Tilla Durieux

Wer war Durieux?

Tilla Durieux (eigentlich Ottilie Helene Angela Godeffroy, Wien 18.8.1880–21.2.1971 Berlin) war eine deutsche Schauspielerin der Moderne (→ Klassische Moderne). Ihren Durchbruch feierte Durieux 1903 als Salome unter der Regie von Max Reinhardt, gefolgt von einer Zusammenarbeit mit Victor Barnowsky. In zweiter Ehe mit dem Kunsthändler und Verleger Paul Cassirer verheiratet, zählt Durieux zu den am meisten porträtierten Frauen ihrer Epoche.

Kindheit

Tilla Durieux wurde als Ottilie Helene Angela Godeffroy am 18. August 1880 in Wien geboren. Ihr Vater war der Chemieprofessor Richard Max Viktor Godeffroy und ihrer Mutter die Pianistin Adelheid Ottilie Augustine Godeffroy (geb. Hrdlicka). Im Alter von 15 Jahren verlor sie ihren Vater; das Verhältnis zur Mutter war geprägt von immer wieder kehrenden Konflikten. So unterstützte Durieuxs Mutter den Berufswunsch ihrer Tochter nicht. Von der Familie aufgefordert, einen Künstlernamen anzunehmen, wählt sie — angelehnt an den Geburtsnamen der Großmutter väterlicherseits — Tilla Durieux.

Ausbildung (1898–1901)

Im Jahr 1898 trat Durieux in die Wiener Theaterschule von Karl Arnau (1843–1910) ein und bekam bereits im September 1901 ihr erstes Engagement am Königlich Städtischen Theater in Olmütz. Im Zuge dessen druckte „Der Humorist“ das erste Pressebild der später für ihre mediale Selbstinszenierung so berühmten Schauspielerin.

Frühe Engagements

Als Tilla Durieux 1902 in Breslau spielte, lernte sie ihren späteren Ehemann, den Maler Eugen Spiro (1874–1972), kennen. Das Paar heiratete 1903; Tilla Durieux saß ihrem Mann mehrere Male für ein Porträt Modell. Die Scheidung von Spiro folgt bereits 1905.

Deutsches Theater in Berlin (1903–1910)

Ein Wendepunkt in Durieux’ früher Karriere war ihre Berufung ans Deutsche Theater in Berlin 1903. In den folgenden Jahren konnte sie dort unter der Regie von Max Reinhardt (1873–1943) ihre Schauspielkunst verfeinern. Ihr Debüt gab Tilla Durieux als Wassilissa in Maxim Gorkis „Nachtasyl – Szenen aus der Tiefe“. Zuerst bekam die Nachwuchskünstlerin nur kleinere Rollen. Den Durchbruch feierte sie, als der gefeierte Star Gertrud Eysoldt (1870–1955) erkrankte, und Durieux die Hauptrolle in Oscar Wildes „Salome“ übernahm. Die Kritiker:innen überschlugen sich des Lobs, weshalb Durieux nun an abwechselnd mit Eysoldt für die Rolle besetzt wurde.

Während Durieux‘ Engagements am Deutschen Theater erhielt sie die Möglichkeit, in mehreren Rollen zu überzeugen, darunter Lady Milford in „Kabale und Liebe“ (1903), Kunigunde in „Das Käthchen von Heilbronn“ (1905), die Titelfigur in „Judith“ (1909) sowie Jokaste in „König Ödipus“ (1910).

Paul Cassirer

In Berlin traf Tilla Durieux 1904 den Kunsthändler und Verleger Paul Cassirer (1871–1926), den sie am 24. Juni 1910 in zweiter Ehe heiratete. Cassirer zählt zu den maßgeblichen Förderern der Moderne in Deutschland. Er stand in Kontakt mit vielen namhaften Künstler:innen seiner Zeit, wodurch auch Durieux in Kontakt mit den Künstler:innenkreisen Berlins trat. Viele der Bildnisse, die zu dieser Zeit entstanden, waren Aufträge ihres späteren Ehemannes: Unter anderem wurde Tilla Durieux von Ernst Barlach, Emil Orlik und Oskar Kokoschka porträtiert. Darüber hinaus lernte die Schauspielerin die Dichterin Else Lasker-Schüler kennen, die Durieux ein Gedicht widmete, und Heinrich Mann, der über sie sagte, sie wäre „eines der vorgeschrittensten Menschenwesen, die heute über europäische Bühnen gehen“.

Im Juli 1914 fuhr Durieux mit Cassirer nach Paris, um sich von Pierre-Auguste Renoir (1841–1919) porträtieren zu lassen. Der Auftrag hierfür stammte einmal mehr von Cassirer, der bereits des Öfteren mit dem Künstler zusammengearbeitet hatte. Das Ehepaar musste jedoch am Vorabend des Ersten Weltkriegs das noch nicht trockene Gemälde in Paris zurücklassen.

Peter (1900–1919), Paul Cassirers Sohn aus erster Ehe, verübte 1919 Suizid. Die Ehe mit Cassirer war ab 1925 geprägt von unzähligen Konflikten, hervorgerufen vor allem durch die psychischen Probleme Cassirers, die sich durch die Erfahrungen an der Front verstärkt hatten. Durieux betreute ihren Mann bis zu dem Punkt, an dem sie selbst an der Situation zu zerbrechen drohte. Zur emotionalen Stütze wurde ihr in dieser Zeit der jüdische Industrielle Ludwig Katzenellenbogen (1877–1944).
1926 reichte Tilla Durieux die Scheidung von Cassirer ein. Während der Verhandlung schoss sich der Galerist in die Brust und verstarb am 7. Januar im Beisein von Tilla in einem städtischen Krankenhaus.1 Familie, Klatschpresse und Gesellschaft fanden rasch in Durieux die Schuldige. Die Medien stilisieren die Witwe zum todbringenden Teufel und Racheengel. Über die Ehe schrieb Durieux in ihrer Autobiografie rückblickend:

„Ich verdanke Paul Cassirer die schönsten und die bittersten Stunden, meine geistige Entwicklung, meine wachsenden Erfolge an der Bühne, eine unendliche innere Bereicherung, aber auch den tiefsten Kummer. Meine Augen haben durch ihn die Herrlichkeit der Welt gesehen, aber auch die verzweifeltsten Tränen geweint.“

1928 veröffentlichte Durieux den Roman „Eine Tür fällt ins Schloss“, in dem sie mit der Familie Cassirers abrechnete, da diese ihr die Schuld am Tod des Kunsthändlers gab. Später bereute Durieux diese Publikation.

Lessing-Theater in Berlin (1911–1913)

Im Jahr 1911 verließ Tilla Durieux das Ensemble von Max Reinhardt und wechselt zu Otto Brahm (1856–1912), Direktor des Lessing-Theaters. Da Brahm bereits im folgenden Jahr verstarb, wurde sein Nachfolger Victor Barnowsky (1875–1952) schließlich zum langjährigen Wegbegleiter der Schauspielerin. Am 1. November 1913 übernahm Durieux die Hauptrolle in George Bernard Shaws Stück „Pygmalion“ und verkörperte damit zwei Wochen nach der Welturaufführung in Wien als zweiten Schauspielerin Eliza Doolittle. Neben Auftritten auf deutschen Bühnen brachte Durieux die Figur ebenso in St. Petersburg, Wien, Prag und Zürich auf die Bühne.

Erster Weltkrieg

Cassirer meldet sich freiwillig zum Fronteinsatz. Durieux hingegen arbeitet als Krankenschwester im Mannschafts-Lazarett in Berlin-Buch.

„Liebt man eigentlich mit dem Verstand, mit der Seele oder mit dem Herzen“, waren die letzten Worte der Künstlerin Alice Trübner (1875–1916) asn Tilla Durieux, bevor sie sich in einem Berliner Hotel vor ihrer Vertrauten ins Herz schoss. Die Ehefrau des Karlsruher Akademieprofessors Wilhelm Trübner (1851–1917) und die Schauspielerin hatten einander zu Beginn des Krieges kennengelernt. Durieux fühlte sich bald von Besuchen, Nachstellungen und Avancen des Malers regelrecht verfolgt.

Paul Cassirer floh schließlich mit der Hilfe Harry Graf Kesslers und anderer Freunde nach Bern, wohin ihm seine Frau, die Schauspielerin Tilla Durieux, folgte. Hier gründete er am 16. November 1917 mit Max Rascher und Dr. Otto Rascher die Max Rascher Verlags AG, die pazifistische Schriften von deutschen und französischen Autoren publizierte. Das Ehepaar hielt sich bis Januar 1919 in Zürich, St. Moritz und Spiez auf. Obschon sie in der Schweiz ihren Beruf nicht ausüben konnte, beteiligte sich die Schauspielerin in dieser „Kolonie von Intellektuellen“ mit Vorträgen, Lesungen und musikalischen Darbietungen im privaten Rahmen am abendlichen Unterhaltungsprogramm.

Weimarer Republik

Zu Beginn des Jahres 1919 gastierte Tilla Durieux in München, wo die Schauspielerin an einer schweren Bauchfellentzündung erkrankte und sich einer Operation unterziehen musste. Während ihres Krankenhausaufenthaltes versteckte sie den Schriftsteller Ernst Toller (1893–1939), der als einer der führenden Protagonisten der Münchner Räterepublik wegen Hochverrats gesucht wurde, und unterstützte seine Flucht. Nach überstandener Krankheit reiste Durieux wieder nach Berlin, wo sie auf die Bühne zurückkehrte: Unter dem Intendanten Leopold Jessner (1878–1945) war sie am Preußischen Staatstheater tätig.

Mitte der 1920er Jahre trat Tilla Durieux zunehmend international auf. So reiste sie 1923 erstmals in den USA und spielte 1925 u.a. in Berlin, Rotterdam, Zürich, Den Haag und Wien; gefolgt von Amsterdam 1927. Die Malerin Charley Toorop (1891–1955) nahm dieses letzte Gastspiel zum Anlass, Durieux zu porträtieren. Toorop zeigte sie mit starkem, geradezu nüchternem, aber dennoch intensivem Blick — ganz im Stil der Neuen Sachlichkeit (→ Neue Sachlichkeit).

Piscator-Bühne

Tilla Durieux förderte ab 1927 gemeinsam mit Katzenellenbogen den deutschen Theaterintendanten Erwin Piscator (1893–1966) und sein Avantgardetheater, die Piscator-Bühne. Vom 31. Mai bis zum 3. Juni gastiert die Schauspielerin mit einigen ihrer Kolleg:innen in Amsterdam. Unter der Leitung von Alfred Fischer führte die Truppe die Stücke „Frau Warrens Gewerbe“, „Fräulein Julie“, „Die Stärkere“ sowie „Franziska“ auf.

Tilla Durieux in der NS-Zeit

Am 28. Februar 1930 heiratete die Schauspielerin ihren langjährigen Freund Ludwig Katzenellenbogen in London; dieser hatte sich nicht nur als verlässliche Stütze erwiesen, sondern teilte auch die Kunstbegeisgterung mit seiner Frau (→ Berlin | Berlinische Galerie kauft „Bacchant“ von Lovis Corinth). Drei Jahre später wurde er — mit antisemitischem Hintergrund — als Vorstand der Schultheiss-Patzenhofer-Brauerei wegen Bilanzfälschung angeklagt und verurteilt. Aufgrund des Prozesses verlor Katzenellenbogen nahezu sein gesamtes Vermögen, und auch Durieux’ Besitz wurde teilweise gepfändet. Die Schauspielerin unterstützte ihren Mann, saß während der Verhandlungen im Gerichtssaal und finanzierte die Anwaltskosten durch den Verkauf von Bildern und Schmuck.

Nach Warnungen vor einer drohenden Verhaftung durch die Nationalsozialisten flüchtete das Paar am 31. März 1933 im Nachtzug von Berlin über Dresden nach Prag. Dort gab Durieux 1934 die Lady Macbeth. Um eine Weiterreise in die Schweiz zu organisieren, kehrte sie für kurze Zeit nach Berlin zurück. Anlass für den Visumsantrag war die Möglichkeit, an einer Tournee des Berliner Theaterensembles durch die Schweiz teilzunehmen. Währenddessen kam Katzenellenbogen bei Freunden in Luzern unter. Anschließend ließen sie sich in Ascona nieder. Nachdem die Pässe des Paares abgelaufen waren, erwarben sie die Staatsbürgerschaft von Honduras. Doch diese Lösung war nicht von langer Dauer, da Katzenellenbogen die Aufenthaltserlaubnis in der Schweiz verweigert wurde. Über Italien reiste das Ehepaar nach Zagreb, wo sie sich kurz bei der mit Durieux entfernt verwandten Gräfin Zlata Lubienski (1897—1969) niederließen, bevor sie wieder nach Italien zurückkehrten.

1936 beteiligte sich das Paar am Hotel Cristallo in Abbazia (heute: Opatija), das sie die beiden folgenden Jahre leiteten. Bis 1938 trat Tilla Durieux auf Gastspielen in unterschiedlichen Städten Europas auf. Im Sommer 1936 erhielt sie eine Einladung vom Salzburger Mozarteum, als Lehrbeauftragte tätig zu sein. Nachdem sich die Situation in Italien zugespitzt hatte, musste das Ehepaar erneut fliehen. Über Zwischenaufenthalte in Lugano, Ascona, Paris und Prag fanden sie in Zagreb bereits zum zweiten Mal Unterschlupf bei Gräfin Lubienski.

Nachdem Katzenellenbogen 1941 endlich bereit war, in die USA zu emigrieren, versuchte Tilla Durieux, in Belgrad Visa zu erhalten. Doch die deutschen Truppen begannen am 6. April das Bombardement, das Durieux und Katzenellenbogen erneut in die Flucht zwang – diesmal getrennt voneinander. Das Ehepaar sah sich nie wieder, da Katzenellenbogen von der Gestapo verhaftet und deportiert wurde. Zwei Jahre später starb er in einem jüdischen Krankenhaus in Berlin.

Während des Zweiten Weltkrieges hielt sich Durieux im Zagreber Exil auf, wo sie sich am antifaschistischen Widerstand beteiligte. Ihre Erlebnisse verarbeitete die Künstlerin in dem Stück „Zagreb 1945“, das 1946 im schweizerischen Luzern uraufgeführt wurde. Sie arbeitete in einem städtischen Puppentheater und nähte Kostüme. In Zagreb begann die Schauspielerin auch an ihrer Autobiografie zu schreiben, die 1954 unter dem Titel „Eine Tür steht offen“ publiziert wurde.

Comeback

Ab 1952 kehrte Tilla Durieux nach Berlin zurück, wo sie zunehmend als „Grande Dame“ des deutschen Theaters wiederentdeckt und gefeiert wurde: Sie stand für das Stück „Der Erstgeborene“ im Schlosspark-Theater erstmals wieder auf einer deutschen Bühne. Gepriesen von Kritiker:innen, feierte der vielbewunderter Star ein fulminantes Comeback.

Einer der wichtigsten Erfolge ihrer späteren Karriere war die Rolle der Marie Bornemann in dem Ein-Personen-Stück „Langusten“ von Fred Denger, die Durieux 1959 übernahm. Anlässlich ihres 80. Geburtstages wurde das Fernsehspiel „Langusten“ gezeigt (1960). Von 1969 bis Mitte 1970 trat Tilla Durieux am Wiesbadener Staatstheater auf.

Um ihr 65-jähriges Bühnenjubiläum zu feiern, stiftet die Schauspielerin 1965 den Tilla-Durieux-Schmuck. Alle zehn Jahre soll der Preis – in Form eines Art-déco-Colliers, das vermutlich ein Geschenk Cassirers an seine Frau war – an eine hervorragende Vertreterin der deutschen oder österreichischen Schauspielkunst verliehen werden.

Filmrollen und Fernsehspiele

Neben ihren Tätigkeiten auf der Bühne wurde Tilla Durieux 1914 erstmals in der Filmbranche engagiert: Sie übernahm die Rolle der Dame in dem Stummfilm „Die Launen einer Weltdame“. Dem folgte 1921 der Stummfilm „Der zeugende Tod“ von Heinz Sarnow. Am 15. Oktober 1929 feierte der letzte Stummfilm von Fritz Lang „Frau im Mond“ im Ufa-Palast am Zoo Premiere. Durieux hatte darin einen eindrucksvollen Kurzauftritt.

In dem Film „Die letzte Brücke“ übernahm Durieux 1954 die Rolle der Mara und war damit abermals auf der großen Leinwand zu sehen. Es folgten bis 1970 unzählige Fernseh- und Kinorollen sowie Gastauftritte bei Hörspielen. Im Jahr 1967 spielte sie in ihrem letzten Fernsehfilm, „Ein Toter braucht kein Alibi“, die Rolle der Miss Pembroke.

Ehrungen

  • 1959: Ehrenmitglied der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste
  • 1960: Verdienstkreuz 1. Klasse der Bundesrepublik Deutschland.
  • 1963: Filmband in Gold für „Verdienste in und um den deutschen Film“
  • 1967: Ernst-Reuter-Plakette in Silber
  • 1969: Offizier des Ordre des Palmes Académiques
  • 1970: Großes Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland
  • 1970: Ehrenmitgliedschaft am Deutschen Theater Berlin.

Tod

Tilla Durieux starb am 21. Februar 1971 an den Folgen einer Operation einer Oberschenkelhalsfraktur im Alter von 90 Jahren in Berlin.

  1. Tilla Durieux, Eine Tür steht offen, Berlin 1971, S. 253f .