Objekte mit weißer Spitze überzogen, aus Kunstfell oder hochglänzendem Aluminium, fragile Zeichnungen auf gefaltetem Seidenpapier, poetisch-absurde Happenings und konzeptuelle Arbeiten mit Regeln und Codes – all das vereint das Werk des belgischen Künstlers Guy Mees (1935–2003). Die Kunsthalle Wien stellt am Karlsplatz die erste Ausstellung Mees‘ in Österreich als konzentrierten Einblick in dessen Werk vor.
Österreich / Wien: Kunsthalle Wien Karlsplatz
1.2. – 8.4.2018
Der als Maler ausgebildete Mees hatte 1960 in der Galerie Ad Libitum in Antwerpen seine erste Einzelausstellung. Bereits in den frühen 1960er Jahren stellte er die Form der (abstrakten) Malerei radikal in Frage, indem er u. a. Bildträger mit weißer, geblümter Spitze überzog. Quadratisch, rahmenlos und mit zunehmender Körperlichkeit ausgestattet, reagieren sie auf die Tradition von De-Stijl. Mees setzte Industriespitze ein, die traditionellerweise in Belgien produziert wurde, allerdings in die Sphäre der weiblichen Welt verortet wurde. Gleichzeitig nutzte er Aluminiumplatten als Bildträger, die bei genauer Betrachtung zum einen das Spiegelbild der Betrachtenden schematisiert zurückwerfen und zum anderen auch den Effekt des Glitzerns einbringen. Diese als „Verloren Ruimte [Lost Space]“ betitelten Objekte verließen um 1965 ihre Position an der Wand und erobern als Kuben oder Quadern den Raum, ultravioletter Neon-Beleuchtung inklusive.
Für Kuratorin Lilou Vidal sind die Begriffe Wandelbarkeit, Fragilität und Ausbreitung des Bildraums in den realen Raum von größter Bedeutung, um Guy Mees‘ Werk zu beschreiben. Der am 8. März 2003 verstorbene Künstler war in Antwerpen seit 1960 als Mitstreiter der internationalen Neo-Avantgarde bekannt und stellte mit Künstlern der Gruppen Zero, Spazialismo (Lucio Fontana), Nul, G.R.A.V., Azimut/h und Gutai aus Japan aus. Der Reduktion der Hermetik konzeptueller Zugangsweisen stellte er Haptik, Sensualität, Oberflächenstrukturen, Poesie entgegen. Gleichzeitig hinterfragte er auch Geschlechterverhältnisse, Geschlechterstereotype (siehe die Spitzenkrawatten!) und Machtstrukturen.
Besonders gut ist die Veränderbarkeit von scheinbar festen Positionen – in der Gesellschaft, Familie, im Betrieb – in der Arbeit „Niveauverschillen [Höhenunterschied]“ (1960er–1970er) visuell umgesetzt: Drei gleichgeformte, weil maschinell produzierte Ytong-Blöcke bilden eine Art Podest. Drei Menschen stellen sich in unterschiedlicher Reihenfolge darauf und wechseln, der Anweisung des Künstlers folgend, ihre Positionen. Damit verdeutlichen sie gemeinsam mit Mees Hierarchieunterschiede – aber auch die Möglichkeit, diese zu unterlaufen. Fotografien, Kontaktabzüge, Filme resultieren aus diesen über zwei Jahrzehnte durchgeführten Aktionen bzw. Projekt.
Aus den Ergebnissen destillierte Guy Mees wiederum eine konzeptuelle Arbeit, in der er die „Figuren“ und ihre „Anordnungen“ in ein Farbsystem codierte und in ein Rastersystem überführte. Serielle Striche und eine zu befolgende Regel führen zu einer Anordnung, die formal aus heutiger Perspektive entfernt mit dem Ergebnis einer DNA-Analyse verwandt sind.
Die in der Kunsthalle Karlsplatz gegenüber präsentierten Seidenpapier-Pastell-Zeichnungen schlagen dann wieder den Bogen „zurück“ zu so gleichsam fragilen wie ephemeren Notationen. Das gefaltete Papier und die Spuren von pastellfarbigen Punkten können auch als abstrakte Werke gelesen werden. Konzept und Haptik – die Blätter werden ohne Verglasung an die Wand gepinnt (!) – sind gleichsam Verdichtungen von prekärer Materialität. Und da wären sie wieder die eingangs zitierte Begriffe Wandelbarkeit, Fragilität und die Ausbreitung des Bildraums in den Realraum.
Mit der Schere zeichnen oder malen, nennen Kunsthistoriker die von Henri Matisse erfundene Technik der gouaches découpés (1943/44). Dass Guy Mees diesen Vergleich nicht gerne hörte, liegt auf der Hand, wenn man die „Verloren Ruimte“-Serie der 1980er betrachtet. Weder bemalte er die Papiere zuvor selbst, noch formte er Figuren im klassischen Sinn. Abstrakte Formen, direkt an die Wand genagelt, aus mehreren Einzelteilen zusammengesetzt, führen sie seinen Diskurs um die Räumlichkeit von „Malerei“ weiter. Dass Mees gegen Ende seines Lebens diese buntfarbigen Formen nochmals auf weißes Seidenpapier übertrug, zeigt dessen Herangehensweise, sich in verschiedenen Medien mit ähnlichen Fragestellungen zu beschäftigen.
Kuratiert von Lilou Vidal.
Guy Mees wurde 1935 in Mechelen, Belgien geboren und starb 2003 in Antwerpen. Er war Mitglied der Nieuwe Vlaamse School.