Berlinde de Bruyckere, Invisible Love, 2011, Detail, Foto: Mirjam Devriendt
Berlinde De Bruyckeres (*1964, Gent) erste große Ausstellung in Brüssel ist gleichzeitig die erste einer neuen Ausstellungsreihe, den Conversation Pieces, in der Künstler:innen eingeladen werden, ihre eigenen Arbeiten mit denen anderer Künstler:innen in Dialog zu setzen. In „Khorós“ präsentiert Berlinde De Bruyckere eine Auswahl ihrer in den letzten 25 Jahren entstandenen Werke und stellt sie in einen Dialog mit historischen Objekten, die sie inspiriert haben. De Bruyckeres Werke treffen auf bildnerische und literarische Werke verwandter Künstler, die sie ihrer Compagnons de Route nennt. Der griechische Begriff Khorós (χορός) bezeichnet die Gruppe von Sängern bzw. Tänzern in der griechischen Tragödie, die das Geschehen auf der Bühne kommentiert. Die Ausstellung im BOZAR ist daher als ein Zusammenspiel von Stimmen, gemeinsamen Themen und Dialogen konzipiert.
Belgien | Brüssel: BOZAR
21.2. – 31.8.2025
Wie in De Bruyckeres Werk schlagen die Dialoge von „Khorós“ Brücken über Zeit und Raum hinweg: von der griechischen Mythologie und biblischen Szenen von Lucas Cranach der Ältere oder Peter Buggenhout, über das Kino von Pier Paolo Pasolini und das literarische Werk der legendären Musikerin und Poetin Patti Smith bis hin zur zeitgenössischen bildenden Kunst. Ihre körperlichen, in die Gedärme gehenden Skulpturen stehen im Dialog mit anderen künstlerischen Disziplinen: Malerei, Film, Literatur, Video, Tanz... Im Ausstellungsrundgang ist alles miteinander verwoben, vereint durch einen wiederkehrenden Fokus auf den Körper in all seinen Erscheinungsformen: seine Lebenslust und sein Verfall, in seiner ewigen Metamorphose.
In den ersten Räumen verwebt Berlinde De Bruyckere religiöse, klassische und persönliche Motive zu einem kuriosen Garten Eden. „Pioenen“ (2017-2018) ist ein fünf Meter langes Wandpaneel aus Eichendielen aus dem 18. Jahrhundert, das mit einer Blumentapete überzogen ist. Die blutroten Wachspfingstrosen sind eine monumentale Vergrößerung der verwelkten Miniaturblumen, die die Künstlerin auf spätmittelalterlichen Darstellungen des Paradiesgärtleins gefunden hat. In ihrer Material- und Detailfülle bilden diese Reliquiare aus dem 16. Jahrhundert ein symbolträchtiges Universum für die private Andacht; im zweiten Raum ist das „Paradiesgärtlein mit Muttergottes und Kind mit Birne“ (um 1530-1540) zu sehen. Die Wandschränke der Serie „It almost seemed a lily“ (2021-2023), die im BOZAR mit Bleizweigen, Wachsblütenblättern und Bandagen aus verwitterten Decken gefüllt sind, setzen das Thema in kleinerem Maßstab fort.
Der monumentale Baum von „San Sebastian“ (2019-2022) zeigt eine ebenso große Materialvielfalt: In seine Rinde sind Decken und Holzkeile eingeschmolzen, sie besteht zwar vollständig aus Wachs, doch finden sich auch Reste von Baumrinde, die während des Herstellungsprozesses versehentlich hängen geblieben sind. Der Wachsabguss der verwitterten Ulme ruht auf Stützbalken aus Bronze und Holz und verkörpert das oft prekäre Verhältnis zwischen Natur und Kultur. In der christlichen Ikonografie wird der Heilige Sebastian während seines grausamen Martyriums an einen Baum gefesselt und von Pfeilen durchbohrt dargestellt. Für De Bruyckere ist der Heilige die Verkörperung von Schönheit, Erotik und mystischem Schmerz. Hier scheinen der Körper des Märtyrers und der Baum eins geworden zu sein, die Rinde wird zur Haut, durchbohrt und zugleich verbunden.
Seit Anfang der 1990er Jahre ist die Wolldecke mit ihrer widersprüchlichen Andeutung von Intimität und Behaglichkeit, Erstickung und Einschränkung ein zentrales Element im Werk von Berlinde De Bruyckere. In großen Mengen auf Lastwagen gestapelt oder als unzureichender Schutz über Käfigkonstruktionen drapiert, waren die Decken Vorboten der verstörenden Bilder von Flüchtlingsströmen, die wenig später die Zeitungen überschwemmten.
Mit ihren „Courtyard Tales" von 2018 setzt De Bruyckere die Auseinandersetzung mit den gesellschaftspolitischen Konnotationen des Materials fort. Der Titel verrät etwas über den Entstehungsprozess: Die Decken lagen monatelang im Hof und Obstgarten des Ateliers der Künstlerin. In den verfilzten, verfärbten und verschimmelten Materialien sah De Bruyckere eine neue Form von Schönheit und Wert entstehen. Von der Zeit und der Kraft der Natur geformt, verloren die Decken sowohl ihre Funktionalität als auch ihre ursprünglichen Eigenschaften. Dieser allgegenwärtige Zustand des Verfalls spiegelt das Versagen der sozialen Strukturen wider, mit denen sich die Gesellschaft zunehmend konfrontiert sieht. Strukturen, die wie diese Decken einst Schutz bieten sollten, haben sich im Laufe der Zeit als brüchig und unzureichend erwiesen, so dass die Schwächsten durch das Netz zu fallen drohen. Wie bei den Paradiesgärtlein entsteht die skulpturale Form aus einer Ansammlung kaum unterscheidbarer Elemente, die die Künstlerin im Laufe der Zeit zusammengetragen hat. So entsteht ein Bild, das zwischen Verbergen und Enthüllen, Bescheidenheit und Exzess oszilliert.
Berlinde De Bruyckere arbeitet nie auf neuem Papier. Die Aufwertung dessen, was auf den ersten Blick wertlos oder weggeworfen erscheint, ist der Schlüssel zu ihrer Arbeit. Ihre zarten Collagen, die unter dem Titel „It Almost Seems A Lily“ zwischen 2019 und 2023 entstanden, verwenden recyceltes Material aus einem alten Buch mit Stickmustern. Die „Blütenblätter“ sind ausgeschnitten und dann mit Goldfaden aufgenäht, was an die weibliche Handarbeit erinnert. Die geschichtete Komposition mit halbtransparentem Transparentpapier macht die Muster teils unleserlich, wie in den Paradiesgärtlein in Form von versteckten persönlichen Botschaften auf kleinen Pergamentrollen. Selbst die Rahmen der Collagen von De Bruyckere, die wie kleine Kabinette aufgebaut sind und durch feine Goldverschlüsse zusammengehalten werden, verweisen auf die Altaraufsätze aus dem 16. Jahrhundert. Das Werk eines unbekannten Künstlers oder einer Künstlerin zeigt im Hintergrund Blumen aus mit Seidenfaden umwickelten Kirschkernen, die zur überwältigend komplexen und fast unverständlichen Wirkung der Komposition beitragen. Die Lilie hat viele religiöse Bedeutungen, wird aber auch oft als Metapher in der klassischen Mythologie verwendet. De Bruyckere entnahm den Titel „It Almost Seems A Lily“ dem Mythos von Apollo und Hyacinthus in Ovids „Metamorphosen“. Damit beschrieb der römische Dichter die purpurfarbene Blume, in die sich Hyacinthus nach seinem tragischen Tod verwandelte, als er von einem von Apollo geworfenen Diskus am Kopf getroffen wurde.
Wie ein Stillleben liegt das Fohlen in „Lost V“ (2021–2022) auf einem robusten Marmortisch. Zwischen dem zerbrechlichen Tier und dem kalten Stein liegt eine verwitterte Decke, die kaum Trost spendet. Das wehrlose Fohlen, teilweise inspiriert von dem ikonischen Gemälde „Agnus Dei“ (um 1635–1640) des spanischen Barockmalers Francisco de Zurbarán (→ Francisco de Zurbarán und Juan de Zurbarán), trägt noch die Erinnerung an das Leben in sich.
Dieser gedämpften Szene gegenüber steht „I am the tablet#8“, eine Wandskulptur des Künstlers Peter Buggenhout (*1963), dem Ehemann von De Bruyckere. Das Künstlerpaar verbindet die Verwendung eines Materials, das eine bemerkenswerte Dualität verkörpert: weißer Carrara-Marmor. Auf den ersten Blick scheint es sich um ein unzerstörbares Material zu handeln, doch das ist nur eine zerbrechliche Illusion. Temperaturschwankungen, eindringendes Wasser und der Lauf der Zeit haben den Stein spröde und porös gemacht. Das gemeinsame Interesse an diesem so genannten unbrauchbaren Marmor verrät etwas von der künstlerischen Intimität der beiden Künstler, die nicht nur im Leben, sondern auch in ihrer künstlerischen Praxis miteinander verbunden sind. Anders als „Lost V“ ist „I am the tablet#8“ kein Bild der Stille, sondern der Entfremdung, der Unruhe und der Entropie. Die gequetschten, armen Materialien, die aus der Marmoroberfläche wachsen, untergraben den Status dieses edlen Materials.
In dieser Galerie erklingt eine Beschwörungsformel der Musikerin und Dichterin Patti Smith (*1946). Ihre Stimme ist fast körperlich präsent und intoniert ein Werk, das De Bruyckere seit langem inspiriert. Wie De Bruyckere ist auch Smith empfänglich für die Schönheit und Zerbrechlichkeit der menschlichen Existenz und verwebt in ihren Texten verschiedene Bilder und Klänge aus der Geschichte. Der Autor Gary Carrion-Murayari beschreibt beide treffend als „Bildhauer der Erinnerung und der Zeit“. Smiths Text „The Woolgatherers“ (1992) ist eine zutiefst persönliche Erzählung voller Kindheitserinnerungen an rätselhafte Wollsammler, die ihren Lebensunterhalt damit verdienten, indem sie nachts Wollbüschel von Hecken und Büschen auf den Feldern sammelten. Dieses Sammeln von scheinbar Wertlosem fügt sich nahtlos in die künstlerische Praxis sowohl von Buggenhout als auch De Bruyckere ein.
„Arcangelo III (San Giorgio)“ (2023–2024) sowie „Need I“, „Need II“, „Need III“ und „Need IV“ (2023–2024) sind Werke, die De Bruyckere für ihre Ausstellung „City of Refuge III“ (2024) in der Abbazia di San Giorgio Maggiore im Rahmen der Biennale von Venedig 2024 geschaffen hat. Sie werden nun zum ersten Mal in Belgien gezeigt. Wie Pier Paolo Pasolini in „Teorema“ und „Il Vangelo Secundo di Matteo“ stellt De Bruyckere die Frage, was passiert, wenn das Göttliche ins Weltliche eintritt. Das Thema des Engels tauchte in ihrem Werk während der COVID-19-Pandemie als Metapher für die vielen Pflegekräfte auf, die die Kranken in der Quarantäne unterstützten. Inspiriert wurde sie von dem Werk „Cristo morto sorretto da un angelo [Der tote Christus, von einem Engel gestützt]“ (um 1502–1510), das bis vor kurzem dem italienischen Renaissancemaler Giorgione zugeschrieben wurde. Das Gemälde zeigt, wie ein Engel mit sanften Flügeln vergeblich versucht, den toten Christus mit seinen kleinen, zerbrechlichen Händen zu tragen.
De Bruyckeres Erzengel sind keine himmlischen Wesen, sondern zeugen von einer allzu menschlichen Verletzlichkeit. Der mysteriöse „Arcangelo“, introspektiv und unter einem Wachsabdruck aus Kuhhaut verborgen, balanciert auf seinem Sockel aus alten Brettern. Es ist gefangen in einem dynamischen Moment, der zwischen Aufsteigen und Fallen schwankt. Diese rätselhafte, hybride Figur, die auf den ersten Blick wenig mit dem archetypischen Erzengel zu tun hat, scheint sowohl Angst und Ehrfurcht als auch ein Versprechen von Trost und Erlösung hervorzurufen.
Die Wandvitrinen aus der Serie „Need“ wurden von der Buße des Heiligen Benedikt inspiriert, der sich nackt in einen Dornbusch warf, dargestellt in den Schnitzereien des flämischen Holzschnitzers Albert van den Brulle aus dem 16. Jahrhundert im Chor der Basilika San Giorgio Maggiore. Das trübe Glas der Vitrinen mildert etwas die Konfrontation mit den skulpturalen Arrangements aus spitzen Baumstümpfen, abgezogenen Häuten und verwundeten Gliedmaßen, die in Wachs gegossen sind.
Das Motiv des Baumes kehrt in den eindrucksvollen Kompositionen von „City of Refuge II“ und „City of Refuge III“ (2023–2024) wieder. Diese Werke sind Teil einer Installation vor Ort für die Sakristei von San Giorgio Maggiore. Während „San Sebastian“ (2019–2022) durch seine Ruhe und majestätische Vertikalität besticht, erinnern diese Arbeiten mit ihrem prekären Gleichgewicht eher an Trümmer. Die großen Baumfragmente aus Wachs liegen verstreut auf den von jahrelangem Gebrauch gezeichneten Metallschweißtischen und spielen auf die menschliche Schöpfung oder Reparatur an. Die Wahl der Materialien ist jedoch irreführend, da die Künstlerin absichtlich das Natürliche mit dem Künstlichen, das Organische mit dem vom Menschen Geschaffenen verwechselt. Handelt es sich um eine postapokalyptische Szene nach einer Umweltkatastrophe? Die menschliche Hand, die die Wunden des Heiligen Sebastian verbindet, fehlt hier spürbar.
Der Titel „City of Refuge“, der einem Song von Nick Cave (2005) entnommen ist, verweist auch auf die sechs biblischen Zufluchtsorte, an die sich Menschen, die einen Mitmenschen getötet hatten, flüchten konnten, um vor Verfolgung sicher zu sein, während sie auf ihren Prozess warteten. Für De Bruyckere bezeichnet „City of Refuge“ den Ausstellungsort als Zufluchtsort, als sicheren Hafen, der Schutz vor der Gewalt der Außenwelt bietet.
Berlinde De Bruyckere greift in ihrer Arbeit immer wieder auf andere Disziplinen wie Tanz und Oper zurück. So schuf sie 2015 das Bühnenbild für „Penthesilea“, eine Oper von Pascal Dusapin für das Brüsseler Opernhaus De Munt/La Monnaie.1 Eros und Thanatos sind auch zentrale Motive in De Bruyckeres Werk. Ihre monumentalen „Penthesilea“-Skulpturen verkörpern diese Gegensätze: Die weiche Haut, die sich über die phallischen Säulen ausbreitet, ist verletzlich und zugleich ausgesprochen sexuell.
Seit 2014 spielen Wachsabdrücke von Tierhäuten eine wichtige Rolle in De Bruyckeres Werk. Bei einem Pelzhändler in Anderlecht sah sie, wie die Häute geschlachteter Tiere für die Gerberei vorbereitet wurden: Sie wurden begutachtet, aufgehängt, etikettiert und mit fast rituellen Gesten gesalzen, um sie haltbar zu machen. Für die Künstlerin war dies eine sehr eindringliche und zwiespältige Erfahrung:
„Nirgendwo sonst habe ich Leben und Tod so hautnah erlebt wie hier.“
De Bruyckere besuchte den Pelzhändler mehrmals, oft in Begleitung der Fotografin und Videofilmerin Mirjam Devriendt, mit der sie seit vielen Jahren eng verbunden ist. Für diese In-situ-Installation hat Devriendt mit „Sequence III“ (2015–2025) eine außergewöhnliche Bildkomposition geschaffen, die das intensive Erlebnis der Fellpräparation in eine kraftvolle filmische Impression übersetzt.
Die Arbeiten in diesem Raum, darunter „Stamen“ (2017–2018) und „Lingam II“ (2012), kreisen um den Eros und sind das Ergebnis mehrerer Dialoge. Ein neuer Dialog konzentriert sich auf traditionelle Lingam-Skulpturen, die ihren Ursprung in der hinduistischen Tradition haben und mit der Verehrung Shivas in Verbindung stehen. Ihre zylindrische Form wird normalerweise als phallisch Interpretiert und oft auf die Yoni gesetzt, eine horizontale, scheibenförmige Basis, die Ähnlichkeiten mit dem weiblichen Geschlecht aufweist. Berlinde De Bruyckere ließ sich von diesen Kultgegenständen und den damit verbundenen Ritualen inspirieren, die sie auf ihren Reisen durch Indien entdeckte.
Während der Verehrung werden die Lingams mit Wasser oder Milch übergossen und anschließend mit Blumen bedeckt; für De Bruyckere eine sehr körperliche und mitreißende Erfahrung von Religion und Spiritualität, aufgeladen mit Symbolik, die auf Sexualität und kreatives Potenzial verweist. All dies steht in starkem Kontrast zu den christlichen Ritualen, mit denen die Künstlerin besser vertraut ist. Hier lässt sich de Bruyckeres Interesse an Religion und Ritual am besten verorten: als kulturelle Bezugspunkte, als orts- und zeitspezifische Formen der Auseinandersetzung mit den universellen Fragen von Leben und Tod.
Ihre Skulpturen wie „Stamen“ (2017–2018) und „Lingam II“ (2012) spiegeln die Vielfalt der Formen wider, die Lingams annehmen können. Die ausgesprochen phallischen Lingams sind irgendwo zwischen dem Geologischen und dem Organischen angesiedelt und erzählen sowohl von flüchtigen als auch von ewigen erotischen Erfahrungen. Indem De Bruyckere Glaskuppeln verwendet, in denen früher religiöse Wachsstatuen untergebracht waren, konfrontiert De Bruyckere die vom Lingam ausgehende Kraft mit der frommen Bescheidenheit der christlichen Kultur.
Zeichnungen wie „Poire d’amour“ oder „Lelie“ (alle 2017) sind das Ergebnis einer Zusammenarbeit mit Dr. Guy Bronselaer im Rahmen seiner Doktorarbeit an der Universität Gent über Genitalanatomie und Sensibilität nach der Beschneidung. Aus diesem Dialog entstand eine Reihe erotischer Zeichnungen, in denen De Bruyckere Genitalien umgestaltet und mit organischen Formen wie Früchten und welkenden Lilien kombiniert.
Lucas Cranach der Ältere (1472–1553) und der Filmregisseur Pier Paolo Pasolini (1922–1975) gehören zu den berühmten „Gesangspartnern“ De Bruyckeres in „Khorós“. Cranach malte mehrere Versionen der Salome mit dem Haupt Johannes des Täufers, in denen sich Sinnlichkeit, Macht und religiöse Symbolik vereinen. Im BOZAR ist das Werk aus dem Szépművészeti Múzeum in Budapest (Inv. 145) zu sehen. Der grausame abgeschlagene Kopf steht in scharfem Kontrast zu Salomes Schönheit, ihrer Leidenschaftslosigkeit und ihrem luxuriösen Kleid. Diese radikale Kombination von Gewalt und Schönheit ist auch ein häufiges Merkmal in De Bruyckeres Werk.
Wie Berlinde De Bruyckere nutzte auch Pasolini die Bildsprache und die künstlerischen Strategien der Maler der Vergangenheit, um geistige und körperliche Realitäten darzustellen. In seinen Filmen zeigt er den Körper oft als Arena widersprüchlicher Konflikte und Triebe. Die Pasolini gewidmete Skulptur „Into One-another I, to P.P.P.“ (2010–2011) zeigt zwei ineinander verschlungene menschliche Körper in einem unmöglichen Duell zwischen Zerrissenheit und Symbiose. Im Zentrum der Arbeiten aller drei Künstler - Cranach, Pasolini und De Bruyckere - steht die Darstellung des Körpers und seine Infragestellung als existenzieller Zustand an der Schwelle zwischen Kunst und Leben.
Die Skulpturen von Berlinde De Bruyckere wirken oft wie Gemälde. Inspiriert von der transparenten Darstellung der Haut auf den Gemälden Lucas Cranachs hat sie im Laufe der Jahre eine eigene Technik entwickelt, bei der mehrere Schichten Wachs in einer Silikonform übereinander aufgetragen werden. Die ersten farbigen Schichten verleihen dem aus der Form austretenden Material eine komplexe, marmorierte Hauttextur, während die folgenden Schichten das Ganze in eine manipulierbare Masse verwandeln.
Eine andere Technik wandte De Bruyckere bei der Skulptur „Fran Dics“ (2001) an, ihrer ältesten Arbeit in dieser Ausstellung. Sie goss heißes Wachs in eine bestehende Polyesterform. Die raue Haut trägt zum rohen Erscheinungsbild dieser Figur bei, deren Gesicht unter einer Kaskade von Pferdehaaren verborgen ist und die zwischen Mensch und Tier changiert. Mit den Füßen fest auf dem Boden stehend, ohne Sockel oder heroische Anziehungskraft, beeindruckt „Fran Dics“ durch ihre physische Präsenz. Um die Skulptur herum sind De Bruyckeres neueste Arbeiten zu sehen, die eigens für die Ausstellung geschaffen wurden: eine Serie von Collagen und zwei Wandskulpturen.
Die Wandskulpturen, Assemblagen aus fragilen Papierfetzen, Seidentüchern und goldfarbenen Schlaufen mit Messingnägeln, die auf einem Sockel aus gehärtetem Bodenbelag befestigt sind, wirken verwaist, wie leere Vitrinen, in denen einst Kostbarkeiten aufbewahrt und ausgestellt wurden. Sie erzählen von Verlust und Gewalt.
Der letzte Ausstellungsraum, der zugleich Prolog und Epilog der Ausstellung ist, ist voller vielsagender Titel: „Lost I“ (2006), „Invisible Love“ (2011) und „Invisible Beauty“ (2011). Die Skulpturen hängen hier schutzlos, ihre Verletzlichkeit wird ins Monumentale gesteigert. Das Pferd ist seit mehr als 20 Jahren ein zentrales Motiv in De Bruyckeres Werk, als sie Fotografien von Pferdekadavern aus dem Ersten Weltkrieg entdeckte. Ihr totes Pferd in „Lost“ hängt an einem einzigen Bein hilflos und ausgeweidet wie am Galgen.
Die Wachsskulpturen „Invisible Love“ (2011) und „Invisible Beauty“ (2011) sind mit ihren verdrehten Körpern, die von Pferdezügeln und Pferdehaaren umschlungen werden, ein offensichtlicher Verweis auf die Kreuzigung, wenn auch jenseits der christlichen Konnotation. Diese Skulpturen sind Monumente des Leidens und des Verlustes. Ohne Gesicht verlieren die Körper ihre Individualität. Daher ist es ihre Körperlichkeit, ihre Fragmentierung, die universelle, zutiefst menschliche Emotionen vermittelt.
Eine ähnliche Strategie findet man in den Filmen von Pier Paolo Pasolini. Der Regisseur betrachtete seine Schauspieler:innen in erster Linie als Körper: Körper, die eine Sprache manifestieren, die verkörpern, was vermittelt werden soll, was wesentlich ist. Ebenso sind De Bruyckeres Skulpturen Archetypen, die außerhalb der Zeit zu stehen scheinen. Es ist diese Zeitlosigkeit, die sie an Pasolinis Filmen fasziniert, von den Schauplätzen über die Landschaften bis hin zu den Kostümen.
„Alles, was wir sehen, ist gelebt, unsterblich und vibriert vom Aufruhr des Politischen, des Erotischen und des Existenziellen.“ (Berlinde De Bruyckere)