Der amerikanische Fotograf Lewis Baltz (Newport Beach 12.9.1945–22.11.2014 Paris) verband zwischen 1967 und 1989 präzise Schwarz-Weiß Fotografie mit minimalistischem Zugang. Er stellte dem Wirtschaftsaufschwung, der Technologiegläubigkeit der „Roaring Sixties“ und der farbenfrohen Pop-Art düstere Bilder von urbanen Peripherien entgegen. Mit wenigen Ausnahmen sind sie menschenleer.1 Die teils neu errichteten Gebäude wirken trostlos, als würden sie bereits wieder verfallen. Wie „frische Ruinen“ lichtete der ausgebildete Fototechniker Baltz sie in strengen Kompositionen ab, wobei er Tiefenzug und Schattenwirkungen möglichst ausschaltete, die horizontalen und vertikalen Linien betonte. Die kontrastreichen schwarz-weiß Aufnahmen und die Bildausschnitte machen aus den frisch gestrichenen Wänden, den Reklameschildern, den Hausecken fast abstrakte Formen.
Österreich / Wien: Albertina
1.3. - 2.6.2013
Obwohl sich Konzeptkünstler rund um Lewis Baltz – wie Robert Smithson – viel mit dem Thema Landschaft beschäftigten, handelt es sich dabei nicht um den Ausdruck einer Naturliebe oder gar eines ökologischen Bewusstseins. Die wüstenhafte Landschaft und vor allem die gebauten Häuser darin stehen in den Werken von Lewis Baltz als Stellvertreter der Menschen. Suburbs und einsame Landstraßen sind Symbole einer amerikanischen Gesellschaft, die sich bislang in den heroischen Landschaftsfotografien von Ansel Adams widergespiegelt sehen wollte. Die 1975 in der heute berühmten Ausstellung „New Topographics“ präsentierten Aufnahmen wollte Mitte der 70er auch kein Kritiker positiv besprechen.
Ohne vordergründig erzählerisch sein zu wollen, erzählt Lewis Baltz aus heutiger Perspektive viel. Man könnte die Häuser mit dem Wunsch nach einem Eigenheim und der Modernisierung des Landlebens verbinden, aber auch Profitgier von Immobilienentwicklern und der Immobilienblase, mit der Verstädterung unberührter Landstriche oder dem Wissen um knapp werdende Ressourcen. Der Wohlstand der Nachkriegsgeneration kippt in eine Angstvision von überbordendem Kommerz, glatten Oberflächen und schlussendlich Einsamkeit. Getreu dem Motto, so wie man den öffentlichen Raum verbaut, so lebt man?
Die einzelne Aufnahme, und das wird durch die Hängung der Ausstellung sofort deutlich, ist für Lewis Baltz kein an und für sich wichtiges Zeitdokument. Vielmehr geht es dem Fotokünstler in den seriellen Arbeiten um formale Entsprechungen, Spannungen und Harmonien, die sich erst in der Zusammenschau vieler Bilder an der Wand ergeben. Die Präsentation der Werke als Cluster wie auch der Einsatz einer Rasterstruktur verbindet nicht nur die einzelnen Aufnahmen miteinander, sondern generall das Werk von Lewis Baltz mit Überlegungen der Minimalisten wie Donald Judd und der seriellen Fotografie von Bernd und Hilla Becher. Der Raster brachte für sie „das Chaos in Ordnung“2 meinte Hilla Becher bei der begleitenden Podiumsdiskussion.Gleichzeitig bewegt sich Lewis Baltz in seinen Serien höchst überlegt durch Landschaften, beginnt wie in „Park City“ (1978-1980) mit einem Überblick und nähert sich der riesigen Baustelle bedächtig aber sukzessive an. Solange bis er auf herunterhängende Kabel, Bauschutt, Staub und Verpackungsmaterial stößt. Immer wieder ziehen ihn aber die in die Mauern geschnittenen Türen und Kamine an, deren geometrische Perfektion die Glätte der fertigen Wohnsiedlung erahnen lässt.
Lewis Baltz sprengt die klassischen Genres Dokumentations- und Architekturfotografie, wenn eine Serie wie „Candlestick Point“ (1987-1989) an der Wand mit „Löchern“ inszeniert wird. Das Abschreiten wird zu einer nahezu „filmischen Erfahrung“ (Walter Moser), denn die Abfolge von Bildern löst neue Bilder in den Betrachter_innen aus, um die Lücken zu schließen.
Keine der Fotografien wurde in der Dunkelkammer beschnitten, der Sucher seiner 35mm Leica-Kamera und der Kader des analogen Filmes definieren das zu füllende Bildfeld. Um die einzelne Fotografie in ihrer Objekthaftigkeit zu betonen, färbt Lewis Baltz die Kanten mit schwarzer Tinte ein und klebt sie auf eine Montierung wie beispielsweise bei genauer Betrachtung von „The Tract Houses“ (1969-1971) schnell klar wird. Obwohl sich dieser subtile Eingriff nicht aufdrängt und man ihn deshalb nicht bewusst wahrnimmt, heben sich die Fotografien dadurch vom weißen Grund ab und werden in ihrer Dreidimensionalität - eigentlich in ihrer faktischen Tiefe - betont. Baltz` Beschäftigung mit der Körperlichkeit der Fotografie als Objekt, mit Rhythmus und Struktur lässt sich mit der zeitgleichen Objektkunst von Donald Judd vergleichen. Daher befindet sich in der Ausstellung eine graue, schachtelartige Skulptur von Judd, deren blockhaftes, geschlossenes Äußeres mit einer rhythmischen Innengliederung kontrastiert wird.
Etwa zeitgleich mit dem „Tod des Autors“ (Roland Barthes und Umberto Eco), demzufolge ein Kunstwerks durch die Betrachter_innen vervollständigt wird, entwickelte Lewis Baltz eine Fotosprache, die scheinbar ohne subjektiven Autor auskommt. Die Bilder sollen wie von einer Maschine gemacht wirken, scheinbar antriebslos. Die frontale Ansicht suggeriert wie auch die „fehlende“ Erzählung in den Bildern eine zufällige Auswahl der Ausschnitte.
Wenn auch die Albertina-Ausstellung „Lewis Baltz“ das Spätwerk ausklammert, so ist in diesem Zusammenhang wichtig, dass ab 1989 Baltz nicht mehr selbst fotografiert und nun meist Bilder aus Überwachungskameras nutzt. Der Fotograf ist nun tatsächlich verschwunden und hat den Maschinen das Feld der Produktion überlassen. Der Künstler wählt aus, macht sichtbar und sprengt mit seinen installativen Arbeiten so manchen Rahmen einer Ausstellung.
Der amerikanische Fotograf wird – trotz monografischem Titel – von Fotokurator Walter Moser nicht als Solitär präsentiert. Stattdessen finden sich Zeitgenossen und Weggefährten wie die Bechers, Robert Smithson, Michelangelo Antonioni, Stephen Shore und Donald Judd mit je einer Arbeit vertreten. Seite an Seite harmonieren die Werke in einer fast beängstigenden Weise. Lewis Baltz` konzeptuelle Fotografie fügt sich mit ihrem strengen Formalismus wunderbar in die Diskussion um Minimal, der Aussagekraft und den Stellenwert der künstlerischen Fotografie ein. Die Konsequenz, mit der Lewis Baltz seinen anfangs eingeschlagenen Weg der Präzision und Konzeption geht, ist bemerkenswert. So endet die Schau zeitlich mit der Serie „89/91 Sites of Technology“ (1989-1991) und bringt einen Ausblick auf das Spätwerk: unscharfe Fotografien von Überwachungskameras erstmals in Kombination mit farbigen Aufnahmen von Forschungs- und Hochtechnologieräumen. Sie wirken manchmal mehr wie Aufnahmen von Modellen und erinnern an Arbeiten von Thomas Demand und Thomas Struth. Der Einfluss, den Lewis Baltz auf die Becher-Schule in den 70ern ausübte (Hilla Becher), führt um 1990 zu einer ähnlichen gespenstischen Stille in ihren Werken.