Die Berlinische Galerie erwarb Lovis Corinth’s „Bacchant“ (1913) mit Mitteln aus dem Etat der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM), des Landes Berlin, Senatsverwaltung für Kultur und Europa und des Fördervereins der Berlinischen Galerie e.V.. Das Berliner Landesmuseum freut sich, den Neuzugang ab Mitte Juli in seiner Dauerausstellung zu präsentieren.
Der Berliner Maler Lovis Corinth (1858–1925) schuf 1913/14 einen elfteiligen Zyklus für den Berliner Großindustriellen Ludwig Katzenellenbogen und dessen erste Frau Estella. Den Auftrag an Lovis Corinth hatte der Berliner Galerist Paul Cassirer vermittelt. Das Ehepaar Katzenellenbogen besaß eine bedeutende Sammlung, darunter Werke des französischen Impressionismus. Die Liebhaber der modernen Kunst nutzten die Werke Corinths als Ausstattung für den heute zerstörten Festsaal des Ritterguts Freienhagen in der Nähe von Oranienburg.
Corinth schöpfte auch für die weiteren Gemälde des Zyklus aus der Mythologie. Themen sind unter anderem die Heimkehr des Odysseus nach dem gleichnamigen Epos des antiken griechischen Dichters Homer sowie Szenen aus Ludovico Ariosts höfischem Epos „Orlando furioso [Der rasende Roland]“ (1516). Auf zwei schmalen Hochformaten verewigte der Künstler zudem die Dichterfürsten Homer und Ariost, wie sie ihre Epen vortragen. In der Berlinischen Galerie befanden sich bereits sechs der insgesamt elf Gemälde. Die Berlinische Galerie erwarb nun das siebte Werk über das Auktionshaus Grisebach im Nachverkauf.
Lovis Corinth schuf den Bildzyklus auf dem Höhepunkt seines Erfolgs in Berlin in seiner unverwechselbaren Handschrift. Das Gemälde zeigt eine lebensgroße, tanzende, männliche Figur, bekränzt mit Weinlaub und Trauben, bekleidet mit einem Leopardenfell. In der einen Hand hält der Berauschte ein Tamburin, in der anderen den sogenannten Thyrsos- oder Bacchusstab. Ein Leopard zu seinen Füßen folgt den Bewegungen des Stabs.
Rausch, Ekstase und das Dionysische, mit „Bacchuszug“ und „Bacchanale“, spielen in Corinths Œuvre seit den 1890er Jahren eine wichtige Rolle. Mehrfach hat der Künstler sich in Gemälden selbst als Bacchant dargestellt. Corinths eigenwillige Interpretation klassischer Bildthemen, wie auch hier beim „Bacchanten“, changiert zwischen Burleske und Satire. Statt die Betrachter:innen in ferne Zeiten zu entführen, vermittelt der Künstler eher den Eindruck einer theatralischen Inszenierung mit Laien-schauspieler:innen. Sie holen den Stoff in die Gegenwart. Die Historienmalerei wurde aufgrund ihrer höfischen Repräsentationsfunktion von vielen Künstler:innen der Moderne gemieden. Corinth nutzte sie, um sich von der klassischen Bildtradition zu lösen und etwas Neues zu entwickeln. Mit kühnen Kompositionen und freiem Farbauftrag fand er neue originelle Gestaltungsweisen für traditionelle Stoffe.
Nach der Scheidung der Eheleute 1930 heiratete Ludwig Katzenellenbogen (1877–1944) die gefeierte Schauspielerin und vormalige Ehefrau Cassirers, Tilla Durieux (1880–1971). Estella Katzenellenbogen erhielt die Hälfte der Kunstsammlung, darunter den Gemäldezyklus von Corinth. Ab 1933 wurde Estella Katzenellenbogen von den Nationalsozialisten als Jüdin verfolgt. Zunehmend bedroht, ging sie 1936 zunächst für drei Jahre in die Schweiz. 1939 kehrte sie noch einmal kurz nach Berlin zurück und emigrierte 1940 schließlich über Genf und Genua in die USA. Nach dem Krieg konnte Estella Katzenellenbogen die Werke von Corinth, die in Amsterdam eingelagert gewesen waren, in die USA nachholen. Sie teilte den Zyklus zwischen sich und ihren Kindern auf.
Für eine Corinth-Ausstellung des Wallraf-Richartz-Museums in der Kunsthalle Köln 1976 kamen sechs der Gemälde nach Deutschland. Sie wurden im Anschluss der Berlinischen Galerie zum Kauf angeboten und 1980 erworben. Der „Bacchant“ befand sich nachweislich noch 1990 im Besitz des Sohnes von Estella Katzenellenbogen, Konrad Kellen (1913–2007). Er gab das Werk als Dauerleihgabe in das Los Angeles County Museum of Art, bevor es über den Kunsthandel an private Sammler verkauft wurde. Zu dem Zyklus gehören weiterhin eine „Bacchantin“, die sich lange im Los Angeles County Museum of Art befunden hat, und drei Supraporten, über deren Verbleib derzeit nichts bekannt ist.
Quelle: Berlinische Galerie, Berlin