Die allerorts zu beobachtende Popularität von Kochen und Essen in den Medien findet in Ausstellung und Katalogpublikation „Augenschmaus – vom Essen im Stillleben“ eine ergötzliche visuelle Entsprechung. Bilder, wie z. B. dem Küchenstillleben des Meisters des Amsterdamer Bodegón belegen einerseits eine verfeinerte Geschmackskultur seit dem 16. Jahrhundert, Stillleben zeigen andererseits aber auch grundlegende Veränderungen von Kultur und Mentalität quer durch die letzten fünf Jahrhunderte. Die Schau im Wiener Kunstforum spannt einen außergewöhnlich weiten Bogen von den frühesten Darstellungen von Essen im 15. Jahrhundert bis zu jüngeren Arbeiten von Maria Lassnig (* 1919), Andy Warhol (1928-1987) und Zoe Leonard (* 1961).
Österreich | Wien: Bank Austria Kunstforum
10.2. | 30.5.2010
Stillleben des Manierismus und des Barock, wie u.a. bei Giuseppe Arcimboldo (um 1526-1593) oder Justus Junker (1703-1767) nachprüfbar, sind Belege für radikalen Illusionismus. Über malerische Raffinesse hinaus ermöglicht das Sujet ein Experimentieren mit malerischen und künstlerischen Positionen. Die Bilder des Mailänder Arcimboldo gelten heute als Inbegriff des spielerischen und gleichermaßen symbolischen Stilllebens. Ein Gemüsearrangement erweist sich auf den Kopf gestellt als „Porträt“ des Gärtners (um 1590). Justus Juncker hingegen konzentrierte sich auf vereinzelt dargestellte Dinge. In augentäuschender Wiedergabe unterschiedlichster Oberflächen, im genauen Beobachten von Insekten konkurriert Juncker mit dem antiken Maler Xeuxis und verweist gleichzeitig auf die Vergänglichkeit allen Lebens.
Bereits im Impressionismus werden Stillleben kaum mehr mit Symbolgehalt aufgeladen. Stattdessen verleihen wenige, lakonische Pinselstriche und überlegt gesetzte Farben dem Essen eine unglaubliche Präsenz im Bild. Paul Cézanne (1839-1906) und im Anschluss Pablo Picasso (1881-1973 → Picasso. Malen gegen die Zeit) nutzen zeitlebens Stillleben als Experimentierfelder künstlerischen Ausdrucks. Während deren Essensdarstellungen vornehmlich als Anlässe für formale Untersuchungen verstanden werden (Reduktion des Gegenständlichen auf geometrische Grundformen, Tendenz zur Fragmentierung des Bildraumes, Mehransichtigkeit der Objekte), ist es für Maria Lassnig charakteristisch, sich selbst symbolisch mit ins Bild zu nehmen. Das 1969 entstandene „Stillleben mit rotem Selbstporträt“ verweist auf den traditionell weiblich aufgefassten Bereich von Küche und Herd. Vor allem während der 1960er und 1970er Jahre nutzten Künstlerinnen Darstellungen von Nahrungszubereitung, um herrschende Geschlechterverhältnisse aufzudecken und zu verändern. Im Gegensatz dazu erkannte Andy Warhol in der Konservendose einen Mentalitätswandel – hin zum vorgefertigten Essen als Konsumgut. Wenn Zoe Leonard die Schalen von Früchten trocknet, mit Wachs und Plastik füllt und dann deutlich sichtbar wieder zusammennäht, dann sind diese „still gelegten“ Objekte erneut Symbole für die Fragilität und Vergänglichkeit menschlichen Lebens.
Die abwechslungsreiche Ausstellung ist noch bis zum 30. Mai 2010 im Bank Austria Kunstforum in Wien zu sehen. Der im Prestel Verlag erschienene Katalog führt nicht nur Essays von Heike Eipeldauer, Norman Bryson, Kenneth Bendiner, Robert Pfaller und Gabriele Sorgo zusammen, sondern ergänzt die Stillleben durch Rezepte berühmter Köche wie u.a. Eckart Witzigmann und Christian Petz (248 Seiten, 144 farbige Abbildungen, 4 s/w Abbildungen, ISBN: 978-3-7913-5016-5, € 41,10 (UVP)).