0

Richter-Nicht-Biografie „Werk ohne Autor“ für Oscar nominiert! Academy begeistert sich für NS-Drama

Florian Henckel von Donnersmarck, Werk ohne Autor

Florian Henckel von Donnersmarck, Werk ohne Autor

Letzte Woche erst entrüstete sich Gerhard Richter über den Film „Werk ohne Autor“ – heute teilt die Academy in Los Angeles dessen Oscar-Nominierung in der Kategorie „Bester ausländischer Film“ mit. Dass die Biografie des deutschen Malers in „Werk ohne Autor“ nicht dokumentarisch erzählt wird, macht diese Nominierung wohl erst möglich.

Der mit viel Pathos getränkte Film spitzt sich im Lauf von eineinhalb Stunden auf den Konflikt zwischen werdendem Malerstar Kurt Barnert und dessen despotischen Schwiegervater Professor Carl Seeband zu. Freie Kunstausübung an der Akademie in Düsseldorf – in welchem Stil möchtest du malen? – und Joseph Beuys als kritischer Mentor prallen auf einen technisch gut ausgebildeten aber offensichtlich überforderten Maler aus dem Osten Deutschlands. Der war zuvor zwar vor dem Sozialistischen Realismus und dem fachlich hervorragenden aber moralisch fragwürdigen NS-Arzt mit guten Verbindungen zur DDR-Führung geflohen, wird im Westen aber zuerst zum Putzmann. Dazwischen löst die tragische Geschichte von Richters vom NS-Schergenregime ermordeter Tante Gänsehaut aus. War der Schwiegervater wirklich für deren Einweisung in eine psychiatrische Klinik verantwortlich, an deren Ende die Euthanasie stand?

Der Anfang September 2018 in die Kinos gekommene Film löste heftige Kontroversen aus. War es nötig, die Bombardierung Dresdens mit der Ermordung von Richters Tante (Euthanasie) bildlich miteinander zu verketten? Gerhard Richter darf sich zurecht unverstanden fühlen, zu sehr setzte Henckel von Donnersmarck auf teils kitschige Bilder, glatte Charaktere, gewürzt mit Crime-and-Suspense. Die komplexe Verkettung von Schuld und Wegsehen, von versuchter Anpassung und Ausbruch in die vermeintliche Freiheit, das gegeneinander Ausspielen von West- und Ost-Deutschland lässt sich vermutlich an vielen Biografien nacherzählen. Doch nur Gerhard Richter ist weltberühmt und trägt den Film schon durch die Nennung seines Namens. Seine Bilder sind es, die dem Regisseur als Requisiten und Metaphern für den Kampf zwischen Erinnern und Vergessen dienen (→ Gerhard Richter. Bilder einer Epoche). Doch die unbewusste Aufarbeitung seiner Biografie ist nur ein Aspekt im deutlich größeren Universum des frühen Richter (→ Gerhard Richter: Biografie).

Einmal mehr spricht sich die Academy für eine filmische Aufarbeitung der NS-Vergangenheit aus. Am 24. Februar wird sich zeigen, ob das „Werk ohne Autor“ – auf Englisch mit dem affirmativen Titel „Never Look Away“ (!) ausgestattet – genau für eine solche Veranstaltung gemacht ist.

Liste der nominierten Filme in der Kategorie „Bester ausländischer Film“ für die 91. Academy Awards 2019

  • Capernaum (Libanon)
  • Cold War (Polen)
  • Werk ohne Autor / Never Look Away (Deutschland)
  • Roma (Mexiko)
  • Shoplifters (Japan)

Beiträge zu Gerhard Richter

3. Dezember 2023
Gerhard Richter, Blumen, 1977, Öl auf Leinwand (Privatsammlung © Gerhard Richter 2023)

Düsseldorf | Kunstpalast: Gerhard Richter. Verborgene Schätze Werke aus rheinischen Privatsammlungen | 2024

6. September 2023
Martha Jungwirth, Spittelauer Lände, 1993 (Albertina Wien - The Essl Collection (c) Bildrecht, Wien 2023)

Wien | Albertina modern: Deutschland – Österreich. Malerei 1970 bis 2020 Gegenüberstellung wichtiger Künstler:innen | 2023/24

Es entfaltet sich in der Albertina modern ein überraschender Pas de deux abseits des Nationalitätenprinzips, der das Tänzerische und Spielerische der Kunst in den Vordergrund rückt: mit Baselitz und Lassnig, Grosse und Hollegha, Rainer und Richter, Oehlen und Jungwirth, Kiefer und Nitsch.
15. Juni 2023
Gerhard Richter, Zwei Kerzen, 1982 (Yageo Foundation Collection © Gerhard Richter 2022 (0153)

London | Tate Modern: Capturing The Moment Malerei und Fotografie im Dialog | 2023/24

Diese Ausstellung feiert die Malerei des 20. und 21. Jahrhunderts und zeigt, wie einige der größten modernen Maler Momente in der Zeit festgehalten haben. Die wechselseitige Beeinflussung von Malerei und Fotografie stehen im Fokus dieser Sammlungspräsentation.

Aktuelle Ausstellungen

27. November 2023
Alexandra Exter, Drei Frauen, Detail, 1909-1910 (National Art Museum Ukraine)

Brüssel | Königliche Kunstmuseen: Moderne in der Ukraine 1900–1930er Im Auge des Sturms | 2023/24

„In the Eye of the Storm“ zeigt eine Reihe künstlerischer Stile und vielfältiger kultureller Identitäten anhand von über 60 Werken. Die meisten Arbeiten sind Leihgaben des Nationalen Kunstmuseums der Ukraine (NAMU) und des Museums für Theater, Musik und Kino der Ukraine, die in Westeuropa touren, um sie während der anhaltenden russischen Invasion in der Ukraine zu schützen.
24. November 2023
Amedeo Modigliani, Chaim Soutine

Stuttgart | Staatsgalerie: Amedeo Modigliani Moderne Blicke | 2023/24

Die Ausstellung zeigt rund 100 Gemälde und Papierarbeiten des Italieners und stellt ihnen Werke aus dem Pariser Umfeld, von Gustav Klimt, Egon Schiele oder Ernst Ludwig Kirchner gegenüber. Erstaunliche Parallelen werden sichtbar, genauso wie die Außergewöhnlichkeit von Modiglianis Kunst.
24. November 2023
Gottlieb Doebler, Immanuel Kant, nach 1791, Öl auf Leinwand, 36,8 x 31 cm (© Ostpreußisches Landesmuseum- Leihgabe Stadt Duisburg)

Bonn | Bundeskunsthalle: Immanuel Kant und der Geist der Aufklärung | 2023/24

Die Ausstellung soll das Werk Immanuel Kants einem philosophisch nicht vorgebildeten, explizit auch jungen Publikum mittels innovativer, leicht zugänglicher Vermittlungsformate nahebringen. Dabei sollen die vier berühmten kantischen Fragen die Ausstellung inhaltlich strukturieren: „Was kann ich wissen? Was darf ich hoffen? Was soll ich tun? Was ist der Mensch?“
Alexandra Matzner
Gründerin von ARTinWORDS * 1974 in Linz, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Romanistik in Wien und Rom. Seit 1999 Kunstvermittlerin in Wien, seit 2004 Autorin für verschiedene Kunstzeitschriften. Jüngste Publiktionen entstanden für das Kunsthaus Zürich, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Albertina und Belvedere in Wien.