Otto Piene (1928–2014) verfolgte, so Sandra Beate Reimann und Lauren Elizabeth Hanson, mit seiner Kunst hochgesteckte Ziele: Nicht nur erweiterte er seinen künstlerischen Schaffensbereich mit schwebender Sky Art und medialen Projektionen buchstäblich bis in den Himmel; auch sollten seine Werke einen Beitrag zu einer harmonischeren, friedlicheren und nachhaltigeren Welt leisten.1
„Ja, ich träume von einer besseren Welt. Sollte ich von einer schlechteren träumen? Ja, ich wünsche eine weitere Welt. Sollte ich mir eine engere wünschen?“2 (Otto Piene, Wege zum Paradies, in: ZERO 3, 1961)
Schweiz | Basel: Museum Tinguely
7.2. – 12.5.2024
Ottoe Pienes Werk steht heute stellvertretend für die Nachkriegsgeneration in Westeuropa. Von 1957 bis 1966 prägte der in Düsseldorf ausgebildete Künstler ein neues Kunstverständnis, das sich von der Nachkriegsabstraktion distanzierte (→ Abstrakter Expressionismus | Informel). ZERO - die Stunde Null - steht in Europa für abstrakte, kinetische Kunst und internationale Vernetzung. Piene und Heinz Mack begründeten die Avantgarde, der sich kurze Zeit später auch Günter Uecker anschloss. Pienes Kunst - Rasterbilder, Zeichnungen mit Rauch durch perforierte Metallbleche sowie seine Lichtballette - wurde rasch in den USA wahrgenommen und ausgestellt. In den 1960ern übersiedelte er in die Staaten und lehrte am Center for Advanced Visual Studies (CAVS) am Massachusetts Institute of Technology (MIT). Pienes immersive Installationen sowie seine innovativen Experimente mit Fernsehen und Lichtprojektion verbanden Bewegung, Licht und Raum zu neuartigen Erfahrungsräumen. Am MIT entwickelte Piene rasch die Sky Art, fliegende, fast schwerelose Objekte.
Das Museum Tinguely in Basel präsentiert eine umfassende Ausstellung, in der Werke aus den beiden Werkphasen gegenüberstellt. Werke unterschiedlicher medialer Gattungen, wie kinetische Skulptur, Film, Malerei oder Performance stehen über Pienes Praxis des Zeichnens und Skizzierens miteinander im Dialog. Auf diese Weise verbinden sich Pienes Skizzenbücher mit seinen Bildern, der Sky Art, den technikbasierten Arbeiten.
Die Ausstellung zeigt die Bedeutung von Zeichnen und Entwerfen im engen als auch in einem weiteren Sinn in Pienes Œuvre über die Mediengrenzen hinweg auf − beispielsweise, wenn er mit Rauch und Licht oder gar mit aufblasbaren Plastiken Formen in den Himmel zeichnete. Piene skizzierte in den traditionell dafür vorgesehenen Medien wie etwa in seinen Skizzenbüchern, die er stets zur Hand hatte, experimentierte aber auch mit damals völlig neuen und innovativen Technologien wie Fernsehübertragungen, Dia-Projektionen bis hin zu Lasern. «Entwerfen» steht darüber hinaus auch für das Potenzial, das Piene seiner Kunst zuschrieb: zur Entwicklung der Gesellschaft beizutragen, die Trennung zwischen Kunst und Technologie zu überwinden, ökologischen Verwerfungen zu begegnen und vor allem einen Beitrag zu einer friedvolleren, von der Kunst geeinten Welt zu leisten.
Die thematisch strukturierte Ausstellung leitet die Betrachter:innen quer durch Pienes Schaffen der zweiten Hälfte des 20. bis hinein ins 21. Jahrhundert. Mit Displays, die Skulpturen, Gemälde, Zeichnungen und Archivmaterial (Fotografien und Videos, Dokumente) kombinieren, werden die zentralen Themenbereiche des Künstlers über die verschiedenen Medien und kreativen Phasen hinweg präsentiert. Des Weiteren bietet Wege zum Paradies mehrere Ausstellungssäle, in denen Lichtprojektionen oder Installationen mit Inflatables das Publikum dazu einladen, seine Kunst räumlich und körperlich zu erfahren. Die Kapitel der Ausstellung entfalten sich in einer Abfolge von elf Räumen, die in puncto Dichte und Atmosphäre variieren und von spannungsgeladenen dunklen Black Boxes zu lichtdurchfluten, luftigen Sälen reichen. Präsentationen in White Cube-Räumen wechseln sich mit immersiven optischen, kinetischen und skulptural-installativen Erfahrungen ab.
„Aber das Helle allein zu lobpreisen, scheint mir nicht mehr genug. Ich gehe das Dunkel selber an, ich durchleuchte es, ich mache es durchsichtig, ich nehme ihm seinen Schrecken, ich mache es zu einem Volumen von Kraft, bewegt von Atem wie mein Körper und ich nehme Rauch, damit es fliegen kann.“ (tto Piene, Wege zum Paradies, in: ZERO 3, 1961)
Entlang dieser variierenden Räume betont die Ausstellung Pienes künstlerischen Anspruch, über Medien hinweg zu denken und seine kreative Tätigkeit als „Wege zum Paradies“ zu verstehen. Ein besonderer Schwerpunkt der Schau liegt auf Werken der späten 1960er, frühen 1970er Jahre, als Piene von Zero zur Sky Art überging und zwischen den USA und Westdeutschland pendelte. Hierzu zählen die frühen, zentralen immersiven Installationen („The Proliferation of the Sun“, 1967; „Fleurs du Mal“, 1969), aber auch seine innovativen Experimente mit Fernsehen und Lichtprojektion („Black Gate Cologne“, 1968; „The Medium Is the Medium“, 1969; „Lichtspur im Haus der Sonne“, 1974). Wenig beachtete Werke und neuere Archivfunde (bspw. eine Dokumentation früher Versionen von „The Proliferation of the Sun“) sind, neben selten zu sehenden Arbeiten, ebenso vertreten. Ausserdem wird die Ausstellung mehreren Werken erneut Atem einhauchen, die seit ihrer erstmaligen Präsentation lange nicht mehr gezeigt wurden (bspw. „Anemones: An Air Aquarium, Creative Time“, New York, 1976; „Windsock Sculptures“, MIT, 1969−1970). Mit dem verfolgten transmedialen Ansatz wird Wege zum Paradies ein komplexeres Verständnis von Pienes Werk und seinen Beiträgen zur Kunst des 20. Jahrhunderts ermöglichen. Unser kuratorischer Ansatz betont, wie relevant und beeindruckend gerade heute Pienes wegweisende Strategien des Kombinierens von Kunst mit Technologie und eines öffentlichen, sozialen und umweltbezogenen Potenzials der Kunst sind.
Kuratiert von Lauren Hanson, Assistenzkuratorin für Moderne Kunst am Los Angeles County Museum of Art.
Museum Tinguely (Hg.)
mit Beiträgen von M. Hale, L. Hanson, B. Könches, S. B. Reimann und T. Rivers Ryan
mit einem Text von Otto Piene
288 Seiten, 296 Farb-Abbildungen, 23 × 29 cm, gebunden
Schutzumschlag aus Transparentpapier
ISBN 978-3-7774-4253-2 (Deutsch / Englisch)
HIRMER VERLAG