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Julia Margaret Cameron Pionierin der Fotografie

Veröffentlicht von Alexandra Matzner von 5. Juni 2015
Julia Margaret Cameron, Julia Jackson (von der Seite), 1867, 61 x 51 x 4 cm, Albumindruck von einem nassen Kollodiumnegativ © Victoria and Albert Museum, London.

Julia Margaret Cameron, Julia Jackson (von der Seite), 1867, 61 x 51 x 4 cm, Albumindruck von einem nassen Kollodiumnegativ © Victoria and Albert Museum, London.

Julia Margaret Cameron (11.6.1815–26.1.1869) ist eine Pionierein der Fotografie und Künstlerin des Viktorianischen Zeitalters. Cameron schuf starke Porträts und aussagekräftige Historien, denn sie inszenierte Freunde, Familienmitglieder und Diener in Lebenden Bildern mit biblischen, historischen und allegorischen Inhalten. Mit ihren Fotografien brach sie Gesetze der Fotografie lange bevor diese theoretisch formuliert worden waren. Zu ihren Lebzeiten wurde Cameron für ihre unkonventionelle Technik, den Einsatz von Unschärfe, Kratzern, etc. - kritisiert. Gleichzeitig wurde die Schönheit ihrer Kompositionen gelobt und ihr Einsatz für die Fotografie als Kunstform gewürdigt. Das Museum voor Schone Kunsten Ghent und das Victoria & Albert Museum widmen der außergewöhnlichen Künstlerin zu ihrem 200. Geburtstag eine überzeugende Ausstellung, die die Strahlkraft von Camerons Werk wieder einmal beweist.

Julia Margaret Cameron (1815–1879)

Belgien / Gent: Museum voor Schone Kunsten Ghent
14.3. - 14.6.2015

England / London: Victoria & Albert Museum
28.11.2015 - 21.2.2016

„Mein Ziel ist, die Fotografie zu nobilitieren und für sie den Charakter und den Gebrauch der Hochkunst zu sichern, indem ich das Reale und das Ideale kombiniere und bei aller Hingebung zur Poesie und Schönheit nichts von der Wahrheit zu opfern.“

Diese manifestartigen Sätze schrieb die innovative und höchst bedeutende Fotografin Julia Margaret Cameron1 (1815–1879) im Jahr 1864.

 

Fotografieren gegen die Einsamkeit

Im Dezember 1863 erhielt Julia Margaret Cameron ihre erste Kamera als Geschenk von ihrer Tochter und ihrem Schwiegersohn. Sie vermuteten, dass Cameron von der Fotografie unterhalten werden würde, fühlte sie sich doch im englischen Freshwater einsam. Ihr Ehemann Charles hielt sich gerade in Ceylon (heute: Sri Lanka) auf, um sich um die familieneigene Kaffeeplantage zu kümmern. Cameron nutzte die Kamera nicht nur zur Zerstreuung und als Liebhaberei, sondern fand in ihr ein „lebendiges Ding mit Stimme und Gedächtnis und kreativer Kraft“.

Die angehende Künstlerin war 48 Jahre alt, Mutter von sechs Kindern, belesen, tief religiös, ein bisschen exzentrisch und befreundet mit einigen der wichtigsten Köpfe des viktorianischen England. Dazu zählten den Maler G. F. Watts, die Schriftsteller Robert Browning, Henry Taylor und Alfred Lord Tennyson. Virginia Woolfe, die einen höchst unterhaltsamen Text über Cameron geschrieben hat, war ihre Großnichte. Aber auch ihre Nachbarn waren keine Unbekannten: Dazu zählten neben Tennyson, Charles Darwin, der Astronom Sir John Herschel sowie der Historiker und Philosoph Thomas Carlyle.

 

Julia Margaret Cameron, Julia Jackson, 1867, 61 x 51 x 4 cm, Albumindruck von einem nassen Kollodiumnegativ © Victoria and Albert Museum, London.
Julia Margaret Cameron, Julia Jackson, 1867, 61 x 51 x 4 cm, Albumindruck von einem nassen Kollodiumnegativ © Victoria and Albert Museum, London.
Julia Margaret Cameron, Florence Fisher, 1872, 61 x 51 x 4 cm, Albumindruck von einem nassen Kollodiumnegativ © Victoria and Albert Museum, London.
Julia Margaret Cameron, Florence Fisher, 1872, 61 x 51 x 4 cm, Albumindruck von einem nassen Kollodiumnegativ © Victoria and Albert Museum, London.

 

Professionelle Amateurin

Auch wenn Julia Margaret Cameron ohne Ausbildung an die Fotografie ging, so arbeitete sie doch unermüdlich an der Beherrschung der Technik, indem sie mit nassem Kollodium Negative auf Glasplatten erzeugte. Cameron sah ihre Tätigkeit als eine künstlerische und kümmerte sich professionell um Copyright, Veröffentlichung, Ausstellung und Marketing für ihre Fotografien. Innerhalb kürzester Zeit, nämlich in nur 18 Monaten (!), gelang es ihr, 80 Abzüge an das Victoria and Albert Museum zu verkaufen, in zwei seiner Räume ein Atelier einzurichten und mit dem Händler Colnaghi im West End einen Vertrag über Veröffentlichung und Verkauf abzuschließen. Andererseits interessierte sie sich nicht für kommerzielle Porträtfotografie, sie ließ sich auch nicht für Porträtaufnahmen engagieren.

 

Inszenierung, Intimität und „Imperfektion“

Das Betätigungsfeld von Cameron war die inszenierte Fotografie, für die sie Freunde, Familienmitglieder und Hausangestellte heranzog. Für ihre völlig neuartigen Aufnahmen ließ sich oft von der italienischen Malerei des 15. Jahrhunderts inspirieren. Ihr Hausmädchen wurde in die Madonna verwandelt, ihr Ehemann stellte Merlin dar, ein Nachbarskind wurde zum Christusknaben oder mit Schwanenflügeln zu einem Cupido. Insgesamt dürfte Cameron zwischen 1864 und 1875, also in den knapp elf Jahren ihrer Produktion vielleicht etwas mehr als 1.200 Bilder gemacht haben, darunter Porträts von berühmten Freund_innen und Verwandten. Doch anstatt ein möglichst scharfes Bild erzielen zu wollen, setzte Cameron von Beginn auf atmosphärische Werte, eine gewisse Form der Weichheit und Schmelz in der Wiedergabe. In dieser technischen „Imperfektion“ scheinen die Porträts wie „Darstellungen der viktorianischen Seele“, wobei das technisch Unzulängliche der Aufnahmen zu ihrer künstlerischen Raffinesse beiträgt. Wenn auch vieles davon durch Zufall und während des Prozesses des Entwickelns entstand, so war sich Cameron doch sehr bewusst, welche Effekte sie erzielen wollte.

Unterstützung für ihre unkonventionellen Aufnahmen kam demnach auch nicht von den Fotografen-Kollegen, sondern von befreundeten Künstlern, den Prae-Raffaeliten. Sie entdeckten schon früh die Qualitäten von Camerons Inszenierungen, die so weit weg von technischer Perfektion angesiedelt waren. Zu den wichtigsten Strategien der Künstlerin zählte, die Linse bewusst aus dem Fokus zu nehmen. Trotz langer Belichtungszeiten - oder vielleicht auch gerade deswegen - sind viele ihrer Aufnahmen unscharf. Dazu kommen noch Flecken, die von Chemikalien verursacht wurden, Kratzer, Linien, die von ihrem beständigen Kampf mit dem nassen Kolodium herrühren. Bevor ihr das South Kensington Museum, London (heute: Victoria and Albert Museum, V&A) im November 1865 eigene Atelierräume anbot, arbeitete Cameron die Negative zu Hause in einer improvisierten Dunkelkammer aus. Viele Forscher_innen sehen daher das fotografische Werk von Cameron nicht nur als weibliche Kunstausübung, sondern auch als Resultat einer unangepassten, bürgerlichen Dame, die dennoch die Regeln weiblicher Häuslichkeit nicht verletzte.2

Dafür erzielte Julia Margaret Cameron in ihren Menschenbildern eine Form von Intimität, die in der Fotografie noch unerreicht war. Affekte des Intimen und des Häuslichen sind es, die - Catherine de Zegher zufolge3 - den Charme von Camerons Fotografien ausmachen. Vor allem im Vergleich zu den ebenfalls gestellten Aufnahmen vieler ihrer Zeitgenossen. Hierin liegt die künstlerisch-menschliche Dimension der Engländerin. Sie konnte sich so gut in ihre Modelle einfühlen, dass sie sowohl das äußere Erscheinungsbild als auch das Innere festhalten wollte.

 

Julia Margaret Cameron, Hl. Caecilia, im Stil von Raffael, 1865, 57 x 42 x 4 cm, Albumindruck von einem nassen Kollodiumnegativ © Victoria and Albert Museum, London.
Julia Margaret Cameron, Hl. Caecilia, im Stil von Raffael, 1865, 57 x 42 x 4 cm, Albumindruck von einem nassen Kollodiumnegativ © Victoria and Albert Museum, London.
Julia Margaret Cameron, Der Engel am Grab, 1869–1870, 61 x 51 x 4 cm, Albumindruck von einem nassen Kollodiumnegativ © Victoria and Albert Museum, London.
Julia Margaret Cameron, Der Engel am Grab, 1869–1870, 61 x 51 x 4 cm, Albumindruck von einem nassen Kollodiumnegativ © Victoria and Albert Museum, London.

 

Julia Margaret Cameron im Victoria and Albert Museum

Nicht nur der 200. Geburtstag veranlasste die Schau von Julia Margaret Camerons Fotografien, sondern auch der 150. Jahrestag ihrer ersten Museumsausstellung im South Kensington Museum, London (heute: Victoria and Albert Museum, V&A) im November 1865. Wenn das auch nicht die einzige Ausstellung Camerons zu Lebzeiten war,4 so dürfte sie aber doch die erste Artist-in-Residence des Museums gewesen sein. Das V&A stellte der Künstlerin 1868 zwei Räume als Porträtstudio zur Verfügung. Darüber hinaus sammelte das Museum auch ihre Werke, fünf Briefe von Cameron an den Gründungsdirektor Sir Henry Cole eingeschlossen. Geschrieben wurden sie zwischen Mai 1865 und Dezember 1872, inhaltlich umspannen sie Neuigkeiten, Fragen in Bezug auf technische, künstlerische oder auch praktische Belange, Dank für Coles Unterstützung, Werbung für ihre neuen Arbeiten.

Vermutlich haben sich Cameron und Cole im Haus von Sarah Prinsept, der Schwester von Julia Margaret Cameron, kennengelernt. Im Mai 1865 hielt Sir Henry Cole in seinem Tagebuch eine Porträtsitzung mit Cameron fest. Im Juni erwarb er eine Gruppe von 63 Abzügen, der erste Verkauf von Cameron an eine öffentliche Institution. Weitere Ankäufe folgten im Juli und September 1865. Heute besitzt das Victoria and Albert Museum über 250 Arbeiten von Julia Margaret Cameron, neben Roger Fenton (1819–1869) der wichtigsten englischen Fotografin des 19. Jahrhunderts. Damit folgte die 1851 gegründete Institution der Vorliebe von Königin Victoria und Prinz Albert, die enthusiastische Förderer der Fotografie und der neu gegründeten Photographic Society of London waren. Bereits 1842 hatte ein Mitglied des Königshauses eine erste Fotografie aufgenommen. Auch nach dem Tod von Prinz Albert 1861 sammelte Königin Victoria weiter und hatte bis zu ihrem Tod 1901 circa 20.000 Abzüge zusammengetragen.

 

Julia Margaret Cameron, The Mountain Nymph, Sweet Liberty, June 1866, albumen print from collodion negative, 36.1 x 26.7 cm (14 3/16 x 10 1/2 in.), National Gallery of Art, Washington, New Century Fund.
Julia Margaret Cameron, The Mountain Nymph, Sweet Liberty, June 1866, Albumindruck von einem Kollodiumnegativ, 36.1 x 26.7 cm, National Gallery of Art, Washington, New Century Fund.

 

Biografie von Julia Margaret Cameron (1815–1869)

Am 11. Juni 1815 wurde Julia Margaret Pattle in Kalkutta als viertes von sieben Geschwistern geboren. Ihr Vater war ein Offizier der East India Company und ihre Mutter stammte aus dem französischen Adel. Ihre Ausbildung erhielt Julis hauptsächlich in Frankreich.
1834 Rückkehr nach Indien.
1836 Wegen Rekonvaleszenz von einer Krankheit am Kap der Guten Hoffnungen in Südafrika. Freundschaft mit dem britischen Astronomen Sir John Herschel (1792–1871), der den Himmel der südlichen Hemisphäre beobachtete. Herschel führte Cameron in die Fotografie ein. Er blieb ein lebenslanger Freund und Gesprächspartner über technische Belange. Treffen mit dem zwanzig Jahre älteren Juristen und Mitglied der Law Commission in Kalkutta, Charles Hay Cameron (1795–1880). Er reformierte das indische Gesetz und die Schulbildung. Später investierte er in Kaffee- sowie Gummiplantagen in Ceylon (heute: Sri Lanka).
1838 Hochzeit mit Cameron in Kalkutta. Julia Margaret Cameron wurde eine vielbeachtete Saloniére in der Gesellschaft der Kolonie.
1848 Charles Hay Cameron ging in Pension, und die Familie zog nach England, wo zwei weitere Kinder geboren wurden.
1849 Umzug nach England, genauer nach Tunbridge Wells in Kent.
Umzug nach London
1860 Umzug nach Freshwater auf der Isle of Wight, wo Julia Margaret Cameron begann, Fotografien anzufertigen (Fotogramme).
1863 Erhielt von ihrer Tochter und ihrem Schwiegersohn eine Kamera (sliding box camera).
1864 Im Januar erste erfolgreiche Fotografie. Im Mai erste Ausstellung in der Photographic Society of London. Begann ihre Werke über die Londoner Galerie P. & D. Colnaghi and Co. Zu verkaufen.
1865 Schuf die Serie „Fruits of the Spirit“. Im Mai hielt Sir Cole, Gründungsdirektor des V&A Museums in seinem Tagebuch eine Porträtsitzung mit Cameron fest. Im Juni erwarb er eine Gruppe von 63 Abzügen, der erste Verkauf von Cameron an eine öffentliche Institution. Weitere Ankäufe folgten im Juli und September 1865.
1867 Stellte auf der Weltausstellung in Paris aus.
1868 Das South Kensington Museum bot ihr zwei Räume als Porträtstudio an.
1872 Stellte auf der Weltausstellung in London aus.
1873 Stellte auf der Weltausstellung in Wien aus.
1874 Schrieb „Annals of My Glass House“, einen autobiografischen Text, der 1889 erstmals veröffentlicht wurde.
1874–1875 Veröffentlichte Illustrationen für Tennysons „Idylls of the King, and Other Poems“, bestehend aus 25 Fotografien.
1875 Umzug nach Ceylon, um zwei ihrer Söhne näher zu sein und die Kaffeeplantagen besser betreuen zu können. Camerons fotografische Produktion verkleinerte sich.
Am 1879 starb Julia Margaret Cameron in Ceylon.

 

Julia Margaret Cameron: Bilder

  • Julia Margaret Cameron, Mary Hillier, 1864–1866, 57 x 42 x 4 cm, Albumindruck von einem nassen Kollodiumnegativ © Victoria and Albert Museum, London.
  • Julia Margaret Cameron, Hl. Caecilia, im Stil von Raffael, 1865, 57 x 42 x 4 cm, Albumindruck von einem nassen Kollodiumnegativ © Victoria and Albert Museum, London.
  • Julia Margaret Cameron, The Mountain Nymph, Sweet Liberty, June 1866, Albumindruck von einem Kollodiumnegativ, 36.1 x 26.7 cm, National Gallery of Art, Washington, New Century Fund.
  • Julia Margaret Cameron, Julia Jackson, 1867, 61 x 51 x 4 cm, Albumindruck von einem nassen Kollodiumnegativ © Victoria and Albert Museum, London.
  • Julia Margaret Cameron, Julia Jackson, 1867, 61 x 51 x 4 cm, Albumindruck von einem nassen Kollodiumnegativ © Victoria and Albert Museum, London.
  • Julia Margaret Cameron, Der Engel am Grab, 1869–1870, 61 x 51 x 4 cm, Albumindruck von einem nassen Kollodiumnegativ © Victoria and Albert Museum, London.
  • Julia Margaret Cameron, Florence Fisher, 1872, 61 x 51 x 4 cm, Albumindruck von einem nassen Kollodiumnegativ © Victoria and Albert Museum, London.

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Gründerin von ARTinWORDS * 1974 in Linz, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Romanistik in Wien und Rom. Seit 1999 Kunstvermittlerin in Wien, seit 2004 Autorin für verschiedene Kunstzeitschriften. Jüngste Publiktionen entstanden für das Kunsthaus Zürich, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Albertina und Belvedere in Wien.
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