Albin Egger-Lienz (29.1.1868-4.11.1926) wurde am 29. Jänner 1868 in Stribach als uneheliches Kind des Fotografen und Kirchenmalers Georg Egger und der Bauerntochter Maria Trojer geboren – und als Ingenuin Albuin Trojer getauft. Die Mutter übergab das einjährige Kind dem inzwischen in Lienz ansässigen und verheirateten Vater. Im Jahr 1877 willigte die Bezirkshauptmannschaft der Namensänderung von Trojer zu Egger ein. Ab 1891 nannte er sich Egger-Lienz.
Österreich | Wien: Leopold Museum
15.2. – 29.5.2008
Das künstlerische Talent Eggers fiel bereits in frühen Jahren auf. Nach Abschluss der vierjährigen Volksschule entstanden erste Studien nach der Natur. Der Vater, Fotograf und Kirchenmaler, und dessen Freund Hugo Engl förderten ihn. Ab 1884 studierte Albin Egger an der Münchner Akademie der bildenden Künste. Bereits vor seinem 17. Geburtstag wurde er aufgenommen und von den Professoren Karl Raupp, Gabriel von Hackl und Wilhelm Lindenschmit d. J. insgesamt neun Jahre unterrichtet. In dieser Zeit machte Egger auch die Bekanntschaft mit Franz vom Defregger (1835–1921), den er zutiefst bewunderte. So ist es wohl auch dem Einfluss Defreggers zuzuschreiben, dass sich der junge Egger noch während seines Studiums dem Tiroler Bauerngenre zuwandte.
Der ebenfalls aus Tirol stammende Maler Franz von Defregger war für die frühe Entwicklung von Albin Egger-Lienz ein wichtiger Orientierungspunkt. Jahre später erinnerte er sich, dass nur in Künstlern wie Defregger der „Geist der alten Meister“ weitergelebt hätte. Die Verbundenheit zur Tiroler Heimat, die ihren Niederschlag in den bäuerlichen Motiven fand, war beiden Künstlern eigen. Auch wenn Egger-Lienz nie in der Klasse Defreggers studierte, so folgte dieser den Einladungen des Studenten, kommentierte und korrigierte die jüngsten Arbeiten in dessen Atelier.
Um Geld zu verdienen und sich fortzubilden, begann Egger 1888 in der Alten Pinakothek Gemälde von holländischen und flämischen Meistern des 17. Jahrhunderts zu kopieren. Erste Auszeichnungen der Akademie gaben ihm Hoffnung, als freischaffender Maler in München reüssieren zu können. Nach Abschluss seines Studiums hielt sich Egger, der nun mit Egger-Lienz signierte, immer wieder in Osttirol auf, um dort Studien für seine großen Kompositionen anzufertigen. Erste Bilder wie „Ave nach der Schlacht am Bergisel“ (1894–1897) und „Das Kreuz“ (1898–1901) bezeugen seine Auseinandersetzung mit dem Tiroler Freiheitskampf wie auch den Versuch, mit Historienbildern Fuß zu fassen.
Im Jahr 1899 zog Albin Egger-Lienz mit seiner frisch angetrauten Frau Laura von Möllwald nach Wien. Die folgenden zehn Jahre arbeitete er vergeblich daran, als Professor an die Akademie berufen zu werden. Die Beschäftigung mit dem Tiroler Freiheitskampf von 1809 sollte zum Schlüsselereignis in der Entwicklung von Albin Egger-Lienz werden. Der Stoff brachte bereits seinem Vorbild Franz von Defregger Erfolg und ließ auch Egger-Lienz auf Beachtung durch Publikum und Kaiserhaus hoffen. „Das Heranstürmen der fürchterlich entschlossenen Schar mit dem hocherhobenen Kreuze ist das Motiv, welches ich ausführen werde. Ich halte den Gegenstand für sehr ergreifend (…).“, schrieb der Künstler bereits 1897 an seine spätere Frau über seine Komposition „Das Kreuz“ (1898–1901). Er zeigt, wie Georg Hauger die zersprengten Tiroler Landstürmer unter einem Kreuz gegen eine 20fache Übermacht an Franzosen und Italienern eint. Die gebannt auf den Kruzifixus starrenden Männer folgen mit Sensen bewaffnet ihrem Anführer, während der Sensenmann selbst vorneweg zieht. Vier Jahre dauerte die Arbeit an diesem monumentalen Werk, drei Entwürfe und zwanzig Ölstudien nach Tiroler Bauernköpfen sind bis heute bekannt. Egger-Lienz pflegte seine Bilder minutiös vorzubereiten, hielt sich monatelang in Tirol auf, um geeignete Modelle für seine markanten Charaktere zu finden. Daher verwundert es nicht, dass die gesamte Hoffnung des Künstlers auf dem Erfolg des Bildes lag. Das Bild wurde erstmals am 16. März 1901 im Künstlerhaus zur XXVIII. Jahresausstellung ausgestellt. Egger-Lienz erhielt dafür zwar die Große Goldene Staatsmedaille jedoch keinen mit Geld dotierten Preis. Seine finanzielle Lage war prekär, und seine Hoffnung auf eine Professur blieb in den nächsten Jahren unerfüllt.
Der „Sämann“ entstand im Sommer 1903 in Lienz. Egger berichtet in einem Brief an seine Frau, dass er ein „famoses Modell“ gefunden habe. An einer Wand im Fotoatelier seines Vaters zeichnete er mit Kohle den säenden Bauern vor. Interessant ist, dass er sich auch über den gepflügten Acker äußerte. Er beklagte sich, dass er im Sommer kein geeignetes Vorbild mehr findet und bis Oktober warten wird müssen. Wenn auch Thema und Komposition der Fantasie entsprangen, so entwickelte der Maler durch Anschauung und Modellstudien seine Entwürfe im Detail. Das Bild besticht durch seine malerische Finesse. Egger-Lienz konzentrierte sich in der Ausarbeitung ganz auf die Wiedergabe des Menschen, der mit schwieliger Hand die oft wiederholte Streubewegung ausführt.
Im Zusammenhang mit diesem Bild wurde bereits auf die Vorbildwirkung eines „Sämann“ von Francois Millet, 1850 entstanden, hingewiesen. Es finden sich alle erzählerischen Komponenten vorgebildet: der säende Bauer, das gepflügte Feld, die fressenden Krähen im Hintergrund. Im Vergleich zum französischen Realisten wirkt Eggers aussäender Bauer jedoch statisch und gedankenversunken. Mit dem „Sämann“ findet Egger-Lienz zu dem Themenkomplex, der sein weiteres Schaffen maßgeblich bestimmen wird: das Leben der Tiroler Bauern.
Das wohl berühmteste Motiv im Werk von Albin Egger-Lienz ist „Der Totentanz Anno Neun”. In insgesamt sechs Fassungen beschäftigte sich der Tiroler zwischen 1906 und 1921 mit der monumentalen Figurengruppe. Der Tod führt eine Schar von vier Bauern im Gleichschritt. Sie folgen ihm blind, nur der Letzte blickt bedauernd zurück. Seine Modelle fand Egger-Lienz in Längenfeld, wo er den Sommer 1906 verbrachte. Fotografien dokumentieren, dass das erste Ölgemälde im Freien vor der Pestkapelle in direkter Konfrontation mit dem posierenden Modell angelegt wurde. Ein Vorbild für die Gestaltung der Köpfe fand Egger-Lienz im „Puddler“, dem Kopf eines Stahlarbeiters, des belgischen Bildhauers Constantin Meunier (1831–1905).
Zurück in Wien erschien Egger-Lienz die Ölfarbe zu wenig plakativ. Das neue Streben nach Größe, ja Monumentalität verlangte nach seiner Ansicht nach einem neuen Material. In den matt wirkenden Kaseinfarben fand Egger-Lienz die Lösung. Die Umrisslinien halten in den späteren Fassungen die großen Formen zusammen, die Dreidimensionalität der Figuren wird durch Abschattieren und Aufhellen der Farbflächen erreicht. Mit diesem Werk löste sich Egger-Lienz endgültig von der traditionellen Historien- und Genremalerei. Anstelle der realistischen Schilderung der Ereignisse trat nun der Hinweis auf die menschliche Existenz.
Das Publikum in Wien reagierte gespalten auf die Komposition: Der Thronfolger Franz Ferdinand ignorierte das Werk bei seiner Erstpräsentation im Künstlerhaus ostentativ. Egger-Lienz stellte die Tragik des Krieges dar - das Kaiserhaus hingegen brauchte Helden im Kampf für Gott, Kaiser und Vaterland. Letztlich scheiterte Egger-Lienz` Berufung an die Wiener Akademie am Thronfolger Franz Ferdinand, der in Eggers Bildern sozialdemokratische Tendenzen witterte. Um seine missliche finanzielle Lage aufzubessern, eröffnete Egger-Lienz 1903 eine Malschule für Damen. Wichtig für sein Schaffen wurden Besuche von Ausstellungen internationaler Künstler wie Ferdinand Hodler, Constantin Meunier, Auguste Rodin.
Zu den erfolgreichsten Bildideen von Albin Egger-Lienz gehören „Das Mittagessen“ von 1908 und die „Bergmäher“ oder „Schnitter“ von 1907. In zahlreichen Varianten und Wiederholungen arbeitete sich der Maler an diesen Kompositionen ab. Auffallend ist, dass Egger-Lienz ab 1920 neue Versionen entwickelte, die seinen Spätstil deutlich von früheren Arbeiten abheben.
Egger-Lienz zoomt sich gleichsam an seine Protagonisten heran. Das Geschehen soll noch unmittelbarer auf den Betrachter einwirken: Die Bergmäher stehen nun im hohen Korn; mit den mittagessenden Bauern sitzen die Betrachter_innen quasi am Tisch. Gleichzeitig kommt es zu einer Radikalisierung der Pinselarbeit. Die Gestaltung der Bauern wirkt noch lapidarer. Der gesteigerte Hell-Dunkel-Kontrast bringt Dramatik ins Bild. Einfachheit der Form und Expressivität von Farbe und Pinselduktus steigern sich gegenseitig zu beeindruckenden Bilderlebnissen.
Nachdem die zehn Jahre lang gehegte Hoffnung Albin Egger-Lienz` auf eine Berufung an die Wiener Akademie am Widerstand des Thronfolgers endgültig gescheitert war, kam dem Maler das Angebot, in Weimar zu unterrichten, nur Recht. Da der Wiener Sammler Franz Hauer ihm seinen gesamten Atelierbestand abkaufte, immerhin 43 Gemälde und Studien sowie weitere Entwürfe, konnte sich der Maler nahezu ein gesamtes Jahr nur der Vorbereitung der „Sonderausstellung Monumental-Dekorative Malerei“ auf der „Großen Kunstausstellung Dresden“ widmen, wo er einen ganzen Saal bespielen sollte. Nach Eröffnung der Schau, im Frühjahr 1912 erst, wollte er nach Weimar umziehen. Egger-Lienz setzte seine gesamte Hoffnung darauf, auf internationalem Parkett endlich anerkannt zu werden.
Egger-Lienz wollte hierfür den Weg der symbolhaften Übersteigerung der Realität weiter verfolgen. In diesem Sinne entwarf er neue Bildideen wie „Die Lebensalter“ und fertigte Kopien alter Kompositionen in Kasein-Technik an. Für Egger-Lienz waren seit seiner Erfahrung mit dem „Totentanz Anno Neun“ mit Kaseinfarben und als Großformat gleichbedeutend für sein künstlerisches Programm. Das Ölbild „Mann und Weib“ verwendete Egger-Lienz als Vorlage für das Hauptwerk der Ausstellung: „Die Lebensalter“. Als Modelle wählte der Maler die Ötztaler Aemilie Auer und Ehrenreich Brugger. Ein Vergleich mit Fotografien belegt die Portraittreue Eggers. Gemäß seiner Auffassung von gesteigerter Wirkung arbeitete er für die spätere Kaseinfassung der „Lebensalter“ die Details weniger aus. Sein Leitspruch wurde: „Ich male keine Bauern sondern Formen!“
Da die Presse kaum auf seine Werke näher einging, dafür aber die Schöpfungen Ferdinand Hodlers besonders hervorhob, starteten Egger-Lienz und sein Freund Otto Kunz eine Pressekampagne gegen den Schweizer, den sog. „Hodler-Streit“.
Die Beziehung des Schweizer Malers Ferdinand Hodler zur Wiener Kunstszene war äußerst eng. Der Secession verdankte er 1904 seinen Durchbruch, denn in seiner Heimat stießen die einfachen Formen seiner Kompositionen und die damit einhergehende Monumentalität auf Ablehnung (→ Ferdinand Hodler. Wahlverwandtschaften von Klimt bis Schiele). Dass sich Egger-Lienz von diesem Künstler herausgefordert fühlte, liegt nahe. Als er sich 1912 im Zuge der Ausstellung „Monumental-Dekorative Malerei“ von der Kritik zu wenig beachtet fühlte, startete er gemeinsam mit dem befreundeten Journalisten Otto Kunz eine Pressekampagne – gegen die Hauptvertreter der modernen Kunst im Allgemeinen und gegen Ferdinand Hodler im Besonderen.
Deutschlandweit schlugen die Veröffentlichungen hohe Wellen. Unter seinen Schülern war u.a. der aus Vorarlberg stammende Rudolf Wacker nicht der selben Meinung und emanzipierte sich im Zuge dieser Debatte von seinem Vorbild. Egger-Lienz kritisierte, dass Hodlers Bilder nicht aus tiefster Überzeugung entstehen würden. Für ihn wären sie reine Effekthascherei. Die Stilkunst Hodlers lehnte Egger-Lienz entschieden ab. Dazu gehörte auch die kontrastreiche Farbigkeit, denn typisch für Hodler ist dessen Verwendung von Blau- und Grüntönen neben Gelb, Lavendel und Rosa. Eggers eigene Kunst – so beschreibt es Otto Kunz – schöpfe hingegen aus der Natur, sei ursprünglich und daher ewig.
Die Auseinandersetzung rund um den „Hodler-Streit“ zehrte an Egger-Lienz wohl mehr, als er ahnen konnte. Dazu gesellte sich Heimweh nach den Tiroler Bergen. So kam es, dass er nach nur 15 Monaten Lehrtätigkeit in Weimar um seine Entlassung bat. Zwischen 12. Juli und Ende August 1913 reiste Egger-Lienz mit seiner Familie an das holländische Nordseebad Katwijk aan Zee. Der Maler, der immer seine Heimatverbundenheit zum Ausgangspunkt seiner Gemälde machte, versank in der Weite von Dünenlandschaft und Meer. Egger-Lienz schrieb an Otto Kunz:
„Je länger ich hier verweile, desto mehr offenbart sich mir das Wesen dieser Welt, wie müsste es mich erst erfüllen, wenn ich da geboren wäre, aber zu diesem intimen Verhältnis zu dieser Natur kann unsereins, der Fremdling, nie kommen.“
In diesem Satz zeigt sich die grundsätzliche Einstellung Eggers: Ein Künstler könne sich nur mit jener Landschaft intensiv auseinandersetzen, die ihm von Geburt an vertraut sei. Nichtsdestotrotz malte er den tiefen Horizont, die Weite der Landschaft. Die Faszination für Meer und Himmel prägen diese Bilder. Die kleinformatige Studie des „Leuchtturms“ gehört zu seinen farbenfrohsten und hellsten Bildern – sonst bevorzugte Egger-Lienz erdige Brauntöne wie auch in den großformatigen Werken dieser Zeit.
Seiner Lehrtätigkeit an der Akademie von Weimar kam Albin Egger-Lienz nur fünfzehn Monate nach, bevor er, von Heimweh getrieben, nach St. Justina bei Bozen umzog. In den folgenden Kriegsjahren diente Egger als „Kriegsmaler in Zivil“, durfte sich aber bereits 1916 in seinem Atelier eigenen Kompositionen zum Thema Krieg widmen. Es entstanden wichtige Antikriegsbilder wie „Finale“, in denen der Maler dem Leid der namenlosen Soldanten Ausdruck verlieh. Stellvertretend steht es für die vielen wichtigen Antikriegsbilder, die Egger-Lienz unter Eindruck des Ersten Weltkriegs malte. Bereits Bildtitel wie „Den Namenlosen 1914“, „Totenopfer“, „Leichenfeld“ bezeugen die politisch-ideologische Richtung der Werke ab etwa 1915. Erneut geht es Egger-Lienz nicht um das Schildern von Gesehenem, sondern um die Wesensart des Krieges: die Uniformität des Soldaten, sein Leid, sein sinnloses Sterben.
Als Italien am 23. Mai 1915 Österreich den Krieg erklärte, musste Egger-Lienz als Standschütze an die Front. Im Folgejahr arbeitete er als „Kriegsmaler in Zivil“ für das Kriegspresse Quartier (KPQ), malte in rascher Abfolge kleinformatige, skizzenhafte Bilder von Felsunterständen und verschanzten Soldaten. Ab Mai 1916 durfte er wieder in sein Atelier zurückkehren, um sich dort mit dem Thema Krieg zu beschäftigen. „Finale“ bildet gleichsam die Summe seiner Kriegsbilder. Erneut sind es namenlose Soldaten, deren tote und mit zerfetzten Uniformen bekleidete Körper achtlos übereinander aufgetürmt sind. Ihre Haltungen wirken eigentümlich und wie im Todeskampf verkrampft, die Augen sind tief in die Höhlen gesunken. Am rechten Bildrand liegt wie zufällig ein Zettel mit der lapidaren Beschriftung - „1914 – 1918“ – als Summe des Kriegs.
Egger-Lienz` Werk aus der Nachkriegszeit ist weiterhin durch Bildschöpfungen geprägt, in denen Leben und Tod thematisiert werden. Gleichzeitig entstanden aber auch Neuaufnahmen bereits entwickelter Bildmotive in Form von Repliken und Weiterentwicklungen.
Hatte sich Egger-Lienz während des Ersten Weltkriegs mit dem Schicksal des namenlosen Soldaten beschäftigt, so brachte der Maler die Tragödien der Frauen erst um 1918 ins Bild. Die Trauer um Gefallene mischt sich in den „Kriegsfrauen“ mit Hoffnungslosigkeit und stummer Verzweiflung. Vier Jahre arbeitete Egger-Lienz an dieser Komposition, der er eine strenge Regelhaftigkeit auferlegte. Formen und Farben werden einander angeglichen und spiegelsymmetrisch um die Mittelachse angeordnet. Der Frau am Spinnrad rechts von der Achse im Vordergrund „antwortet“ eine weitere leicht nach hinten versetzt links. Die Verzweifelnde links vorne wird durch eine Rückenfigur rechts kompositionell aufgefangen. In die Fläche zwischen der beiden Frauen links schneidet ein Fenster passgenau ein. Die aufragende Figur einer stehenden Frau findet gegenüber im Kachelofen eine Entsprechung. Die Perspektive des Raumes erscheint expressiv übersteigert. Der Bildaufbau durch einfache, gehärtete Formen ist das erstrebte und deutlich erreichte Ziel des Tirolers.
Im Jahr 1923 schrieb Egger-Lienz aus Sarnthein über sein Bild „Die Quelle“ an Otto Kunz: „Was ich hier male ist im wahrsten Sinne wieder ein „Raum“. (…) ein Wasser trinkender Hirtenknabe. Da verwächst der Mensch total mit der Erde.“ In der Skizze hat der Knabe noch seinen Stock rechts neben sich gelegt und ist dadurch leichter als Hirte erkennbar. In der endgültigen Fassung lässt Egger-Lienz den Hirtenstab weg, um alleinig die Bewegungsrichtung des Knaben wirken zu lassen. Sein Körper füllt nahezu das gesamte Bildfeld und wird in der Bilddiagonale verspannt. Nur eine schmale Schattenzone trennt den menschlichen Körper von seiner Umgebung – besonders auffallend ist, wie Egger-Lienz die Kontur des Gesichtes mit einer einfachen, schwarzen Linie definiert. Im Gegensatz zu Bildern der Frühzeit werden hier Mensch und umgebende Natur malerisch nahezu gleich behandelt. Mit unwesentlich kürzeren Pinselstrichen definiert Egger-Lienz das Körpervolumen. Die Strichrichtung der Umgebung ergibt den gleichen Effekt. Die von Licht durchflutete Komposition der „Quelle“ wirkt als wäre sie schnell hingeworfen.
Das letzte Bild des tiefgläubigen Albin Egger-Lienz ist eine „Pietà“. Ein stark verkürzter, männlicher Körper liegt auf einer Tischplatte. Drei Frauen sind um ihn herum angeordnet, eine hat ihre Hände zum Gebet gefaltet. Dass es sich hierbei um den Leichnam Christi handelt, zeigt nur ein Blick auf ein berühmtes Renaissance-Gemälde von Andrea Mantegna, in dem diese Komposition bereits vorgeprägt wurde. Wie bereits in seiner Interpretation des auferstandenen Christus bewegt sich Egger-Lienz auch hier im Graubereich zwischen persönlicher Deutung und Tradition.
Tonige Farbigkeit, Modellieren der Figuren mit Hilfe einer Schattenzone und der sich dadurch einstellenden Hell-Dunkel-Kontrast sind Stilkriterien, die Egger-Lienz in den Zwanziger Jahren weiterentwickelte. In der „Pietà“ formulierte er sie zu einem persönlichen Höhe- wie Endpunkt. In den zwanziger Jahren wurde Egger-Lienz international geehrt und ihm vielfach Retrospektiven gewidmet. Zu einem letzten Eklat kam es 1925 im Zuge seiner Ausgestaltung der Kriegergedächtniskapelle von Lienz: sein auferstandener Christus wurde als zu eigenwillig empfunden und über die Kapelle ein Gottesdienstverbot verhängt. Am 4. November 1926 verstarb der Künstler im Alter von 57 Jahren.
Ziel der Ausstellung ist es, mit dem Klischee, Egger-Lienz sei ein Bauernmaler, aufzuräumen. „Ich male keine Bauern sondern Formen!“, schmetterte er seinen Kritikern erzürnt entgegen. Im Tiroler Bauern sah er ihm vertraute, vom Leben sichtlich gezeichnete Modelle, denen er in Bildern Ewigkeitscharakter und allgemeine Gültigkeit verlieh. Wichtig war ihm immer der Symbolgehalt seiner Werke: In mannigfachen Reprisen und Abwandlungen deklinierte er Themen wie Leben und Tod aber auch die Einheit von Natur und Mensch durch.