Im 19. Jahrhundert wählten zahlreiche Fotografen die gleichen Motive wie die Maler des Impressionismus: Den Wald von Fontainebleau, die Steilküste von Étretat oder die moderne Metropole Paris. Auch sie studierten die wechselnden Lichtsituationen, die Jahreszeiten und Wetterverhältnisse. Von Anfang an verfolgte die Fotografie durch Erprobung von Komposition und Perspektive sowie mit Hilfe unterschiedlicher Techniken einen künstlerischen Anspruch. Ihr Verhältnis zur Malerei war bis zum Ersten Weltkrieg sowohl von Konkurrenz als auch von Einflussnahme geprägt.
Deutschland | Potsdam: Museum Barberini
12.2. – 8.5.2022
Das neue Medium der Fotografie war zugleich Teil der industriellen Revolution und Beginn der modernen Wissensgesellschaft. Auf den Weltausstellungen wurde es einem internationalen Publikum vorgestellt. Die fotografischen Aufnahme- und Reproduktionstechniken bedienten sowohl den zeitspezifischen Blick als auch den enzyklopädischen Dokumentationswillen: Die Möglichkeit, mit Fotografien Sammlungen beliebiger Themengebiete anzulegen, entsprach dem neuen Bedürfnis, Wissen zugänglich zu machen und zu archivieren. Wie die umgestalteten Stadtzentren von Paris, London, Wien oder München im Historismus der Architektur, so brachte auch das neue Medium Tradition und Moderne zusammen: Museen, Bibliotheken und Archive entstanden, Reisebeschreibungen, Vermessung und Kartierung prägten das Zeitalter. Parallel zur Soziologie entstand neben dem Gesellschaftsroman des literarischen Realismus die Sozialreportage in der Fotografie. Die sich ausdifferenzierenden Naturwissenschaften beschrieben die Gegenwart.
Was lag somit näher, als die Exaktheit der Fotografie zu nutzen? Sollte sich gar das neue Medium zu mehr als einer Hilfswissenschaft der Malerei entwickeln? Zum ersten Pariser Salon, auf dem auch Fotografien ausgestellt wurden, schrieb Charles Baudelaire 1859 eine vernichtende Kritik. In einem fiktiven Streitgespräch ließ er einen Fotografen sagen:
„Ich will die Dinge so wiedergeben, wie sie sind, oder besser: wie sie wären, wenn ich nicht da wäre.“
Dagegen setzte Baudelaire die Antwort eines Malers aus der von ihm favorisierten „Gruppe der Phantasiereichen“:
„Ich möchte die Dinge durch meinen Geist erleuchten und ihren Widerschein auf die anderen Geister abstrahlen.“
Damit legte Baudelaire, Vordenker und Freund der Impressionisten, den Antagonismus zwischen Maschine und Geist auf lange Sicht fest. Noch Walter Benjamins Überlegungen zum Verlust der Aura des „Kunstwerks im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ aus dem Jahr 1936 geht auf diese Unterscheidung zurück.
Claude Monet wie Berthe Morisot, Camille Pissarro und Pierre-Auguste Renoir arbeiteten unter freiem Himmel, um die neue Beziehung von Mensch und Natur zu thematisieren. Die Impressionisten widmeten ihre Malerei dem Augenblick. Ihre Malerei war pure Gegenwart, die individuelle Reaktionen auf im Wechsel begriffene Licht- und Wetterphänomene thematisierte. Das machte sie zu Verbündeten der Fotografen. Auch sie wählten die gleichen Motive wie die Impressionist:innen und studierten die wechselnden Lichtsituationen, Jahreszeiten und Wetterverhältnisse. Von Anfang an verfolgten sie durch Erprobung von Komposition und Perspektive, mithilfe unterschiedlicher Techniken und Materialien sowie mit Unschärfe, Dramatisierung und Montage einen künstlerischen Anspruch. Licht – Grundlage der Fotografie – war wie das Sehen selbst gemeinsames Thema von Malerei und Fotografie. Die Ausstellung "Before Photography. Painting and the Invention of Photography" im New Yorker Museum of Modern Art verdeutlichte bereits 1981, dass die Photographie nicht aus dem Wissenschaftskontext hervorging, sondern aus der Landschaftsmalerei. Die Erforschung des perspektivischen und subjektiven Charakters des Mediums stand seither im Fokus und ermöglichte so grundlegende Ausstellungen wie "Gustave Caillebotte. Ein Impressionist und die Fotografie" (Schirn, Frankfurt am Main, 2012) und "The Impressionists and Photography" (Museo Nacional Thyssen-Bornemisza, Madrid 2019).
Das Wechselspiel von Fotografie und Impressionismus ist jedoch immer noch unzureichend erforscht. "Eine neue Kunst. Photographie und Impressionismus" im Museum Barberini setzt hier an und beleuchtet mit über 150 Arbeiten den Austausch zwischen Maler:innen und Fotografen.
Die Ausstellung mit Werken von Gustave Le Gray, Alfred Stieglitz und Heinrich Kühn untersucht diese Wechselwirkungen und beleuchtet die Entwicklung des neuen Mediums von den 1850er Jahren zu einer autonomen Kunstform um 1900. Zu den mehr als 30 internationalen Leihgebern zählen das Photoinstitut Bonartes in Wien sowie die Société Française de Photographie in Paris.
Stéphanie Breton, Auguste Hippolyte Collard, Eugène Cuvelier, Louis-Alphonse Davanne, Robert Demachy, Peter Henry Emerson, Gustave Le Gray, Henri Le Secq, Heinrich Kühn, Charles Marville, Constant Puyo, Henry Peach Robinson, Alfred Stieglitz, Carl Teufel und Alphonse Taupin
Quelle: Museum Barberini, Potsdam