Die Kunstsammlung NRW schreibt noch bis 15. Jänner 2012 den kunsthistorischen Kanon der 1920er und 1930er Jahre um, indem sie acht Künstlerinnen besonders in den Blickpunkt nimmt. Sophie Taeuber-Arp, Sonia Delaunay (→ Sonia Delaunay. Malerei, Design und Mode), Hannah Höch, Florence Henri, Claude Cahun, Dora Maar, Katarzyna Kobro und Germaine Dulac werden in ausführlichen Biographien im Anhang (S. 262–286) und – mit Ausnahme Dulacs – im begleitenden Katalog in spannenden Texten vorgestellt. Die AutorInnen erzählen ein Kapitel europäischer Kunstgeschichte neu und bringen damit eine vergessene Facette in Erinnerung: Die Avantgarde wurde nicht nur von Künstlern erfunden, sondern in der Diskussion mit Künstlerinnen vorangetrieben.
Deutschland | Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen
22.10.2011 - 15.1.2012
Die AutorInnen untersuchen immer die Biografien von zwei Künstlerinnen im Kontrast zueinander oder einander „ergänzend“. Die Gegenüberstellungen glücken aufgrund fehlender Vergleichsmöglichkeiten nicht immer: Bei Katarzyna Kobro wurde gänzlich darauf verzichtet; die anderen standen einander wenig freundschaftlich gegenüber, dafür befanden auch sie sich deutlich im Wettbewerb gegeneinander. Dennoch gelingt es, nicht nur die vielfältigen Verbindungen zwischen den ProtagonistInnen aufzuzeigen („ein flirrendes Netz über die Zentren der Avantgarde“, S. 9), sondern auch die Voraussetzungen für deren Erfolg festzumachen. Ein Ergebnis ist sicherlich, dass es für Künstlerinnen keinen „Königsweg“ gab, sondern Wandlungsbereitschaft, Kontaktpflege, daher auch Kommunikation, Mobilität und Unabhängigkeit für Wirkung und Rezeption der künstlerischen Werke entscheidende Voraussetzungen waren. Es verwundert daher kaum, dass nahezu alle Künstlerinnen aus gehobenen Verhältnissen stammten und sich ein bohemienhaftes Leben auch finanziell leisten konnten.
Der Titel von Ausstellung und Katalog „Die andere Seite des Mondes“ bezieht sich auf die Unsichtbarkeit der Werke dieser Künstlerinnen. Während ihre Ehemänner und Freunde bereits seit Jahrzehnten als Protagonisten von Orphismus, Dadaismus, Konstruktivismus sowie Surrealismus gelten, wurde die Kunst von Frauen aber auch ihre Themenführerschaft marginalisiert bzw. ausgeblendet. Die wissenschaftliche Erforschung der Kunst von Frauen hat zwar bereits in den 70er Jahren eingesetzt, Anfang des 21. Jahrhunderts finden die Ergebnisse nun zunehmend Eingang in Museen und Ausstellungen.
Die ganzseitigen Werkabbildungen in hervorragender Qualität stellen die Künstlerinnen einzeln vor, die Texte stellen sie einander gegenüber. Der Katalog – ob im Ganzen gelesen oder stückchenweise genossen – verbindet Biographisches mit kunsttheoretischen Basisinformationen und ist daher eine Empfehlung wert!
Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Susanne Meyer-Büser (Hg.)
288 Seiten, 27,0 x 23,0 cm, Hardcover
39,95 € [D] / 53,90 sFr. /
ISBN 978-3-8321-9391-1
DuMont Buchverlag