Paris Noir 2: Eine Buchhandlung verändert die Welt – Présence Africaine und der Aufbruch der Négritude

Presence Africaine
Zur Ausstellung „Paris Noir“ veröffentlicht das Centre Pompidou einen 14-teiligen Podcast, der die Ziele der Schau und das kulturelle Klima gut aufschlüsselt. ARTinWORDS bietet eine Nachlese und ordnet das Gesagte ein. Viel Spaß beim Neuentdecken der Pariser Kunst der Nachkriegszeit, die von Künstler:innen afrikanischer, afroamerikanischer und karibischer Herkunft geschaffen wurde!
Présence Africaine und der Aufbruch der Négritude
Am Anfang steht ein Ort: 25 bis, rue des Écoles, ein Steinwurf von der Sorbonne entfernt. Dort gründet Alioune Diop 1947 die Buchhandlung und Verlagsplattform Présence Africaine – einen legendären Raum für Literatur, Debatte und politische Selbstermächtigung Schwarzer Intellektueller.
Dieser unscheinbare Ort wird zum Herzstück des intellektuellen „Paris Noir“. Um ihn herum formiert sich ein Netzwerk visionärer Denker:innen: Léopold Sédar Senghor, Aimé Césaire, Richard Wright, Frantz Fanon, James Baldwin, Cheikh Anta Diop. 1956 ruft Diop zum ersten „Congrès des écrivains et artistes noirs“ – ein internationales Gipfeltreffen Schwarzer Stimmen in der Sorbonne. Ein historischer Moment. Ein Manifest der Unabhängigkeit.
Baldwin in Paris – Ein Blick jenseits der Illusion
James Baldwin (1924–1987), der spätere Chronist der US-Bürgerrechtsbewegung, trifft 1948 in Paris ein. Er ist 24 Jahre alt, schwul und mittellos, hat noch nichts veröffentlicht, aber er ist jung und hungrig nach Freiheit. Paris schenkt ihm jene produktive Distanz zu den rassistischen Verhältnissen in den USA – und zugleich die Erkenntnis, dass auch Frankreich kein Ort frei von Rassismus ist –, der er braucht um schriftstellerisch aktiv zu werden. „In Frankreich wurde ich nicht als Schwarzer, sondern als Amerikaner wahrgenommen – und das war befreiend“, sagt Baldwin. Aber er merkt auch: Das Pariser Desinteresse ist kein Beweis für Gleichberechtigung. Es ist nur eine andere Art von Schweigen. Mit seinem schonungslosen Blick sollte er dieses Tabu brechen und gegen Homophobie und Rassismus anschreiben („Go Tell It on the Mountain“, 1953, „Giovanni’s Room“, 1956).
Négritude: Eine Philosophie der Wiedergewinnung
In der Zeitschrift und im Umfeld von Présence Africaine nimmt die Philosophie der Négritude Gestalt an. Sie ist mehr als ein ästhetisches Programm – sie ist ein geistiger Befreiungsschlag. Eine Rückgewinnung von Würde und Geschichte, in der Schwarze Identität nicht als Mangel, sondern als Kraft verstanden wird.
Der Club der Intellektuellen wird so zum Kollektiv des Widerstands – mit eigenen ästhetischen Codes, mit Musik, Poesie, Malerei. Das Paris der 1950er Jahre wird zur Bühne für diese Renaissance.
Présence Africaine: ein Ort, der Erinnerung schafft
Kévi Donat, Historiker und Stadtführer, beschreibt Présence Africaine als eine Art „Gedächtnisort der Schwarzen Moderne“. Die Buchhandlung ist fast unbemerkt, aber tiefgreifend wirksam. Ein Raum, der Kultur nicht nur archiviert, sondern produziert. Der Schwarze Geschichte nicht nacherzählt, sondern aktiv schreibt.
Die Wirkung reicht weit über das Quartier Latin hinaus. Présence Africaine ist das Epizentrum eines geistigen Erdbebens, dessen Nachhall noch heute zu spüren ist – und ein Beweis dafür, dass auch ein kleiner Buchladen die Welt verändern kann.
Alle Folgen
- Kapitel 1: Paris Noir 1: „Paris wird schwarz – Eine andere Geschichte der Moderne“
- Kapitel 3: Paris Noir 3: Poetische Weiten – Édouard Glissants Atlantik und das Tout-Monde
- Kapitel 4: Paris Noir 4: Totems, Träume und Tropen – Afro-atlantischer Surrealismus in Paris
- Kapitel 5: Paris Noir 5: Ein Sprung ins Abstrakte – Licht, Jazz und Collagen
- Kapitel 6: Paris Noir 6: Revolutionäre Allianzen – Paris und die Welt in Bewegung
- Kapitel 7: Paris Noir 7: Basslines der Befreiung – Schwarze Musik als Pariser Soundtrack
Für alle Francophile: Hier geht es zum Podcast → Pan-African Paris