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Alfred Hrdlicka. Der Titan Der Titan und die Bühne des Lebens

Hrdlicka, Atelier, Juni 2008; Foto: © Markus Krottendorfer.

Hrdlicka, Atelier, Juni 2008; Foto: © Markus Krottendorfer.

Das Künstlerhaus widmet dem Bildhauer Alfred Hrdlicka zu dessen 80. Geburtstag keine Retrospektive, sondern wagt einen neuen Blick auf das Gesamtwerk des 1928 geborenen Wieners. Nicht Steine oder Bronzen, wie manch einer erwarten würde, sondern Zeichnungen und Drucke sind die Protagonisten der Schau. Aus der Not wurde eine Tugend, hatte die ursprüngliche Konzeption doch eine Übernahme einer Ausstellung der deutschen Sammlung Würth vorgesehen. Deren Verlängerung machte einen Kunstgriff nötig, nach einem Atelierbesuch war die Lösung gefunden: Noch nie waren die Bühnenbilder Hrdlickas gezeigt worden. Nun sind sie im Erdgeschoss des Künstlerhauses erstmals in nahezu musealer Präsentation zu bewundern.

Hrdlicka und die Bühne

Die Beziehung von Alfred Hrdlicka zur Bühne ist eine sehr intensive und dramatische. So erlebte er den ersten Luftangriff auf Wien (1944) in der Statistenrolle eines Thronwächters in „Turandot“. Musik und Schauspiel faszinierten den Bildhauer bereits, als er sich noch zum Zahntechniker ausbilden ließ (1942-1945). Das Drama des menschlichen Lebens sollte ihn nicht mehr loslassen und bestimmt seither sein künstlerisches Agieren. Die Figuration – sowohl in der Grafik wie auch der Skulptur – schien ihm die aussagekräftigste Kunstsprache zu sein. Diese „klassische“ Position entwickelt sich nicht nur an der Figur, sondern war auch stets dem Inhalt verpflichtet. Hrdlicka selbst beschrieb die Körperlichkeit seiner Werke mit den Worten: „Alle Macht der Kunst geht vom Fleisch aus!“

Aus künstlerischer wie auch politischer Überzeugung entstand in den letzten 45 Jahren ein Werk, in dessen Zentrum der Mensch steht. Und so wie auf der Bühne keine alltäglichen Biographien gezeigt werden, so schuf Hrdlicka keine Illustrationen, schilderte nicht Erlebtes, sondern verdichtete seine Erfahrungen in Körpern, ließ sie leiden und lieben, hassen und kopulieren. Die Oper war für Hrdlicka ein Zufluchtsort im Krieg, seine tiefe Verbundenheit mit der Bühne entsprang keiner Attitüde sondern persönlichem Erleben.

Hrdlicka und das „Theater des Lebens“

Das „Theater des Lebens“, die „commedie humaine“, inspirierte Alfred Hrdlicka zu seinen oftmals verstörenden Arbeiten, besser zwang ihn, sich mit dem Menschen, seinen Schwächen, seinen Lastern und seiner Lust auseinanderzusetzen. Nicht leichtfüßige Komödien, schnell hingeworfene Luststücke sind es, die uns begegnen, sondern des Menschen wahrer Kern: vollkommen enthemmt erotisch und gewalttätig. Meist treten beide gepaart auf, sind untrennbar miteinander verbunden zu „sex and crime“ oder besser zum archetypischen Eros und Thanatos. Sexualität wird niemals nüchtern abgehandelt, sondern als Droge, als Mittel der Unterdrückung und der Machtausübung, als Gewerbe aber auch als Last. Sie wird nicht versteckt, sondern ist ein dominanter Faktor im menschlichen Zusammenleben. So kann man in Hrdlickas Fall kaum von einer Komödie wohl eher vom Drama und von der Tragödie sprechen. Diese, so meint er, seien das Kernstück aller seiner Reflexionen.

Hrdlicka und die Kunst des Bühnenbildes

Die allein schon durch ihre Größe beeindruckenden Bühnenprospekte für Goethes „Faust I+II“ (Bonn 1982) sowie Luigi Nonos „Intolleranza 1960“ (Stuttgart 1992) und die Werkskizzen zu Wagners „Ring der Nibelungen“ (Meiningen 2001) bilden den Kern der Ausstellung im Künstlerhaus. Erstmals sind sie hier einem breiten Wiener Publikum zugänglich, und erstmals wird dadurch der Maler und Zeichner Hrdlicka erfahrbar.

Hrdlicka meinte über seine Arbeitsweise, dass er seine Werke immer aus der Tätigkeit entwickle. Ihn würde nicht die Diskussion, das theoretische Abhandeln reizen, sondern die manuelle Fertigung. So scheint es fast logisch, dass die Inhalte der Bühnenbilder keine landschaftlichen Prospekte darstellen, vor denen die Handlung seinen Lauf nimmt, dass er nicht nur Räume für Schauspieler imaginiert. Viel mehr sind seine Bühnenbilder eigenständige Umsetzungen und Interpretationen der Stoffe, parallele Handlungen zum Schauspiel auf der Bühne davor, ein Kommentar aus dem Off.

In der Umsetzung der „Nibelungen“ schlüpft der Bildhauer in alle möglichen Rollen. Hagen von Tronje wird zu „Tronje von Hrdlicka“, er ist aber auch der Drache, der Krimhild entführt und sich an ihr vergeht, als Kröten-Alberich wird er von den Rheintöchtern verspottet. Die unterschiedlichen männlichen Charaktere der Erzählung verschmelzen zu den Facetten einer Person, seiner Person. Ähnlich verfuhr auch der Theaterdirektor und Regisseur Peter Eschberg, als Hrdlicka 1982 gefragt worden war, für die Bonner Bühnen Goethes „Faust I + II“ auszustatten. Nach einem Wienbesuch erklärte der Regisseur das Atelier von Alfred Hrdlicka zum Schauplatz für seinen „Faust“! Der Künstler als faustische Figur, der für die Unsterblichkeit seine Seele verkauft, und den auch die Liebe einer Frau nicht retten kann.

Hrdlicka als Bildhauer

Neben den monumentalen Blättern der Bühnenarbeiten, den Radierungen des Zyklus „Wiener Blut“ (eine ironische Stellungnahme gegen die Handhabung des Pornographie-Gesetzes 1973), der „Metamorphose der Endlösung“ und Grafiken, in denen er sich mit Mythen und Realitäten der Französischen Revolution beschäftigt, zeigt das Künstlerhaus 15 bildhauerische Arbeiten (2 Steine und 13 Bronzen). Seine Steine zeigen immer die Spuren der Bearbeitung, den Widerstandes des Materials. Sie verleugnen nie die Hand und das Werkzeug, die sie schufen. Hrdlickas bildhauerische Arbeit ist eine körperliche Höchstleistung, wenn sich die Form aus dem Block herausentwickelt. Besonders beachtenswert ist unter den Ausstellungsobjekten die Studie zum „Straßenwaschenden Juden“ (1984). Rund um dieses Auftragswerk der Stadt Wien (1983 Auftragserteilung – Fertigstellung 1991) entspann sich eine vehemente Diskussion. Im Zuge der Geburtstagsfeierlichkeiten hat Ernst Hilger daher am Albertinaplatz weitere Bronzen aufstellen lassen.

Alfred Hrdlicka kann wohl als ein Prototyp des politischen Künstlers gesehen werden. Seit Jahrzehnten führt er seinem Publikum die Schrecken des Krieges vor Augen und verdichtet persönliche Erfahrungen mit dem Naziregime zu Horrorvisionen. Es geht ihm niemals um kurzfristige politische Ziele, sondern um das Enthüllen menschlicher Schwächen, Leiden, Laster – und um die Frage nach Menschlichkeit, der Art, wie wir einander begegnen. Auch, oder gerade dann, wenn diese Menschlichkeit in seinen Werken schmerzlich vermisst wird.

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Alexandra Matzner
Gründerin von ARTinWORDS * 1974 in Linz, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Romanistik in Wien und Rom. Seit 1999 Kunstvermittlerin in Wien, seit 2004 Autorin für verschiedene Kunstzeitschriften. Jüngste Publiktionen entstanden für das Kunsthaus Zürich, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Albertina und Belvedere in Wien.