), in der er aus einer Unzahl von Hollywoodfilmen genau jene Sequenzen zusammengeschnitten hat, die das Ablesen der aktuellen Zeit ermöglichen.

Der Silberne Löwe für einen vielversprechenden jungen Künstler geht an Haroon Mirza (GB, * 1977), der die Wahrnehmung von Geräuschen, Sound von der visuellen abspaltet.

Den Preis für den besten Pavillon errang heuer Deutschland mit seiner Hommage an den vor kurzem verstorbenen Christoph Schlingensief und der Installationen „Kirche der Angst“.

Alexandra Matzner
Gründerin von ARTinWORDS * 1974 in Linz, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Romanistik in Wien und Rom. Seit 1999 Kunstvermittlerin in Wien, seit 2004 Autorin für verschiedene Kunstzeitschriften. Jüngste Publiktionen entstanden für das Kunsthaus Zürich, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Albertina und Belvedere in Wien.