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Berlin | Martin-Gropius-Bau: Ai Weiwei – Evidence Sinnliche Konzeptkunst und Ruf nach Freiheit | 2014

Ai Weiwei, Stools im Martin-Gropius-Bau, Berlin 2014

Ai Weiwei, Stools im Martin-Gropius-Bau, Berlin 2014

„Modernismus ist das Urgeschöpf der aufgeklärten Menschen, er ist die ultimative Betrachtung über den Sinn des Daseins und das Elend der Realität, er hat ein wachsames Auge auf Gesellschaft und Macht, er geht keine Kompromisse ein, er kooperiert niemals.“1 (Ai Weiwei 1997)

Trotz aller unfassbaren Anfeindungen in seinem Land hat sich Ai Weiwei entschlossen, seine weltweit größte Einzelausstellung im Martin-Gropius-Bau, in Berlin durchzuführen. Auf 3000 m² in 18 Räumen und im spektakulären Lichthof zeigt er Werke und Installationen, die eigens für den Martin-Gropius-Bau entstanden oder noch nie in Deutschland gezeigt wurden.

Die Schau trägt den Titel „Evidence“, der Beweis, und führt das Publikum zwei Jahre nach der erfolgreichen Präsentation von Ais New Yorker Fotografien in sein künstlerisch-politisches Werk ein. „Ai Weiwei. Evidence“ ist eine politische Ausstellung, die der chinesische Konzeptkünstler für Berlin in seinem einfachen und schönen Studio am dörflichen Stadtrand von Peking entwarf.

Ai Weiwei ist Künstler, Architekt und Politiker. Kaum eines seiner Werke kommt ohne versteckte Anspielungen aus, sei es auf die binnenchinesischen Verhältnisse, sei es auf das große Thema „China und der Westen“. Man muss die historischen und politischen, oft ironischen Botschaften in seinen Werken lesen, die er gleichsam wie eine Flaschenpost in die Welt schickt. Ai Weiwei ist einer der berühmtesten Künstler weltweit, und doch steckte die chinesische Staatsmacht ihn illegal für 81 Tage in die Zelle eines Geheimgefängnisses („81“, 2014), in der 24 Stunden Licht brannte und die er nie verlassen durfte, Tag und Nacht beobachtet von zwei Wärtern. Die Handschellen wie jene, in denen er während der Haft an einen Stuhl gefesselt war, bildete er in edler, höchst kostbarer Jade nach („Jade Handcuffs“, 2013).

Willkürliche Verhaftungen und Korruption, das ist es was chinesische Bürger erleben. Ai Weiwei will das nicht hinnehmen. Er fordert Redefreiheit, Gewaltenteilung, Mehrparteiendemokratie. Und er nutzt die unendlich variierbare Formensprache der Konzeptkunst, um eben dies auszudrücken in einem Land, in dem Meinungsfreiheit nicht existiert. Er ist auch in China einer der berühmtesten Kunstschaffenden. Chinesische Regierungspropaganda versuchte in den letzten Jahren, ihn aus dem öffentlichen Bewusstsein zu entfernen. Er darf in keinem Museum Chinas ausstellen. Flugs machte Ai Weiwei das Internet zu seiner Dauerausstellung: hervorragend seine mittlerweile verbotenen Blogs wie auch sein aktueller Auftritt auf Instagram.

Zwar kann Ai in seinem Studio arbeiten, doch vor seinem Tor sind ein Dutzend Überwachungskameras angebracht. Ironisch kommentiert er das, indem er an diesen rote Laternen anbrachte und sie in Marmor nachbildete („Marble Surveillance Cameras“, 2010). Das Handeln der Staatsmacht wird Teil seiner Konzeptkunst. Zwar darf er in China reisen, doch jeder seiner Schritte wird von Undercoveragenten überwacht. Seinen Pass hat man ihm entzogen, ins Ausland darf er nicht reisen.

Unter den Werken und Installationen, die im Martin-Gropius-Bau zu sehen sind, findet sich die goldene Kopie jener Zodiac-Skulpturen („Golden Zodiac“, 2011), die einst von chinesischen Handwerkern in Bronze gegossen und von den Europäern Castiglione und Benoist entworfen wurden (um 1750). Sie waren Teil einer Art Sonnen- und Wasseruhr und befanden sich in einem vom Kaiser in Auftrag gegebenen Gartenabschnitt voller Gebäude im europäischen Stil. 1860, nach dem Ende des Zweiten Opiumkrieges, wurde der gesamte Garten von beutegierigen Engländern und Franzosen geplündert und in Brand gesteckt; sie hatten Peking erobert, um ihren Opiumhandel in China durchzusetzen. Einige der bronzenen Zodiac-Figuren gelangten damals nach Europa und hielten, als sie 2008 auf einer Auktion der Kunstsammlung von Yves Saint-Laurent in Paris auftauchten, die chinesische Welt in Atem. Ai Weiwei bestreitet, dass diese Bronzefiguren wie die Regierung behauptet, nationale Schätze Chinas seien, vielmehr sieht er sie als globale Schätze.

Wenn Ai Weiwei für die Ausstellung im Gropiusbau die umstrittenen pazifischen Diaoyü-Inseln („Diaoyu Islands“, 2014) in Marmor, gebrochen in einem Steinbruch nahe Peking, nachbilden lässt – aus eben jenem Marmor, den die Kaiser von China einst für die Verbotene Stadt und die heutigen Machthaber für das Mao-Mausoleum nutzten, dann übersetzt er einen heute die Welt bedrohenden politischen Konflikt in künstlerische Form.

Es sind diese raschen Umsetzungen in Kunst von aktuellen politischen Ereignissen und Fragen in Kunst, die einige der wichtigsten Installationen des Künstlers kennzeichnen. So die verdrehten Stahl-Armierungen, welche an das schreckliche Erdbeben in Sichuan („Forge“, 2008–2012; „Forge bed“, 2008–2012) und seine 80.000 Toten erinnern, und damit an Misswirtschaft und Korruption. So sein großes Werk „1800 Milchpulverdosen“, das er erstmals 2013 in Hongkong zeigte – ein Kommentar zu jenem Skandal, durch den Kinder in China wegen nachlässiger Kontrollen durch verseuchtes Milchpulver vergiftet wurden.

Oft sind es auch antike chinesische Objekte, die Ai Weiwei als Materialien einsetzt. Er spricht gelegentlich davon, dass er die Affekte der Betrachter:innen durch kontradiktorische Elemente hervorlocken will. Etwa wenn er alte Keramikgefäße der Han-Zeit (202 v.u.Z.–220 n.u.Z.) in Autolack taucht, in Farben wie sie bei deutschen Luxusautos in Peking derzeit sehr beliebt sind („Han Dynasty Vases with Auto Paint“, 2014). Mit Serialismus, den es schon in alten buddhistischen Tempeln gab, wie mit Minimalismus, der in der Theorie bereits in der Song-Zeit (960–1126) nachzuweisen ist, geht er spielerisch um, transferiert die ihm geläufigen Etyme chinesischer Kunst in die heutige „Universalsprache“ global agierender Konzeptkunst.

Im Jahr 2008 wurde Ai Weiwei von der Stadtregierung von Shanghai eingeladen, ein großes Atelierhaus zu errichten. Doch als es fertig war, ließ die Regierung es – willkürlich – in nur einem Tag abreißen, weil der Künstler gewagt hatte, die Regierung zu kritisieren. Ai Weiwei aber kreierte aus den Resten seines Studios ein Kunstwerk: „Souvenirs from Shanghai“ (2012), bestehend aus dem Schutt des Studios.

Im spektakulären Lichthof des Gropiusbaus montiert der Künstler 6.000 einfache hölzerne Stühle („Stools“, 2014), wie sie auf dem Land seit der Ming-Zeit (1368–1644), seit hunderten von Jahren also, Verwendung finden. Ein eindrucksvoll ästhetisches, pixelartiges Werk entsteht. Diese Stühle, so Ai Weiwei, seien Ausdruck einer Jahrhunderte alten Ästhetik des ländlichen China.

Ai Weiwei führt mit uns im Westen ein Gespräch über China. Seine Konzeptkunst war (und ist), als er nach seiner Rückkehr aus New York 1993 damit begann, revolutionär für China, ein Land, das den Künstlern bis dahin nur bestimmte Ausdrucksformen gestattete. Wer Formen kontrolliert, der kontrolliert auch Inhalte. Ai Weiwei widersteht der Kontrolle, er führt auf seine Weise einen Diskurs über freies Reden und Schreiben. Ais große Vorbilder sind Marcel Duchamp, Andy Warhol, wie auch Giorgio Morandi.

Aber Ai sieht sich auch in der Tradition des Zen-Philosophen Hui Neng (638–713). Er sieht in ihm den radikalen Verfechter des ungebundenen Ausdrucks, jemanden der sich gegen die konfuzianisch-buddhistische Orthodoxie seiner Zeit auflehnte. Noch in der Kulturevolution (um 1969) zerstörten die Roten Garden seinen Tempel im Süden Chinas, wo er noch heute (wieder) verehrt wird.

Quelle: Gropius Bau, Berlin

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Zit. n. Ai Weiwei. Macht euch keine Illusionen über mich. Der verbotene Blog, hg. v. Lee Ambrozy, Berlin 2011.
  1. Zit. n. Ai Weiwei. Macht euch keine Illusionen über mich. Der verbotene Blog, hg. v. Lee Ambrozy, Berlin 2011.
  2. Zit. n. Ai Weiwei. Macht euch keine Illusionen über mich. Der verbotene Blog, hg. v. Lee Ambrozy, Berlin 2011.
Alexandra Matzner
Gründerin von ARTinWORDS * 1974 in Linz, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Romanistik in Wien und Rom. Seit 1999 Kunstvermittlerin in Wien, seit 2004 Autorin für verschiedene Kunstzeitschriften. Jüngste Publiktionen entstanden für das Kunsthaus Zürich, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Albertina und Belvedere in Wien.